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Kahina,Toutaoui und Oliver Jung haben alle Fragen beim Deutschland-spricht-Projekt unterschiedlich beantwortet.

© Melanie Berger

Deutschland spricht - ein Treffen zweier Teilnehmer: "Wir haben dieselben Ziele, nur andere Wege dorthin"

Er sieht alles anders als sie – trotzdem stimmen sie sich oft zu. Ein Gespräch in einem Hermsdorfer China-Restaurant.

Die Flüchtlinge, sagt er, „die kommen ja nicht, weil sie wollen, sondern weil wir sie Jahrhunderte lang ausgebeutet haben. Hätten wir denen immer bezahlt, was ihnen zugestanden hätte, würden die heute auf goldenen Straßen fahren.” Oliver Jung will trotzdem die deutschen Grenzen strenger kontrollieren. Unterdrückung und Ausbeutung hin oder her. Man könne eben nicht allen helfen. Kahina Toutaoui findet nicht, dass sich das Land nach außen besser abschirmen muss. Ihre Familie hat selbst Migrationshintergrund, ihr Vater stammt aus Algerien. Die Aktion "Deutschland spricht" hat sie zusammen gebracht.

Am Sonntagnachmittag treffen sich der 44-jährige Blogger und freiberufliche Unternehmensberater für Marketing, Online und Social Media, wie er sich selbst bezeichnet, und die 26-jährige Ärztin in Hermsdorf. Dort arbeitet Toutaoui in einer Klinik. Geriatrie -, Alters- und Altenmedizin.

Einen geeigneten Ort für das Gespräch zu finden, war gar nicht leicht. Die meisten Cafés haben sonntags hier zu, erzählt sie. Am Ende entscheiden sie sich für das China-Restaurant Schatzkammer, direkt am S-Bahnhof Hermsdorf. Das Lokal ist voll und laut und fernöstlich-kitschig eingerichtet. Rote Lampen mit chinesischer Schrift, Statuen mit winkenden Katzen. Am Tisch steht ein Teller mit Glasnudeln, Tofu und Gemüse. Oliver Jung trinkt Grünen Tee. Zum Nachtisch werden Sesambällchen mit Bohnenfüllung gereicht.

Die Stimmung ist locker. Die beiden unterhalten sich angeregt, nicht aufgeregt. Beide nicken viel, stimmen sich zu, hin und wieder fällt ein „aber“, gefolgt von erneutem Nicken des Gegenübers. Und das, obwohl Jung und Toutaoui alle sieben Fragen beim Projekt „Deutschland spricht“ unterschiedlich beantwortet haben.

Er ist System-Kritiker, sie Realistin

Jung ist nicht nur für mehr Grenzschutz, sondern auch gegen höhere Preise für Fleisch, gegen eine autofreie Stadt, verneint, dass Muslime und Nicht-Muslime in Deutschland gut zusammenleben können und dass die „Metoo”-Debatte etwas Positives bewirkt hat. Er glaubt, dass es den Deutschen schlechter geht als vor zehn Jahren und, dass Donald Trump gut für die USA ist. Toutaoui sieht das alles anders. So unterschiedlich, wie die Antworten vermuten lassen, sind die beiden jedoch gar nicht.

„Wir haben dieselben Ziele, ein gutes Zusammenleben, nur andere Wege dorthin“, sagt Jung. Der 44-Jährige, Vollbart, lange blonde Haare, ist ein System-Kritiker. Er will einen weltweiten Mindestlohn, damit es gar keine Flüchtlinge mehr gibt und somit auch der Grenzschutz hinfällig wird.

Toutaoui, die eher praktisch denkt, findet das unrealistisch, kann den Ansatz aber verstehen. Er denkt, die Probleme zwischen Muslimen und Nicht-Muslime sind von der Politik absichtlich hervorgerufen, um vom Bildungsnotstand oder sinkenden Renten abzulenken. Sie denkt, dass menschlich gesehen, Muslime und Nicht-Muslime gut zusammenleben können. Er stimmt ihr zu.

Die beiden reden viel und lang. Fast drei Stunden sitzen sie in dem Restaurant. Konfrontativ ist es nicht. Jeder legt seinen Standpunkt dar, den der andere mehr oder weniger verstehen kann. Er denkt, den Menschen geht es heute schlechter als vor zehn Jahren, weil die Arbeitsverhältnisse unsicherer geworden sind, Kurzarbeit, Leiharbeit, befristete Verträge. Sie nickt.

Sie denkt, es geht ihnen besser, weil Kommunikation durch Smartphones und Soziale Netzwerke besser geworden ist und die medizinische Versorgung eine höhere Qualität bekommen hat. Er nickt. Zum Schluss sagen sie, dass sie dieses Treffen wiederholen wollen.

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