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Tausende zeigen tapfer Flagge in Minsk - aber die deutsche Außenpolitik hält sich vorerst in der Causa zurück.

© imago images/ITAR-TASS

Deutschland, Russland und die Proteste in Minsk: Die Bundesregierung lässt die Freiheitskämpfer in Belarus im Stich

Mit Blick auf Putin verzichtet Außenminister Heiko Maas bisher auf Deutlichkeiten. Das war schon im Fall der russischen Krim-Annexion die falsche Taktik. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Claudia von Salzen

Den Menschen in Belarus ist es gelungen, die Angst zu besiegen. Weder die Gewalt gegen Demonstranten bei den ersten Kundgebungen noch die entsetzlichen Berichte von Folter an den Gefangenen konnten die Protestbewegung abschrecken.

Damit ist bereits jetzt klar, dass der Diktator Alexander Lukaschenko verloren hat, denn autoritäre Regime können nur in einem Klima von Hoffnungslosigkeit und Angst überleben. Noch ist allerdings nicht sicher, ob er das eingesehen hat. Die Tage der Entscheidung in Belarus haben erst begonnen.

In dieser Situation will die deutsche Außenpolitik offenbar vor allem eins: nichts falsch machen. Die Bundesregierung hält sich zurück, aus geopolitischen Erwägungen – mit Blick auf Russland. Doch solche Überlegungen sind hier fehl am Platz. Wer Freiheit und Demokratie ernst nimmt, darf nicht fragend nach Moskau blicken, wenn es um die künftige Entwicklung in Belarus geht.

Nach dem militärischen Eingreifen Russlands in der Ukraine war gelegentlich zu hören, das alles wäre nicht passiert, wenn man Moskau eingebunden hätte in die Gespräche über eine Annäherung der Ukraine an die EU. Das ist ein gefährlicher Fehlschluss. Nicht der Kreml hat zu entscheiden, wie viel Liberalisierung in seinen Nachbarländern möglich ist.

Die mutigen Menschen in Belarus haben es verdient, das selbst zu bestimmen. Auch aus dem Westen brauchen sie keine paternalistischen Ratschläge.

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Die EU-Sanktionen gegen die Führung in Minsk sind zwar notwendig, aber nur der kleinste gemeinsame Nenner. Wie praktische Unterstützung für Belarus aussehen kann, hat Litauen vorgemacht, von der Öffnung der Grenze aus humanitären Gründen bis zu einer Initiative für einen Dialogprozess. Doch wer – wie die Bundesregierung – zwar Erschütterung über die Gewalt zum Ausdruck bringt, sich ansonsten aber vornehm zurückhält, der lässt die belarussischen Freiheitskämpfer im Stich.

„Neutralität hilft dem Unterdrücker, niemals dem Opfer“, hat Elie Wiesel einmal gesagt. Während selbst Kanadas Außenminister öffentlich über sein Gespräch mit der Kandidatin der Opposition berichtete, ist über einen Anruf seines deutschen Amtskollegen Heiko Maas bei Swetlana Tichanowskaja nichts bekannt.

Das weckt Erinnerungen an einen historischen Fehler der deutschen Ostpolitik: Als in Polen die Solidarnosc-Bewegung entstand und das Kriegsrecht verhängt wurde, vermied die damalige Bundesregierung Kontakte zu der Protestbewegung. Sie fürchtete, die Beziehungen zur Führung in Warschau und auch zum Kreml zu gefährden.

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Der Verdacht liegt nahe, dass die Bundesregierung aus ähnlichen Motiven auf entschlossenes Handeln im Fall Belarus bisher verzichtet hat. Denn deren Argument, man würde das Land andernfalls ganz in die Arme Moskaus treiben, hält näherer Betrachtung kaum stand. Bereits jetzt ist Belarus abhängig vom großen Nachbarn. Die Protestbewegung wiederum ist in keiner Weise antirussisch.

Das würde sich erst ändern, falls der Kreml – was keineswegs sicher ist – militärisch in den Konflikt eingreifen sollte. Die Bundesregierung und die EU müssen Wladimir Putin jetzt präventiv deutlich machen, dass ein russisches Eingreifen in Belarus für den Kreml massive Konsequenzen hätte. Beispielsweise könnten die Vermögenswerte von Putins Machtelite in der EU eingefroren werden. Dieses Mal sollte der Westen nicht warten, bis irgendwo Uniformierte ohne Hoheitszeichen auftauchen.

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