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Deutschland wird für zwei Jahre am Tisch sitzen.

© Yorick Jansens, dpa

Deutschland im UN-Sicherheitsrat: „Ein bisschen verhandeln und Geld reichen nicht“

UN-Experte Philipp Rotmann im Interview über die Erwartungen an die Bundesregierung und die Möglichkeiten der Vereinten Nationen als Friedensstifter.

Von Hans Monath

Herr Rotmann, die Bundesregierung verbindet große Erwartungen mit ihrem Einzug in den UN-Sicherheitsrat. Zu Recht?

Die letzten Jahre waren weltweit die blutigsten seit langem, auch weil die Weltmächte im Sicherheitsrat keine gemeinsamen Lösungsansätze für die vielen Kriege gefunden haben. Im Gegenteil: Putins Russland ist in Syrien und in der Ukraine Kriegspartei und zündelt in vielen Orten; das Regime in China ist genauso wenig wie die Trump-Administration in den USA bereit, sich dem Völkerrecht zu unterwerfen. Trotzdem ist der Sicherheitsrat der beste Ort, um Wege aus der Gewalt zu finden und politische Lösungen für Konflikte zu organisieren. Zum Beispiel kommen die Verhandlungen zur Beendigung des Krieges im Jemen, die in Schweden geführt werden, besser voran, als viele erwartet haben. Auch Deutschland kann dabei helfen, weil es in der Konfliktregion großes Vertrauen genießt.

Wie gut ist die Bundesregierung gerüstet für ihre Aufgabe?

Ich fürchte, die Bundesregierung unterschätzt die Aufgabe. Mit ein bisschen Verhandeln, ein bisschen Mediation, ein bisschen Geld für zivile Wiederaufbauprojekte wird es nicht getan sein. Da werden auch schwere Entscheidungen auf Deutschland zukommen wie bei unserer letzten Mitgliedschaft im Sicherheitsrat die Frage des Eingreifens in Libyen, als zehntausende Menschen in Lebensgefahr waren und Deutschland sich enthielt. Auf solche Entscheidungen sind Union und SPD heute kaum besser vorbereitet als damals.

Wie fällt die Bilanz der UN als globaler Friedensstifter aus?

In keinem einzigen der großen Kriege und Konflikte der vergangenen Jahre konnten die Vereinten Nationen Frieden schaffen, den Aggressoren Grenzen setzen oder die Einhaltung des Völkerrechts erzwingen. In Syrien steht eine der Vetomächte - Russland - direkt auf der Seite des Massenmörders Assad, China deckt das Assad-Regime teilweise ebenso, und die USA sind über ihre engen Beziehungen zu Saudi-Arabien auch in keiner einfachen Position. In der Ukraine ist Russland der wesentliche Aggressor. Dadurch war der Sicherheitsrat bisher die meiste Zeit blockiert, und die dahinterliegenden Auseinandersetzungen und Motive strahlen dann auch auf andere Konflikte aus.

Also fällt die Bilanz negativ aus?

Keineswegs. Gleichzeitig haben die VN in den letzten Jahren wichtige, wenn nicht entscheidende Beiträge geleistet, um den Ausbruch zusätzlicher Kriege zu verhindern. Nur ein Beispiel: Gambia in Westafrika stand um den Jahreswechsel 2016/17 kurz vor dem Bürgerkrieg, und das Säbelrasseln des großen Nachbarn Senegal hätte daraus in kürzester Zeit einen regionalen Flächenbrand gemacht - mit vielen Millionen zusätzlichen Flüchtlingen als Folge. Ohne die stille Shuttle-Diplomatie des UN-Sondergesandten dort und die gute Zusammenarbeit zwischen der UN und den Regierungen der Region hätten wir davon viel mehr gehört. Hier war auch der Sicherheitsrat einig und handlungsfähig!

Welchen militärischen Großkonflikt haben die UN überhaupt jemals gelöst?

Keinen - und das ist auch nicht ihre Aufgabe. Wenn einer oder mehrere der entscheidenden Akteure der UN, die fünf ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates China, Russland, USA, Großbritannien und Frankreich, selbst Kriegsparteien sind oder eng mit einer der Parteien verbunden, dann ist die UN entweder blockiert oder läuft Gefahr, selbst Partei zu werden. Nur die Konfliktparteien selbst können ihre Probleme miteinander lösen - die UN kann nur dabei helfen. Vor allem kann sie eine entscheidende Rolle dabei spielen, dass neue Konflikte nicht eskalieren und dass einmal gefundene Konfliktlösungen halten. Das ist immer wieder gelungen in den letzten Jahrzehnten.

Mit welchen Mitteln?

Eines der wichtigsten Instrumente dabei sind die Friedenseinsätze: mit über 120.000 Konfliktspezialisten, Soldaten und Polizeibeamten in 14 Blauhelmmissionen betreiben die Vereinten Nationen nach den USA die zweitgrößte "Armee" im weltweiten Einsatz - nur sind es eben nicht nur Militärs, sondern Friedenseinsätze unter ziviler politischer Führung, die Vertrauen schaffen und Gewalt verhindern, damit Frieden wachsen kann.

