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Kardinal Reinhard Marx bei der Deutschen Bischofskonferenz.

© Kai Pfaffenbach/REUTERS

Update

Bischofskonferenz zu Kindesmissbrauch: Kardinal Marx: „Ich schäme mich“

Die Bischofskonferenz stellt eine Studie zu Missbrauch in der katholischen Kirche vor. Kardinal Marx entschuldigt sich auch persönlich bei den Opfern.

Kardinal Reinhard Marx hat mit deutlicher Selbstkritik an der Kirche und an seinem eigenen Handeln auf die Veröffentlichung der Studie zum Kindesmissbrauch in der katholischen Kirche reagiert: „Allzulange ist in der Kirche Missbrauch geleugnet, weggeschaut und vertuscht worden“, sagte der Vorsitzende der Konferenz am Dienstag bei der Deutschen Bischofskonferenz in Fulda. Er bitte alle Opfer um Entschuldigung. "Ich tue es auch ganz persönlich", sagte er. „Ich schäme mich für das Vertrauen, das zerstört wurde; für die Verbrechen, die Menschen durch Amtspersonen der Kirche angetan wurden." Viel zu lange habe man geglaubt, das Thema sei bald vorbei.

„Ich empfinde Scham für das Wegschauen von vielen, die nicht wahrhaben wollten, was geschehen ist und die sich nicht um die Opfer gesorgt haben. Das gilt auch für mich! Wir haben den Opfern nicht zugehört. All das darf nicht folgenlos bleiben. Die Betroffenen haben Anspruch auf Gerechtigkeit“, so Marx weiter.

Sexueller Missbrauch sei ein Verbrechen, ergänzte Marx. Und wer schuldig sei, müsse bestraft werden. Man habe zu lange weggeschaut um der Institution willen „und des Schutzes von uns Bischöfen und Priestern willen“. Die Kirche habe Machtstrukturen zugelassen und „meist einen Klerikalismus gefördert, der wiederum Gewalt und Missbrauch begünstigt hat“.

Jetzt müsse man viel stärker als bisher die Opfer einbeziehen, so der Kardinal weiter. Diesen müsse Gerechtigkeit widerfahren. Die Kirche müsse neues Vertrauen aufbauen und nicht enttäuschen: „Ich weiß dass das schwer ist. Ich verstehe viele, die sagen: Wir glauben Euch nicht.“ Er hoffe sehr, dass „wir Vertrauen zurückgewinnen können. Und um es klar zu sagen, es geht dabei nicht um die Rettung einer Institution.“

Die Studie ergab unter anderem, dass zwischen 1946 und 2014 mindestens 1670 katholische Kleriker 3677 Minderjährige missbraucht haben sollen. Marx erklärte dazu: „Die Auseinandersetzung mit den Ereignissen und den Konsequenzen ist damit nicht abgeschlossen, sondern beginnt jetzt.“

Marx betonte weiter, er habe Papst Franziskus bereits über die Ergebnisse der Studie informiert. Zugleich kündigte er an, ebenso wie die anderen deutschen Synodenteilnehmer das Thema Missbrauch auch bei der bevorstehenden Jugendsynode im Vatikan zur Sprache zu bringen. Verschiedene Bischöfe aus der Weltkirche hatten wegen des Themas Missbrauch ihre Teilnahme an der Synode abgesagt.

Familienministerin Giffey: Studie zu Kindesmissbrauch "nur der Anfang"

Im Bezug auf die Studie forderte Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) eine konsequente Aufarbeitung. "Die Ergebnisse der Studie sind erschütternd und gleichzeitig ist klar, dass das nur der Anfang sein kann", erklärte Giffey am Dienstag in Berlin. "Ich erwarte schonungslose Aufklärung und sehe die Studie nur als Ausgangspunkt."

Es gehe dabei nicht nur um den Blick in die Vergangenheit, mahnte Giffey. "Der Gedanke, dass noch heute Menschen in der katholischen Kirche Verantwortung tragen, die Kinder sexuell missbraucht haben, ist unerträglich." Die Täter dürften keine kirchlichen Ämter mehr haben. "Auch hier erwarte ich konsequentes Handeln der katholischen Kirche."

Giffey bezeichnete sexuelle Gewalt gegen Kinder und Jugendliche als gesamtgesellschaftliches Problem. Allein im vergangenen Jahr seien bundesweit mehr als 11.500 Fälle von sexuellem Missbrauch an Kindern erfasst worden, und die Dunkelziffer sei "noch weit höher". Alle seien mitverantwortlich dafür, derartige Taten zu verhindern.

