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Zuletzt oft im Clinch: Deutschland und die Türkei.

© Gutzemberg/Getty Images/iStockphoto

Deutsch-türkische Beziehungen: Nur ein "Büroversehen" oder bewusste Provokation?

Die Bundesregierung wirft Ankara vor, Terrororganisationen zu unterstützen. Doch nicht nur die türkische Regierung reagiert empört, auch in Berlin wird der Vorwurf zum innenpolitischen Problem.

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Einfach nur die Schlampigkeit eines Referenten oder bewusste Provokation des Koalitionspartners? Die offizielle Einstufung der Türkei als „zentrale Aktionsplattform für islamistische Gruppierungen der Region des Nahen und Mittleren Ostens“ durch die Bundesregierung sorgt nicht nur innerhalb der Bundesregierung für Irritationen. Auch außenpolitisch birgt die Antwort der Regierung auf eine kleine Anfrage der Linksfraktion im Bundestag Sprengstoff: Zum einen ist Ankara entsetzt. Zum anderen werden Fragen an die Zusammenarbeit Europas mit der Türkei laut.

Welche Bedeutung hat der Vorgang für die deutsch-türkischen Beziehungen?

Die Türkei gehört zum Wertebündnis der Nato und ist ein wichtiger Partner der Koalition zur Bekämpfung der Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS). Seit Jahren werden Verhandlungen über einen Beitritt zur EU geführt. Und im Verlauf des syrischen Bürgerkrieges ist die Türkei ein wichtiger Partner der EU, und damit Deutschlands, bei der Aufnahme und Betreuung der Flüchtlinge geworden. Gleichzeitig sorgen die innenpolitischen Entwicklungen in Ankara, speziell nach dem gescheiterten Putsch-Versuch und den Reaktionen des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan auf die deutschen Satire-Beiträge sowie die Armenien-Resolution des Bundestages, seit Monaten für Verstimmungen zwischen Deutschland und der Türkei.

In Deutschland selbst wächst die Sorge, dass sich Europa in die Hände eines autokratischen und antidemokratischen türkischen Präsidenten begibt und erpressbar macht. Auch innerhalb der Koalition von Union und SPD gibt es darüber nicht nur Einigkeit. Insbesondere die Position des Außenministers, Frank-Walter Steinmeier (SPD), dessen Linie man mit „Offenhalten von Gesprächskanälen“ beschreiben kann, wird in Teilen der Union als zu nachsichtig kritisiert.

Es ist dabei schon seit geraumer Zeit bekannt, dass es zwischen der Türkei und islamistischen Organisationen wie der Hamas Beziehungen gibt. Bisher hat die Bundesregierung dazu jedoch offiziell nie Stellung bezogen, die solche Beziehungen bestätigten. Nun taucht mit der Antwort der Bundesregierung auf die kleine Anfrage der Regierung erstmals ein offizielles Dokument auf, das diese Beziehungen bestätigt – amtlich sozusagen. Die Informationen dazu kamen vom Bundesnachrichtendienst. Sie lösten nicht nur eine diplomatische Verstimmung mit Ankara aus. Auch das Misstrauen innerhalb der Koalition in Berlin wurde vertieft.

Wie konnte es zu dieser brisanten Antwort kommen?

Das Bundesinnenministerium von Thomas de Maizière (CDU) war verantwortlich für die Beantwortung der Anfrage der Linken-Fraktion und hat am Mittwoch die Schuld auf sich genommen. De Maizières Sprecher Johannes Dimroth sprach von einem „Büroversagen“ und räumte eine „Panne“ ein. Nach seinen Worten hatte ein Mitarbeiter des Ministeriums verschiedene Teile der Antwort, die in anderen Ministerien erarbeitet wurden, zusammengetragen und zu einem Dokument zusammengefügt. Anders, als es die Pflicht des Mitarbeiters gewesen wäre, hatte er jedoch vor der Versendung der gesamten Antwort an die Linksfraktion versäumt, alle beteiligten Ministerien noch einmal um Durchsicht und Zustimmung zu bitten.

Ganz im Gegenteil: Eine Zustimmung des Auswärtigen Amtes hatte der Mitarbeiter vermerkt, obwohl dieses gar nicht um eine solche gebeten wurde. Aufgefallen ist das ganz offensichtlich den Vorgesetzten des Mitarbeiters nicht, der zuständige parlamentarische Staatssekretär Ole Schröder (CDU) hat die Antwort abgezeichnet, sie wurde dem Bundestag zugesandt.

Zur Bewertung des Vorgangs ist es allerdings wichtig zu wissen, dass nicht nur im Innenministerium ein „Büroversagen“ stattgefunden haben muss, sondern auch im Bundeskanzleramt. Denn die brisante Bewertung der Türkei wurde als Antwortbaustein vom Bundesnachrichtendienst (BND) erarbeitet, dem verantwortlichen Kanzleramt zugesandt und von dort an das Innenministerium verschickt. Auch im Haus von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) ist also niemandem aufgefallen, welcher diplomatische Sprengstoff in der Antwort liegt. Ein Versehen, ein doppeltes? Oder doch Absicht.

