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Alper Kancer, Eigentümer des Autozulieferers Kanca mit rund 600 Mitarbeitern aus Istanbul.

© Kanca (Promo)

Deutsch-türkische Beziehungen: „Unsere Politiker sollten persönliche Kränkungen beiseitelassen“

Alper Kanca, mittelständischer Unternehmer und Präsident des türkischen Autozuliefererverbandes, über Geschäfte und mögliche Wirtschaftssanktionen.

Herr Kanca, die Bundesregierung prüft Schritte, die die türkische Wirtschaft treffen: Hermes-Bürgschaften streichen, Reise-Empfehlungen verschärfen. Wie bewerten Sie die Situation?

Wir haben keinen Einblick in die politischen Prozesse auf höchsten Ebenen. Dort müssen aber so schwerwiegende Dinge vorgefallen sein, dass man nun auf beiden Seiten bereit ist, über Jahrzehnte gewachsene Geschäftsbeziehungen zu zerstören. Für normale Geschäftsleute und unsere Mitarbeiter ist all das so nicht nachvollziehbar.

Wer ist für diese Lage verantwortlich?

Sicherlich haben beide Seiten Fehler gemacht. Wenn Politiker sich über die Medien gegenseitig kritisieren oder sich auf einer Konferenz auch mal persönlich beschimpfen, ist das kein Problem, finde ich. Aber so, wie einige türkische und deutsche Politiker derzeit öffentlich reden, trifft in die Herzen der einfachen Leute. Davon bleibt etwas zurück.

Was meinen Sie?

Ich habe seit 20 bis 30 Jahren Freunde und Geschäftspartner in Deutschland. Die sind irritiert und gekränkt – obwohl es Geschäftsleute sind, die ja in erster Line das Geschäft im Blick haben. Auch ich fühle mich von Deutschen gekränkt. Die vielen bösen Worte vergiften nicht nur das politische und wirtschaftliche Klima, sondern auch das zwischenmenschliche. Das ist schlecht. Denn das lässt sich nicht so einfach reparieren.

Gerade in der Autoindustrie gibt es starke gegenseitige Abhängigkeiten.
Gerade in der Autoindustrie gibt es starke gegenseitige Abhängigkeiten.

© Tolgan Bozoglu, dpa

Haben Sie ein Beispiel aus Ihrem Alltag?

Kollegen, die wissen, dass ich in Österreich studiert habe und in Deutschland viele Geschäftspartner und Verwandte habe, fragen mich sarkastisch: Auf welcher Seite stehst Du eigentlich? Das geht über die wirtschaftlichen Interessen beider Länder hinaus. Wenn Meinungsverschiedenheiten so gravierend sind, sollten sich die höchsten Ebenen zusammensetzten und das Problem klären – aber nicht verallgemeinernd über DIE Deutschen und DIE Türken reden.

Was würden Sanktionen für ihr Geschäft und ihre Autozuliefererbranche bedeuten?

Kurzfristig hätte das kaum Auswirkungen. Wir haben in der Regel langfristige Verträge. Denn türkische Kunden deutscher Zulieferer können nicht kurzfristig auf Teile verzichten und umgekehrt auch nicht. Aber mittelfristig werden Firmen beider Seiten überlegen, ob sie mit einem Partner aus dem jeweils anderen Land ein neuen Vertrag schließen. Das wird sicherlich negative Auswirkungen haben.

Was würde es bedeuten, sollte die seit 1996 bestehende Zollunion zwischen EU und der Türkei nicht ausgebaut, verlängert oder gar beendet werden?

Die Zollunion ist uns sehr wichtig. Sie gibt uns großen Spielraum. Es macht für uns türkische Zulieferer einen Unterschied, ob wir unter dem Schutz der Zollunion liefern können, oder nicht. Aber das ist keine einseitige Angelegenheit. Eine Aufhebung würde deutsche Exporteure genau so hart treffen.

Der Konflikt schwelt schon länger. Wie geht es Ihrem Industriezweig?

Anfang des Jahres hatte ich noch gedacht, es wird ein sehr schwieriges Jahr, auch weil wir politisch keine milden Umstände hatten. Aber es läuft gut! Wir haben einen Exportrekord in der Autobranche. Mein Unternehmen und viele andere in unserem Industriepark verzeichnen Zuwächse. Das liegt vor allem an den langfristigen Verträgen, Bestellungen aus 2015 und 2016. Wir investieren auch in Maschinen, die hauptsächlich aus Deutschland kommen.

Wie lässt sich die Situation bereinigen?

Man sollte einen Schritt zurücktreten und überlegen, ob man wirklich Völker gegeneinander aufbringen sollte. Unsere Politiker auf beiden Seiten sollten versuchen, alle persönlichen Kränkungen einmal beiseitezulassen. Das wäre gut für das Volk, gut für die drei Millionen Türken in Deutschland, gut für die Deutschen hier bei uns.

ZUR PERSON: Alper Kanca ist Eigentümer eines Autoteileherstellers mit rund 600 Mitarbeitern bei Istanbul und Präsident des türkischen Autozulieferverbandes TAYSAD. Er hat in Wien studiert und spricht ausgezeichnet Deutsch. Mit ihm sprach Kevin P. Hoffmann

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