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Bundesaußenminister Heiko Maas bei der UN-Generalversammlung 2018, bei der Deutschland für zwei Jahre in den Sicherheitsrat gewählt wurde.

© Mary Altaffer/AP/dpa

Deutschland im UN-Sicherheitsrat: Nett sein genügt nicht

Im UN-Sicherheitsrat muss Deutschland sich zu seiner gestiegenen internationalen Verantwortung bekennen und ruhig auch mal Druck ausüben. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Christoph von Marschall

Deutschland ist beliebt. Von 193 Staaten haben 184 im Sommer in der UN-Generalversammlung dafür gestimmt, dass die Bundesrepublik ab 2019 für zwei Jahre Mitglied des UN-Sicherheitsrats wird – zum fünften Mal seit 1973, als die damals noch zwei deutschen Staaten, Bundesrepublik und DDR, parallel der Uno beitraten.

Das ist die positive Seite des deutschen Images in der Welt: Anerkennung und Sympathie. Deutschland, das hört man oft, habe sich mit seinen Verbrechen in den Jahren 1933 bis 1945 auseinandergesetzt und daraus gelernt. Es trete werbend und zurückhaltend auf, setze andere Staaten nicht unter Druck, engagiere sich in der Krisenprävention, der Entwicklungshilfe, für Menschenrechte, den Umwelt- und Klimaschutz. In den weltweiten Umfragen der BBC, welches Land einen guten Einfluss auf die Weltpolitik habe, belegt Deutschland seit Jahren Platz eins.

Aber ist Sympathie 2019 die globale Hauptwährung? Die Umgangsformen sind härter geworden seit 2011/12, als Deutschland zuletzt Mitglied des Sicherheitsrats war. Offenkundig halten einige Staaten es für effektiver, nicht gemocht, sondern gefürchtet zu werden, zum Beispiel Russland, die Türkei, Saudi-Arabien, Nordkorea, Israel und die USA.

Russland führt Krieg gegen die Ukraine und hat zum ersten Mal seit Ende des Zweiten Weltkriegs eine Grenze in Europa mit Gewalt verschoben. Die Türkei, damals noch Beitrittskandidat der EU, setzt im Konflikt mit den Kurden allein aufs Militärische. Saudi-Arabien hat den Bürgerkrieg im Jemen zu einer humanitären Krise eskaliert. Nordkoreas Außenpolitik setzt auf nukleare Erpressung. Und: Wie viele Staaten haben in diesem Sinn Respekt vor Deutschland - also auch ein bisschen Angst? Wie viele würden sagen: Besser beugen wir uns deutschen Wünschen, denn andernfalls haben wir mit negativen Konsequenzen zu rechnen? Schließlich ist dieses Deutschland die viertstärkste Wirtschaftsmacht der Erde und kann andere seine Verärgerung spüren lassen.

Das geostrategische Denken in Deutschland muss sich an die Realität anpassen

Nettigkeit allein reicht nicht, wenn man die Welt zum Besseren verändern möchte. Gewiss sollte man nicht gleich Militär in Marsch setzen wie Russland, der Iran, die Türkei, die USA. Aber wer im UN-Sicherheitsrat über die globale Friedensordnung wacht, sollte eine Vorstellung davon haben, wie er sie gegen Rechtsbrecher durchsetzen kann. Da hat Deutschland ein Defizit. Das galt schon 2011. Es enthielt sich bei der Abstimmung, ob die UN ein Eingreifen in Libyen befürworten.

Die erneute Mitgliedschaft wird zu einer Prüfung, inwieweit sich das geostrategische Denken in Deutschland an die Realitäten anpasst. Bundeskanzlerin Angela Merkel plädierte in ihrer Neujahrsansprache dafür, international mehr Verantwortung zu übernehmen, buchstabiert die sich daraus ergebenen Konsequenzen aber nicht aus. Und was Außenminister Heiko Maas bisher zu den deutschen Zielen gesagt hat, macht wenig Hoffnung. Er gibt zwar als Linie vor, Deutschland dürfe sich „auch vor schwierigen Entscheidungen nicht wegducken“, zählt dann aber wie üblich vor allem auf, was sympathisch klingt und niemandem weh tut: Klimaschutz, die Rollen von Frauen bei der Konfliktlösung, humanitäre Hilfe, Abrüstung.

Diese Vorhaben sind nicht falsch – aber auch nicht genug. Mit netten Worten und mehr Geld fürs Humanitäre allein wird Deutschland seiner Verantwortung im Sicherheitsrat nicht gerecht. Die Bundesrepublik sollte ihre Beteiligung an militärischen UN-Friedensmissionen ausweiten. Sie wird sich nicht enthalten können, wenn in Syrien erneut Chemiewaffen eingesetzt werden und die Frage aufkommt, ob ein Vergeltungsangriff gerechtfertigt ist.

Deutschland muss selbst für den Erhalt der internationalen Ordnung kämpfen

Deutschland muss sich auf harte Auseinandersetzungen mit China und Russland vorbereiten. Es darf nicht dabei bleiben, dass Moskau Debatten über den Krieg in der Ukraine per Veto verhindert und Peking Urteile des Internationalen Schiedsgerichts zu Hoheitsrechten im Chinesischen Meer ignoriert. Vor Saudi-Arabien darf die Bundesregierung nicht weiter kuschen, wenn Friedensverhandlungen für Jemen Erfolg haben sollen.
Deutschlands Erfolg hing in der Vergangenheit und hängt künftig davon ab, dass die internationalen Regeln gelten und Rechtsbrecher zurückgewiesen werden. Deshalb will es im Sicherheitsrat sitzen. Das nationale Interesse und die internationale Verantwortung verschmelzen da. Über Jahrzehnte war Deutschland daran gewöhnt, dass es selbst nicht viel tun muss für den Bestand dieser Ordnung. Diese Konstellation hat sich verändert. Auf andere ist weniger Verlass. Dafür ist Deutschlands Einfluss gewachsen.

Dieses Potenzial soll es klug, aber auch entschlossen nutzen - in einer breiten Koalition mit anderen Mittelmächten, die ebenfalls ein Eigeninteresse an der regelbasierten Weltordnung haben. Dass Deutschland sympathisch auftreten kann, hat es hinlänglich bewiesen. Nun muss es zeigen, ob es auch Druck ausüben kann: nicht in egoistischer Ellbogenmanier, sondern zur Verteidigung der internationalen Ordnung. Die schützt, wenn sie funktioniert, auch die Schwächeren.

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