Außenminister Heiko Maas hofft, dass Deutschland in den UN beitragen kann, eine regelbasierte, liberale Weltordnung gegen Zerfallserscheinungen zu retten. Ist das ein realistisches Ziel?

Es bleibt uns nichts anderes übrig: unsere Freiheit und unser Wohlstand sind vollkommen abhängig von einer Ordnung, die nicht nur berechenbar ist - also regelbasiert - sondern auch persönliche und wirtschaftliche Freiheiten garantiert. Aber im Moment scheint der Außenminister sehr risikoscheu an die Sache ranzugehen und in verbissenen Rückzugsgefechten möglichst viel von dieser bestehenden Ordnung verteidigen zu wollen. Dafür sind die Aussichten nicht gut, das ergibt sich schon aus den Kräfteverhältnissen: China und Russland arbeiten aktiv daran, die liberale Ordnung zu schwächen, und die Position der meisten anderen nicht-westlichen Staaten ist zumindest gespalten: die bestehende Ordnung und die dahinterstehende westliche Vorherrschaft war zwar für viele eine riesige wirtschaftliche Aufstiegschance, wird aber auch als willkürlich und unfair empfunden. Die Vorherrschaft der USA und Europas und unsere damit verbundenen wirtschaftlichen und politischen Vorteile möglichst lange zu bewahren ist kein Ziel, für das Maas in New York Mehrheiten finden wird.

Was sollte er stattdessen anstreben?

Was fehlt, sind überzeugende Angebote an diejenigen, die auch keine autoritäre, staatskapitalistische Welt wollen. Die Frage lautet: Wie können wir gemeinsam mit Ländern wie Indien, Japan und Südkorea, mit Lateinamerika und mit afrikanischen Staaten wie Südafrika und Äthiopien eine wehrhafte Ordnung schaffen, die unter den neuen technologischen Rahmenbedingungen besser als bisher Gewalt und Krieg vermeidet, demokratische Selbstbestimmung ermöglicht und fairen Handel fördert?

Ist es vernünftig, nach dem Ausfall der USA als Weltordnungsmacht unter Trump eine "Allianz der Multilateralisten" auszurufen?

Durchaus. Nur in Zusammenarbeit mit anderen Multilateralisten kann Deutschland solche Ideen entwickeln, um in der Gegenwart tragfähige Mehrheiten zu organisieren.

Ist diese Allianz, zu der weder die USA noch China noch Russland zählen, machtpolitisch überhaupt gerüstet für ihre Ziele?

Auch die USA profitieren enorm von der bestehenden Ordnung, und auch die Trump-Administration will nicht alle ihre Regeln und Werte zerlegen. Deshalb geht es nicht um Fundamentalopposition gegen Trump oder "die Großen", sondern darum, unsere gemeinsamen Interessen mit den anderen Multilateralisten zu schützen und Initiativen zu entwickeln, die als gemeinsames Angebot der Multilateralisten zum Beispiel auch für die Trump-Leute attraktiv sind. Dafür kann so eine Gruppierung eine Menge Einfluss auf die Straße bringen: die vielen kleinen Länder, die noch stärker von multilateralen Regeln abhängen als wir, sind ein riesiger Stimmenblock in den Vereinten Nationen - die können durchaus Dinge voranbringen, das hat die Einigung auf dem Klimagipfel in Kattowitz gerade erst wieder gezeigt.

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Hat sich Deutschland für seine zwei Jahre im Sicherheitsrat die richtigen Aufgaben gesteckt?

Der deutsche UN-Botschafter Christoph Heusgen verfolgt wichtige Ziele, wenn er den Schwerpunkt auf Sicherheitspolitik legen will und beansprucht, nicht nur Deutschland, sondern soweit wie möglich auch die EU zu vertreten. Im Detail scheint da in der Bundesregierung aber das letzte Wort noch nicht gesprochen zu sein. 2011/12, als Deutschland zum letzten Mal im Sicherheitsrat war, sind neben einer Reihe von Erfolgen auch eine Menge Probleme deutlich geworden.

Welche Probleme sind das?

Im Großen und Ganzen sind diese Probleme heute immer noch die Gleichen - keiner der letzten drei SPD-Außenminister hat sich um Personal für ausgezehrte Mini-Botschaften gekümmert, weder die Verteidigungsministerin noch der Innenminister oder die Kanzlerin haben die notwendigen Fähigkeiten für UN-Einsätze zur Priorität gemacht. Und die Frage der Vertretung Europas wird von der Arbeitsebene blockiert, hier haben Merkel und Maas schon im Sommer die richtigen Ziele ausgegeben - nur fehlt es bisher an der konkreten Umsetzung.

Die Koalitionsmehrheit im Bundestag hat die Regierung im Sommer aufgefordert, für eine verbesserte Zusammenarbeit des Sicherheitsrat mit der Peacebuilding-Kommission sowie dem Menschenrechtsrat und seinen Mechanismen einsetzen, um Prävention, Konfliktbewältigung und Friedenskonsolidierung im UN-System zu befördern. Klingt das nur gut - oder sind dort Verbesserungen wichtig und entscheidend für die Welt?

