zum Hauptinhalt
Manche fragen lieber nach der Gesinnung statt nach Lösungen - leider auch in der Debatte über Erstklässler ohne deutsche Sprachkenntnisse.

© dpa/Arno Burgi

Deutsche Debattenkultur: Für die Freiheit der Andersdenkenden

Carsten Linnemann erntete Empörung, als er das Problem von Schülern ohne Deutschkenntnisse ansprach. Doch Empörung beseitigt keine Probleme. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Hans Monath

Aus manchen Debatten lässt sich mehr lernen, wenn sie schon ein paar Tage alt sind. Das gilt auch für die Diskussion, die Carsten Linnemann zum Thema Deutschkenntnisse bei der Einschulung angestoßen hat. Empörung schlug dem CDU-Politiker entgegen, "Stimmenfang im rechten Sumpf" warf ihm Linken-Chefin Katja Kipping vor, andere sprachen von "populistischem Unfug", in den sozialen Netzwerken ging es hoch her.

Dabei hatte der Wirtschaftsexperte das Wort "Grundschulverbot" gar nicht gesagt, das ihm eine Nachrichtenagentur zuschrieb, bevor sie sich korrigierte. Der Ärger, den Kinder von Einwanderern artikulierten, die auch ohne anfängliche Deutschkenntnisse ihren Weg gemacht haben, er wäre verständlicher gewesen, wenn der CDU-Mann sie tatsächlich von der Schule hätte verbannen wollen.

Auch wenn Linnemanns Rezepte von manchen Pädagogen und Wissenschaftlern für untauglich erklärt wurden: Andere, nicht weniger erfahrene Praktiker und Forscher bescheinigten ihm, er beschreibe einen Missstand, der nicht nur diesen Kindern, sondern auch der gesamten Gesellschaft vermeidbare Nachteile bringe. Ganz neu ist diese Einsicht nicht, trotzdem war die Abwehr aus einem Teil der Öffentlichkeit heftig.

Wenn mit Hinweis auf eine inkorrekte Sprache oder verdeckte politische Absichten das Reden über ein Problem verhindert werden soll, wird es gefährlich. Denn das Beschweigen von Missständen aus vermeintlich besten Motiven macht die Sache meist nur schlimmer. Gerade, wo es um Flüchtlinge, Integration, Kriminalität, Frauenbilder und Religion geht, gilt der Satz: Wenn die Vernünftigen sich nicht mit den Problemen beschäftigen, beschäftigen sich nur noch die Unvernünftigen damit.

Franziska Giffey kann davon ein Lied singen: Als die Bundesfamilienministerin in ihrer Zeit als Bezirksbürgermeisterin von Neukölln kriminellen Familienclans arabischer Herkunft Grenzen setzen wollte, wurde ihr aus der eigenen Partei, der SPD, Rassismus vorgeworfen. Heute, viele Jahre später, gehen die Behörden auch in anderen Bundesländer auf vielen Ebenen gegen solche Strukturen vor. Und es erscheint seltsam, dass sie sich erst jetzt dazu aufraffen.

Das öffentliche Ansprechen der vermeintlich heißen Themen ist notwendig, damit das Gespräch von Menschen mit unterschiedlicher sozialer Herkunft und mit unterschiedlichen Meinungen weiter möglich bleibt. Wenn immer mehr Bürger den Eindruck haben, ihre eigene Weltsicht sei in den meisten Medien nicht mehr vertreten oder sie dürften öffentlich nicht ihre wahre Meinung sagen, ohne Nachteile zu erleiden, sollten Demokraten sich Sorgen machen.

Rechtspopulisten arbeiten daran, den Austausch von Argumenten zu unterbinden, indem sie ihren Gegnern die Zugehörigkeit zu einem imaginierten reinen deutschen Volk absprechen, das es nie gegeben hat. Aber auch die Verteidiger der Offenheit und Freiheit machen Fehler.

Wer andere aus dem Diskurs verbannen will, weil deren Motive oder Sprache angeblich vergiftet sind, bringt das Gespräch zum Verstummen. Dann steht Inklusion zwar noch auf der Fahne, in der Praxis aber regiert die Exklusion. Wer die Vielfalt der Gesellschaft erhalten will, muss deshalb die Vielfalt der Meinungen nicht nur ertragen, sondern verteidigen. Auch wenn das manchmal weh tut.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false