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Der Türkei-Korrespondent der "Welt", Deniz Yücel, 2016 in Berlin.

© Karlheinz Schindler/dpa

Update

Deutsch-türkische Beziehungen: Yücel antwortet Cavusoglu: "Werde als Geisel gehalten"

Vor dem Treffen mit Sigmar Gabriel wirbt der türkische Außenminister für einen Neustart der Beziehungen. Aus dem Gefängnis bekommt er eine Nachricht des Journalisten Deniz Yücel.

Der seit mehr als zehn Monaten ohne Anklage in der Türkei inhaftierte „Welt“-Korrespondent Deniz Yücel hat sich selber als „Geisel“ bezeichnet. In einer schriftlichen Erklärung aus dem Gefängnis in Silivri, die seine Anwälte der Deutschen Presse-Agentur zukommen ließen, reagierte Yücel auf Aussagen des türkischen Außenministers Mevlüt Cavusoglu. Cavusoglu hatte zu Jahresbeginn der dpa zum Fall Yücel gesagt, er sei „nicht sehr glücklich darüber, dass es noch immer keine Anklage gibt“.

Yücel teilte in seiner in einem ironischen Ton gehaltenen Replik mit: „Das hat mich sehr bekümmert. Schließlich möchte ich nicht, dass er meinetwegen unglücklich ist. Aber ich kann ihn trösten: Wenn ich mich daran gewöhnt habe, seit fast einem Jahr ohne Anklage als Geisel gehalten zu werden, dann schafft er das auch.“

Zur Aussage Cavusoglus, die Vorwürfe gegen ihn seien „sehr ernst“, meinte Yücel, es sei beruhigend, dass „wenigstens die türkische Regierung den genauen Durchblick“ habe. „Schließlich unterliegen die Ermittlungsakten weiterhin der Geheimhaltung, sodass meine Anwälte und ich immer noch nicht wissen, woran wir sind.“ Die Untersuchungshaft für Yücel hatte ein Gericht im Februar mit Vorwürfen der Terrorpropaganda und Volksverhetzung begründet. Am Donnerstag reichte die Regierung in Ankara eine entsprechende Stellungnahme beim türkischen Verfassungsgericht ein, mit der sie auf eine Beschwerde Yücels gegen seine Untersuchungshaft reagierte.

Cavusoglu wird am Samstag zu einem Besuch bei Bundesaußenminister Sigmar Gabriel in dessen Heimatort Goslar erwartet. Vor dem Besuch hatte der türkische Minister deutlich gemacht, dass Ankara die Krise mit Deutschland überwinden möchte. Am Freitag unterstrich er dieses Anliegen in einem Gastbeitrag für die Zeitungen der Funke-Mediengruppe, in dem er auch auf die Häftlinge aus Deutschland einging.

Der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu im Dezember in New York.
Der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu im Dezember in New York.

© REUTERS/Amr Alfiky

Cavusoglu erklärte, er wisse, dass "die Fälle einzelner Inhaftierter in der Türkei in der deutschen Öffentlichkeit aufmerksam verfolgt" würden. Als "ein Gebot der Rechtstaatlichkeit" müsse man jedoch auf die unabhängige Justiz vertrauen. "Wir unternehmen aber alles, was politisch in unserer Macht steht, um juristische Verfahren zu beschleunigen." Konkrete Fälle nannte der Minister nicht.

Deutschland wirft der Türkei vor, Yücel und andere Deutsche und Deutschtürken aus politischen Gründen festzuhalten. Zuletzt hatten türkische Gerichte in einigen Fällen ein Ende der Untersuchungshaft oder ein Aufheben von Ausreisesperren angeordnet. Aus Sicht der Bundesregierung ist eine Normalisierung der deutsch-türkischen Beziehungen ausgeschlossen, solange Yücel ohne Anklage in Untersuchungshaft sitzt.

Cavusoglu: "Megafon-Diplomatie" fehl am Platz

In seinem Zeitungsbeitrag warb Cavusoglu für einen Neustart in den bilateralen Beziehungen mit Deutschland. Beide Seiten hätten daran ein Interesse, "da wir in einer Zeit voller Herausforderungen leben", schreibt Cavusoglu in einem Gastbeitrag für die Zeitungen der Funke-Mediengruppe. Die Beziehungen sollten "wie schon seit 300 Jahren, in Freundschaft und Zusammenarbeit" fortgeführt werden. Dies gehe aber nur, "wenn wir die gegenwärtige Krisenspirale in unserem Verhältnis durchbrechen".

Cavusoglu fordert, dass sich beide Länder "auf Augenhöhe" begegnen sollten. "Megafon-Diplomatie" sei fehl am Platz. Die inoffiziellen Treffen mit Bundesaußenminister Sigmar Gabriel seien Teil dieser Bemühungen. Das nächste steht am Samstag in Goslar an. "Es ist notwendig, gegenüber der anderen Seite eine empathischere Sprache zu entwickeln", fordert Cavusoglu. Das Trauma, das der Putschversuch vom Juli 2016 in der türkischen Bevölkerung hervorgerufen habe, sei in Deutschland "nicht vollkommen nachvollzogen" worden. Die Türkei erwarte von den Deutschen, dass sie "die Situation, mit der die Türkei gegenwärtig konfrontiert ist, besser verstehen".

Eine politische Verständigung werde "neue Horizonte" bei der wirtschaftlichen Zusammenarbeit eröffnen, schreibt Cavusoglu. Vor allem bei den erneuerbaren Energien gebe es "beträchtliche Möglichkeiten". Mit Blick auf das Flüchtlingsabkommen zwischen der Türkei und der Europäischen Union betont Cavusoglu, dass sein Land alle Zusagen eingehalten habe. Er bekräftigt daher die Forderung, dass die EU insbesondere bei der Visa-Liberalisierung ihre Verpflichtungen erfülle. Es liege im Interesse aller, dass "der Stillstand in unserem EU-Beitrittsprozess" überwunden werde. "Das Thema der Aktualisierung der Zollunion darf nicht als ein Faustpfand gegen die Türkei eingesetzt werden." (Tsp, dpa, Reuters)

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