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Wie hilft man der angeschlagenen Türkei?

© Kay Nietfeld/dpa

Diskussion in deutscher Politik: "Größtes Interesse an stabiler Türkei"

Hilfen für die angeschlagene Türkei bewegen die deutsche Politik. Doch wie ist die Krise eigentlich entstanden? Und warum ist sie so gefährlich? Ein Überblick.

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Eine autokratische Regierungsführung, zahllose Inhaftierungen von Regimegegnern – und nun soll Deutschland dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan aus der Wirtschafts- und Finanzkrise helfen, und zwar ungeachtet der politischen Auseinandersetzungen beider Regierungen? Für diese Forderung kassierte SPD-Chefin Andrea Nahles am Montag heftige Kritik. Von der Opposition, aber auch vom Koalitionspartner.

„Absurd“ nannte der FDP-Außenpolitiker Alexander Graf Lambsdorff derartige Unterstützung für einen Präsidenten, der sein Land selbst in die aktuelle Krise manövriert hat. Und auch der außenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Jürgen Hardt, schob Hilfen an die Türkei vom Tisch, solange Erdogan seinen Kurs in Fragen der Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit nicht aufgebe. Selbst die Kanzlerin und CDU-Vorsitzende ließ nach den Gremiensitzungen ihrer Partei wissen, dass sie „zurzeit“ keine Notwendigkeit sehe, über „besondere deutsche Hilfe für die Türkei nachzudenken".

Im Hintergrund aber laufen die Vorbereitungen für eine solche Unterstützung längst. Schließlich ist allen Beteiligten bewusst, dass die anhaltende Schwäche der türkischen Lira und die massive Inflation kein nationales Problem der Türkei sind, sondern sehr rasch um sich greifen kann - mit Folgen auch für die Europäische Union.

"Größtes Interesse an stabiler Türkei"

Deutschland habe „größtes Interesse an einer wirtschaftlich stabilen Türkei“, betonte Merkels Regierungssprecher Steffen Seibert denn auch am Montag und er fügte wohl eher zur Beruhigung kritischer Gemüter hinzu, im Fokus der Bundesregierung stünden Hilfen „aktuell“ nicht. Denn spätestens, seit Vizekanzler und Finanzminister Olaf Scholz (SPD) am vergangenen Donnerstag mit seinem Amtskollegen Berat Albayrak, Erdogans Schwiegersohn, telefoniert hat, ist klar, dass der Präsident ohne deutsche Unterstützung nicht auskommen wird, wenn er sich den harten Verhandlungen um die Bedingungen für ein Hilfsprogramm des Internationalen Währungsfonds (IWF) nicht stellen will. Und daran hat Erdogan bislang keinen Zweifel gelassen.

Wie die Bundesregierung die Türken unterstützen kann, wollen Berlin und Ankara bis Mitte September klären. Man sei „am Anfang von Gesprächen“, sagte der Sprecher von Scholz. Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) ließ mitteilen, dass es eine ganze Reihe von möglichen Unterstützungen gebe. Scholz und Altmaier werden am 21. September, also eine Woche vor dem Besuch Erdogans in Berlin, mit ihren Ressortkollegen über die Wünsche Ankaras und die deutschen Möglichkeiten sprechen. Dass Scholz seinem türkischen Kollegen geraten habe, sich an den IWF zu wenden, wies das Finanzministerium allerdings mit dem Hinweis zurück, jedes Land müsse selbst wissen, wann es das tue.

EU-Kommissar Günther Oettinger hingegen brachte IWF-Hilfen ins Spiel und will Europa vorerst draußen halten. Denn die Türkei ist zwar Nato-Partner, aber nicht EU-Mitglied, die Brüsseler sind damit nicht die erste Adresse für Hilfsgesuche aus Ankara. Wenngleich das Interesse Europas an einem stabilen Nachbarn groß ist.

Lira-Verfall ist größtes Problem

Der Kern des türkischen Problems ist der Verfall der Währung. Und das nicht erst seit dem Frühjahr, als die Abwertung sich nochmals beschleunigte. Nach Zahlen der Internationalen Bank für Zahlungsausgleich hat die türkische Lira im Vergleich mit einem Korb von anderen Währungen seit 2010 massiv an Wert verloren – schlimmer war es nur noch beim argentinischen Peso. Die Lira fiel demnach bis April 2018 um nominal mehr als 60 Prozent. Die wirtschaftskriegerischen Drohungen mit höheren Zöllen auf türkische Produkte von US-Präsident Donald Trump haben den Absturz zuletzt massiv beschleunigt.