Auch Bundesjustizministerin Katarina Barley (SPD) hat mit Blick auf die Studie über Missbrauch in der katholischen Kirche Konsequenzen gefordert. Die Bistümer und Orden müssten endlich Verantwortung für jahrzehntelanges Vertuschen und Verleugnen übernehmen, erklärte Barley am Dienstag in Berlin. „Wie massiv aus dem Inneren der Kirche heraus Vertrauen, Abhängigkeiten und Macht missbraucht wurden, ist unerträglich. Kindern ist unermessliches Leid zugefügt worden, das sie ein Leben lang verfolgt.“

Nur wenn sich die katholische Kirche ernsthaft der Debatte über Machtstrukturen und Sexualmoral stelle, könne sie Glaubwürdigkeit zurückgewinnen, so die SPD-Politikerin weiter. Schweigekartelle dürfe es nicht mehr geben. Stattdessen brauche es eine Kultur des Hinsehens und Eingreifens. Prävention sei zudem der beste Opferschutz.

Die Justizministerin verlangte, dass die Kirche jede Tat anzeigt. Der Rechtsstaat könne nur funktionieren, wenn ihm Taten gemeldet würden. Die Kirche müsse durch unabhängige Untersuchungen sicherstellen, dass das Leid der Opfer dokumentiert und die Verbrechen der Täter aufgeklärt würden.

Zugleich würdigte sie den Mut der Betroffenen, „trotz aller verfestigten Tabus über diese furchtbaren Erlebnisse zu reden“. Notwendig sei eine Enttabuisierung, damit mehr Täter zur Rechenschaft gezogen und neue Taten verhindert würden.

ZdK will, dass Kirche ihr Verständnis von Sexualität überdenkt

Die Bischofskonferenz stellt am Mittag auf ihrer Herbstvollversammlung in Fulda die von ihr in Auftrag gegebene Studie zum Kindesmissbrauch in der katholischen Kirche vor. Auszüge wurden schon im Vorfeld bekannt, viele Kirchenvertreter bezogen bereits Stellung. Das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) sprach sich dafür aus, dass „die Kirche ihr Verständnis von Sexualität, insbesondere auch von Homosexualität, überdenken muss“.

ZdK-Präsident Thomas Sternberg kritisierte ein überholtes Amts- und Kirchenverständnis, das Missbrauch begünstigt habe. Deshalb müssten „klerikale Führungs- und Leitungsstrukturen“ aufgebrochen und synodale Elemente gestärkt werden. Auf allen Ebenen müssten gewählte Frauen und Männer mitentscheiden können. Die „männlich strukturierte Aus- und Fortbildung des Klerus“ und die gesamte Leitungs- und Ämterstruktur der Kirche müssten weiblicher werden.

Familienministerin Franziska Giffey (SPD).
Familienministerin Franziska Giffey (SPD).

© Fabian Sommer/dpa

Konkret forderte der ZdK-Präsident die Schaffung einer kirchlichen Verwaltungsgerichtsbarkeit auf der Ebene der Bischofskonferenz. Zudem solle eine unabhängige Kommission eingerichtet werden, die die Fortschritte im Kampf gegen Missbrauch in den Diözesen regelmäßig prüft. Sternberg kritisierte einen Flickenteppich unterschiedlicher Präventionsstrategien in den 27 Bistümern. Es gebe eine Bandbreite von entschlossenem Handeln bis zu Relativierungen oder Abwarten. „Wir halten das für untragbar.“

"Wir sind Kirche" fordert engere Zusammenarbeit von Staat und Kirche

Der Familienbund der Katholiken forderte eine verstärkte Präventionsarbeit für Familien und neue Ansätze in der Sexualmoral der Kirche. Nach Ansicht der Initiative „Wir sind Kirche“ kann die aktuelle Missbrauchsstudie nur ein erster Schritt sein. Wichtig sei eine Debatte über „grundlegende Korrekturen kirchlicher Lehre und Strukturen“. Zudem müssten Staat und Kirche enger zusammenarbeiten als bisher bei der Prävention, der Strafverfolgung und bei den Hilfen für die Opfer. Darüber hinaus sollten die Betroffenen selbst eine aktivere Rolle spielen.

Die Gesellschaft Katholischer Publizisten (GKP) lobte die aufklärerische Funktion von Medien. „Nur mit rückhaltloser Offenheit und Transparenz wird es der katholischen Kirche gelingen, sexualisierte Gewalt in ihren Reihen mit Ursachen und Hintergründen aufzuarbeiten und Vertrauen zurückzugewinnen“, betonte der Vorsitzende Joachim Frank. „Die Bischöfe sind schlecht beraten, wenn sie auf ihre Deutungshoheit pochen und den Informationsfluss kontrollieren wollen.“

Der Psychotherapeut und katholische Theologe Wunibald Müller forderte radikale Maßnahmen gegen Klerikalismus. „Die Kirche muss bekennen, dass sie keineswegs eine heilige, sondern sündige, schuldbeladene Kirche ist“, schreibt der frühere Leiter des Münsterschwarzacher Recollectio-Hauses. „Der Papst sollte - und das wäre immerhin ein starkes Zeichen - öffentlich darauf verzichten, weiterhin sich heiliger Vater nennen zu lassen.“
Nun äußern sich erstmals die Studienautoren. (AFP, KNA, dpa, Tsp)

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