Das klingt ganz wunderbar, und das sind auch wichtige Aufgaben. Aber die Probleme der Zusammenarbeit zwischen Institutionen sind so kompliziert, dass man damit viel Zeit verbringen kann, ohne dass sich die Frage stellt, ob Deutschland eigentlich nur seine Beiträge zahlen und klug daherreden will, oder ob wir über Mali hinaus auch bereit sind, das Risiko und die Verantwortung für die großen und schwierigen Konflikte mitzutragen, über die wir als eines der 15 Ratsmitglieder ab Januar mitentscheiden. Dieser Beschluss reflektiert einen kleinsten gemeinsamen Nenner, denn genau in den Koalitionsfraktionen fehlt leider bisher das breite Bewusstsein dafür, wie schwerwiegend die Lücken sind, die Deutschlands fehlende Präsenz in den Friedenseinsätzen dort reißt und welchen positiven Beitrag die Bundesregierung dort leisten könnte. Die 192 anderen UN-Mitgliedsstaaten verbeugen sich nicht jedes Jahr dankend, weil Deutschland als reiches Land auch recht viel Geld bezahlt -
sie sehen vor allem, was die wachsende deutsche Bundeswehr und die wachsende deutsche Polizei mit vergleichsweise wenig Aufwand alles leisten könnte, um die oft nur notdürftig funktionsfähigen Blauhelmeinsätze erfolgreicher zu machen. Das ist der Punkt, wo Deutschland entscheidende und weltweit sichtbare Beiträge leisten könnte.

Sehen Sie regionale Konflikte, in denen der Sicherheitsrat vom kommenden Jahr an wichtigen Einfluss nehmen könnte?

Ja, und ganz oben steht Syrien: Sobald Russland einen gesichtswahrenden Ausweg aus Syrien sucht, wird der Sicherheitsrat wieder eine entscheidende Rolle spielen. Dann Jemen, entweder zur Förderung der Verhandlungen oder, im Erfolgsfall, zur Umsetzung und Durchsetzung des Ergebnisses. Im Südsudan, in der Demokratischen Republik Kongo und in der Zentralafrikanischen Republik kommt es ohnehin auf den Sicherheitsrat an, vor allem aber im Umgang mit neuen Risikosituationen und dem Versuch, die Eskalation zum Krieg zu verhindern. Gerade dort, wo sich die Vetomächte noch nicht in eine gegenseitige Blockade verkeilt haben, kann ein Land wie Deutschland konstruktive und auch wirksame Beiträge leisten.

Ist das Thema Reform des Sicherheitsrates noch aktuell, das Japan, Brasilien, Indien und Deutschland vorangetrieben haben?

Der Sicherheitsrat vertritt immer noch vor allem die Siegermächte des Zweiten Weltkriegs, westliche Staaten sind über- und andere unterrepräsentiert. Insofern bleibt der Rat eines der am wenigsten legitimen Elemente dieser regelbasierten Weltordnung, die Merkel und Maas in New York verteidigen wollen. Der Vorschlag, für den Deutschland mit Brasilien, Indien und Japan wirbt, ist trotzdem für die nächsten zwei Jahre nicht realistisch: ein zusätzlicher ständiger Sitz für Deutschland würde das Problem der westlichen Vorherrschaft nur verschärfen, China möchte weder Japan noch Indien dort sehen, und ob ausgerechnet Brasilien die einzige und beste Führungsmacht für Lateinamerika sein sollte, steht seit der Wahl Bolsonaros gerade wieder besonders infrage.

Kommt jemals der ständige europäische Sicherheitsratssitz, den die Koalition anstrebt?

Vielleicht in zehn, fünfzehn Jahren? Kurzfristig sicher nicht: dafür müsste Frankreich vollkommen überzeugt sein, dass die Europäische Union bereit ist, seine sicherheitspolitischen Interessen und die Verantwortung, die das Land für seine ehemaligen Kolonien trägt, zu 100 Prozent zu übernehmen - bis hin zu militärischen Kampfeinsätzen. Dazu klaffen das Verständnis vom Nutzen und der Notwendigkeit militärischer Gewalt zwischen den EU-Ländern noch viel zu weit auseinander - gerade zwischen Deutschland und Frankreich.

Philipp Rotmann leitet die friedens- und sicherheitspolitische Arbeit am Global Public Policy Institute (GPPi) in Berlin.
Philipp Rotmann leitet die friedens- und sicherheitspolitische Arbeit am Global Public Policy Institute (GPPi) in Berlin.

© GPPi

Philipp Rotmann ist UN-Experte im Berliner Büro des Thinktanks Global Public Policy Institute (GPPi). Sein Buch „Krieg vor der Haustür: Die Gewalt in Europas Nachbarschaft und was wir dagegen tun können“ (mit Sarah Brockmeier, Dietz-Verlag) erscheint Ende Januar. Die PeaceLab-Debatte zu Deutschlands Agenda im UN-Sicherheitsrat ist auf PEACELAB zu finden

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