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In Windhoek (Namibia) erinnert ein Mahnmal an die Opfer des deutschen Völkermords.

© Gianluigi Gaercia/AFP

Deutschland erkennt Völkermord an: „Weiter von Aussöhnung entfernt als vorher“

Deutschland einigt sich mit Namibia und will sich für Kolonialverbrechen an Herero und Nama entschuldigen. Doch von den Betroffenen gibt es Kritik.

Die Deutschen gingen mit brutaler Härte vor. In der damaligen Kolonie Deutsch-Südwestafrika, dem heutigen Namibia, wurden Angehörige der Herero und Nama in Ketten gelegt, in Konzentrationslagern zur Zwangsarbeit herangezogen oder in die Wüste getrieben, damit sie dort verdursteten.

Der deutsche Kommandant Lothar von Trotha hatte den Befehl ausgegeben, keine männlichen Gefangenen zu machen und innerhalb der Grenzen der deutschen Kolonie auf jeden Herero zu schießen. Die Aufständischen müssten „in Strömen von Blut“ vernichtet werden. Zwischen 1904 und 1908 wurden 65000 der 80000 in Deutsch-Südwestafrika lebenden Herero und 10000 der 20000 Nama getötet. Dieser Massenmord gilt als der erste Genozid des 20. Jahrhunderts.

Doch erst jetzt – nach jahrzehntelangem Schweigen – erkennt Deutschland die Verbrechen an den Herero und Nama tatsächlich als Völkermord an. „Wir werden diese Ereignisse jetzt auch offiziell als das bezeichnen, was sie aus heutiger Perspektive sind: ein Völkermord“, erklärte Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) am Freitag.

„Im Lichte der historischen und moralischen Verantwortung Deutschlands werden wir Namibia und die Nachkommen der Opfer um Vergebung bitten.“ Außerdem will Deutschland das Land und die Nachfahren der Ermordeten mit insgesamt 1,1 Milliarden Euro unterstützen. Maas bezeichnete dies als „Geste der Anerkennung des unermesslichen Leids, das den Opfern zugefügt wurde“.

Die Ankündigung des Ministers ist das Ergebnis von Verhandlungen zwischen Deutschland und Namibia, die fast sechs Jahre dauerten und auf deutscher Seite vom ehemaligen CDU-Außenpolitiker Ruprecht Polenz geführt wurden. Ein entsprechendes Abkommen müssen die Außenminister beider Staaten noch unterzeichnen, einen Termin dafür gibt es allerdings noch nicht.

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Außerdem wird in Berlin erwartet, dass Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier nach Namibia reist, um dort um Vergebung für den von Deutschen verübten Völkermord an den Herero und Nama zu bitten. „Einen Schlussstrich unter der Vergangenheit kann es nicht geben“, betonte Maas. Die Anerkennung der Schuld und die Bitte um Entschuldigung seien aber ein wichtiger Schritt, um die Verbrechen aufzuarbeiten und gemeinsam die Zukunft zu gestalten.

Bundesregierung: Kein Rechtsanspruch auf Entschädigung

Zugleich macht die Bundesregierung eine entscheidende Einschränkung: „Rechtliche Ansprüche auf Entschädigung lassen sich daraus nicht ableiten“, betonte Maas. Die Bundesregierung vertritt die Auffassung, dass sie auch nach der Anerkennung des Genozids völkerrechtlich zu nichts verpflichtet sei. Die rechtliche Normierung des Völkermord-Begriffs sei erst 1948 erfolgt, eine Rückwirkung gebe es nicht, betonte ein Sprecher des Auswärtigen Amtes. Dagegen fordern Opfervertreter von Deutschland Reparationen.

Die finanzielle Zusage aus Deutschland sieht keine direkten Zahlungen an die Nachkommen der Opfer vor. Das Geld soll stattdessen in Wiederaufbau und Entwicklung fließen. Bei der Gestaltung dieses Programms sollten „die vom Völkermord betroffenen Gemeinschaften eine entscheidende Rolle einnehmen“, versprach Maas. Geplant ist, dass Deutschland Projekte in den Bereichen Landreform, Landwirtschaft, Infrastruktur, Wasserversorgung und Berufsbildung finanziert, offenbar vorrangig in den Siedlungsgebieten der Herero und Nama. Das von Deutschland zugesagte Geld soll erst über einen Zeitraum von 30 Jahren fließen.

Die Anerkennung Deutschlands, dass ein Völkermord begangen wurde, sei „der erste Schritt in die richtige Richtung“, sagte ein Sprecher von Namibias Präsident Hage Geingob. „Er ist die Grundlage für den zweiten Schritt – eine Entschuldigung, der Reparationen folgen müssen.“

Zudem hatten Vertreter der Herero und Nama kritisiert, dass unabhängige Opferverbände und die Diaspora nicht an den Verhandlungen beteiligt worden seien. Vor drei Jahren hatten sie sogar in New York Klage eingereicht, um bei den Gesprächen mit Deutschland am Verhandlungstisch sitzen zu können.

Ein Vertreter der Herero warf der namibischen Regierung nun vor, sie habe sich von Deutschland zu diesem Abkommen drängen lassen. „Wir werden kein Ergebnis akzeptieren, das von diesen beiden Regierungen erzielt wurde“, sagte Mutjinde Katjiua, Generalsekretär der Ovaherero Traditional Authority.

„Wenn Aussöhnung das Ziel war, ist man jetzt weiter davon entfernt als vor dem Beginn der Verhandlungen“, sagte der Kolonialismusforscher Jürgen Zimmerer dem Tagesspiegel. Die Deutschen hätten es versäumt, alle Seiten an einen Tisch zu bringen. Nun sei in Namibia sogar von „kolonialherrlicher Attitüde“ die Rede. Beim Steinmeier-Besuch könne es zum Eklat kommen, wenn Herero und Nama während seiner Rede den Raum verließen.

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