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Entscheidend ist vor allem der Niedergang gegenüber dem US-Dollar und dem Euro. Denn wie in vielen Schwellenländern läuft auch die Verschuldung in der Türkei vielfach über diese großen Leitwährungen. Fällt die Lira, müssen Staat und Unternehmen erheblich mehr aufbringen, um die Zinsen und Tilgungen ihrer Kredite in Dollar oder Euro finanzieren zu können. Dass diese Kredite in den vergangenen Jahren zu relativ geringen Zinsen zu haben waren, sowohl bei europäischen wie amerikanischen Geldgebern, hilft da wenig.

Gefahr wachsender Kreditausfälle

Das Ausfallrisiko steigt also, die Kreditgeber müssen mit einer wachsenden Zahl fauler Kredite rechnen. Gleichzeitig steigen neue Kreditgeber vorerst nicht mehr ein, der übliche Teufelskreis einer Schuldenkrise setzt sich fort. Zwar ist der türkische Staat noch eher moderat verschuldet (die Kernverschuldung liegt bei etwa 30 Prozent des Bruttoinlandsprodukts), aber die Privatleute sind es nicht mehr. Die hohe Inflation ist kreditgetrieben, auch in der Türkei selbst, schon vor Jahren warnte Erdogan seine Landsleute vor dem leichtsinnigen Einsatz von Kreditkarten. Aber er verhinderte nötige Zinserhöhungen, wohl weil er fürchtete, dadurch an Sympathien zu verlieren. Immerhin basiert seine Popularität darauf, dass in seinen Amtszeiten als Regierungschef und Präsident die türkische Wirtschaft florierte – aber eben zu sehr auf Pump. Die von vielen Ökonomen geforderte deutliche Zinserhöhung verweigerte er so wohl auch aus Stolz, weil sie ihm als Zeichen von Schwäche erscheint. Um das zu sichern, hat er seinen Einfluss auf die Zentralbank zuletzt noch erhöht.

Die Türkei hat zudem ein Außenhandelsdefizit. Importe werden also nicht allein durch eigene Ausfuhren finanziert. Da vor allem Öl in Dollar gehandelt wird, muss das Land für das eingeführte Benzin immer mehr bezahlen. Nicht umsonst spielte das gerade erst im Wahlkampf eine Rolle, als Erdogan billigen Sprit versprechen musste, um die Laune der Wähler nicht weiter zu verderben. Dass nun Geld aus der Türkei flüchtet (oder die Türken noch mehr Lira in stärkere Währungen umtauschen), kündigt den absehbaren Einbruch der Wirtschaft an.

Risiko für deutsche Banken "überschaubar"

Von Unternehmenspleiten und Privatinsolvenzen betroffen sind alle Geldgeber, türkische wie europäische oder amerikanische. Das Risiko deutscher Banken ist laut Bundesbankpräsident Jens Weidmann „überschaubar“. Weitstärker involviert sind Großbanken aus Spanien (vor allem die BBVA), Frankreich (BNP Paribas) und den Niederlanden (ING). Diese haben sich in den vergangenen Jahren stark im Wachstumsland Türkei engagiert und hofften wohl auch, ihre eigenen Bilanzen, die in der Finanzkrise nach 2008 gelitten hatten, dort etwas aufzubessern. Einige gründeten dort neue Töchter oder bauten diese aus, andere beteiligten sich an türkischen Banken. Müssten sie nun Kredite abschreiben, würde die Türkei-Krise auch in die Euro-Zone wandern. Das Ausmaß ist derzeit schwer auszumachen, aber Rettungsmaßnahmen sind nicht auszuschließen.

Erst recht, wenn das Türkei-Desaster auf andere Schwellenländer übergreift. Die sind zwar meist etwas solider aufgestellt, weder in Russland noch Indien noch Brasilien deuten sich ähnliche Entwicklungen an. Aber Schwellenländer-Investoren neigen zu harten Reaktionen. Schon sinken die Kurse von Rubel, Rupie oder des südafrikanischen Rand ebenfalls. Damit aber steigt das Kreditrisiko in den Schwellenländern insgesamt, weil sie alle stark in Dollar oder Euro verschuldet sind. Und dann nimmt die Krise wirklich ernste Dimensionen an.

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