Der SPD-Abgeordnete Johannes Kahrs warf dem Innenministerium (und auch dem Kanzleramt) jedenfalls vor, das Auswärtige Amt absichtlich nicht in die brisante Türkei-Bewertung einbezogen zu haben, weil bekannt ist, dass Steinmeiers Haus die Antwort gestoppt hätte. „Fehler passieren, hier wirkt es halt eher gewollt“, sagte der Sprecher des konservativen Seeheimer Kreises in der SPD dem „Handelsblatt“. Und Steinmeiers Pressesprecherin Sawsan Chebli bestätigte am Mittwoch noch einmal: „In dieser Pauschalität“ mache man sich die Bewertung der Türkei nicht zu eigen. Eine Bewertung der Einschätzung des BND, die sich übrigens auch Merkels Sprecher Steffen Seibert trotz mehrfacher Nachfrage in der Bundespressekonferenz nicht zu eigen machen wollte. Seibert war ganz offensichtlich um Begrenzung des Schadens mit Ankara bemüht, wiederholte mehrfach die intensiven und guten Beziehungen zur Türkei im gemeinsamen Kampf gegen den IS und zur Lösung der Flüchtlingsfrage.

De Maizière reagierte noch am Mittwochabend auf die Relativierung durch das Außenamt. "Da ist nichts zu bereuen", sagte er. "Das, was dort vertraulich dargestellt wurde, ist eine pointierte Darstellung eines Teilaspekts türkischer Wirklichkeit."

Wie glaubwürdig ist die Erklärung eines „Büroversagens“?

Es ist Ferienzeit, die Mitarbeiter sowohl im Kanzleramt als auch im Innenministerium sind mit der Beantwortung zahlreicher Anfragen aus dem Bundestag – alle mit engen Zeitfristen – befasst. Gut möglich also, dass ein Kanzleramtsmitarbeiter die Antwort des BND einfach weitergereicht hat und im Innenministerium schlampig gearbeitet wurde. Gegen ein „Büroversagen“ spricht, dass gleich zwei zentrale Ressorts der Regierung – beide CDU-geführt – geschlampt haben und das Auswärtige Amt – SPD-geführt – nicht einbezogen haben müssten, obwohl doch jeder weiß, dass das Haus von Frank-Walter Steinmeier einer solchen die Türkei brüskierenden Darstellung nie zugestimmt hätte. Das ist zumindest schwer vorstellbar.

Wenn Merkel wusste, dass Erdogan und die Türkei Terroristen unterstützen, erscheint ihr Flüchtlingsdeal umso fragwürdiger. Die geballte Kraft der Europäischen Union hätte die Türkei auch ohne diesen Deal zur Aufgabe des staatlich geduldeten Schleppertums zwingen können.

schreibt NutzerIn ehemfreierblick

Die Opposition im Bundestag verlangte auf jeden Fall umgehend Aufklärung über den Vorfall. Die Linke-Fraktion beantragte am Mittwoch eine Sondersitzung des Innenausschusses für die erste Sitzungswoche des Parlaments im September, die Grünen eine Sondersitzung des Parlamentarischen Kontrollgremiums.

„Die Bundesregierung muss jetzt mit der Geheimniskrämerei aufhören“, sagte die Sprecherin für Internationale Beziehungen der Linken, Sevim Dagdelen, der Deutschen Presse-Agentur. Die Innenpolitische Sprecherin Ulla Jelpke forderte, die Zusammenarbeit mit türkischen Sicherheitsbehörden zu beenden und das Flüchtlingsabkommen der EU mit der Türkei aufzukündigen.

Wie hat Ankara auf die deutschen Vorwürfe reagiert?

Empört: Die Türkei wies die Anschuldigung durch die Bundesregierung am Mittwoch scharf zurück. Die aufgestellten Behauptungen seien „ein neuer Beweis für die schräge Einstellung, mit der seit einiger Zeit versucht wird, unser Land zu zermürben, indem unser Staatspräsident und unsere Regierung ins Visier genommen werden“, teilte das türkische Außenministerium mit. Wegen des Berichts werde man die „bundesdeutschen Instanzen“ um Aufklärung ersuchen, heißt es in der Erklärung. Offensichtlich mit Blick auf die Linkspartei erklärte das türkische Außenministerium, es sei ganz offensichtlich, dass „bestimmte politische Kreise“ in Deutschland hinter den aufgestellten Behauptungen stünden. Diese seien für ihre „doppelten Standards“ in Bezug auf den Anti-Terror-Kampf bekannt, vornehmlich bezüglich der „gegen die Türkei gerichteten blutigen Attacken“ der verbotenen kurdische Arbeiterpartei PKK.

Vom Zwist mit Deutschland unbeeindruckt setzte Präsident Erdogan seine Reinigungsaktionen am Mittwoch fort. So sollen rund 38.000 Häftlinge bald freigelassen werden, um Platz für neue Häftlinge zu machen, die nach dem Putschversuch verurteilt wurden. Dabei handele es sich nicht um eine Amnestie, sondern um eine Entlassung unter Auflagen, teilte der Justizminister Bekir Bozdag am Mittwoch via Twitter mit. Dies betreffe Häftlinge, die Straftaten vor dem 1. Juli 2016 begangen hätten.

Die Maßnahme geht auf eines von zwei Notstandsdekreten zurück, die am Mittwoch im Amtsblatt veröffentlicht wurden. Häftlinge, die wegen schwerer Taten wie Mord oder Sexualdelikten verurteilt worden waren, sind demnach davon ausgeschlossen. Der Sender CNN Türk berichtete, die ersten Verurteilten würden schon bald freigelassen. Weitere Details wurden nicht genannt. Staatspräsident Erdogan hatte am 20. Juli einen dreimonatigen Ausnahmezustand verhängt. Seitdem kann er per Dekret regieren. Erdogan ordnete nun per Dekret auch die Entlassung aus dem Dienst von mehr als 2000 Polizisten und mehr als 100 Angehörigen der Streitkräfte an.

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