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Die Flaggen Deutschlands und der Türkei wehen vor dem Staatsbesuch des türkischen Präsidenten am Brandenburger Tor.

© dpa/Wolfgang Kumm

Deutsch-türkisches Verhältnis: Erdogan und Merkel müssen einen Pakt der Vernunft schließen

Warum die Nato-Partner Deutschland und Türkei im gegenseitigen Interesse einen Pakt der Vernunft schließen müssen. Ein Kommentar.

Genauso, wie es früher war, soll es wieder werden zwischen der Türkei und Deutschland. Alle Probleme hinter sich lassen, wieder eine herzliche Atmosphäre schaffen – so wünscht sich Präsident Recep Tayyip Erdogan das Verhältnis zwischen beiden Ländern. Am Rande der UN-Vollversammlung nutzte er in New York ein Interview, um dieses Versöhnungssignal nach Berlin zu senden. Dort trifft er am Donnerstag zu einem Staatsbesuch ein.

Nun können Beziehungskrisen zwischen Staaten denen zwischen zwei Menschen ähneln. Zerstörtes Vertrauen stellen auch Paartherapeuten nicht per Anweisung wieder her. Verletzungen heilen nicht durch weiße Salbe. Und im Verhältnis zwischen der Türkei und Deutschland gibt es nicht einmal einen Vermittler. Das müssen beide aus eigener Kraft schaffen – schaffen wollen. Das braucht Zeit, denn Menschen und Staaten verändern sich manchmal in einer Weise, die durchaus disruptiv ist.

Um einen Pakt der Vernunft schließen zu können, muss man über Vernunft verfügen und sie zur obersten Handelsmaxime machen. Sowohl Erdogan als auch Merkel haben bewiesen, dass sie das nicht tun.

schreibt NutzerIn ExpatLeser

Und verändert hat sich viel seit dem niedergeschlagenen Putsch in der Türkei im Sommer 2016. Erdogan ließ sich zum Präsidenten mit fast unbeschränkten Vollmachten wählen. Er nutzt seine Macht zur Jagd auf politisch Andersdenkende. Wer sich ihm entgegenstellt, wird unter Terrorverdacht ins Gefängnis geworfen oder im Ausland mit geheimdienstlichen, schändlichen Mitteln verfolgt. Der Tagesspiegel berichtet heute über einen solchen Fall, der weder zu Versöhnung noch zu Herzlichkeit passt. Das alles hat zu einer tiefen politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Krise geführt. Ausländische Firmen ziehen sich massiv zurück, aus Sorge um ihre Mitarbeiter. Die vorher so starke Türkei steckt in einer gefährlichen ökonomischen Schieflage. Erdogan ist geschwächt, braucht Hilfe.

Was Angela Merkel genauso fehlt wie ihrer Regierung: Zuversicht

Er trifft auf eine deutsche Kanzlerin, die nur noch ein Schatten jener europäischen Führungsfigur ist, die über viele Jahre hinweg den Gang der politischen Geschäfte auf dem Kontinent beeinflussen konnte. Permanenter Koalitionsstreit hat ihre Machtbasis erodieren lassen. Die sie tragende größte Regierungsfraktion, und damit die eigene Partei, hat ihr gerade ziemlich unverhohlen das Misstrauen ausgesprochen. Die Abgeordneten von CDU und CSU hoben mehrheitlich einen Mann auf den Schild, der nach eigenem Willen das ausstrahlen will, was Angela Merkel genauso fehlt wie ihrer gesamten Regierung: Zuversicht. Unter der Führung von Ralph Brinkhaus wird die Fraktion nicht mehr knurrend auf Kanzlerin-Kurs einschwenken, sondern nur noch kühl kalkulierte Unterstützung aus Gründen des Machterhalts gewähren.

Nein, mit diesem Despoten gibt es keinen Pakt der Vernunft. Vielmehr gebietet es die Vernunft, ihn mit härtesten Sanktionen zu belegen.

schreibt NutzerIn w.heubach

Diese Unionsfraktion – die SPD ohnedies nicht – wird keinem wirtschaftlichen Türkei-Deal zustimmen, in dem nicht grundlegende Fragen der Menschenrechte ebenso eine Rolle spielen wie die Freilassung deutscher Staatsbürger, die wie Geiseln in Haft sind. Dennoch verdient die Türkei höchsten Respekt für die Einhaltung des Flüchtlingsabkommens, von dem sie zwar finanziell stark profitiert, dass ihr aber auch große Integrationsleistungen abverlangt. Also genau das, was Deutschland mit den hier lebenden drei Millionen türkisch-stämmigen Bürgern nur sehr unvollkommen gelingt. All das heißt im Klartext, dass die Nato-Partner Deutschland und Türkei im gegenseitigen Interesse einen Pakt der Vernunft schließen müssen. Auf Herzlichkeit, auf Versöhnung hoffen wir, wenn Erdogan zur Demokratie zurückkehrt.

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