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Klar lieben wir Pasta - aber auch ihre Erfinderinnen? Die ganz große Liebe ist es nicht zwischen Deutschland und Italien, allen Sonntagsreden zum Trotz.

© Andreas Solaro/AFP

Deutsch-italienische Beziehungen: Man weiß nicht viel voneinander – pflegt aber seine Vorurteile

Weiter bestimmen Klischees das Bild der Deutschen von Italien. Und umgekehrt. Im Guten wie im Schlechten. Doch Corona hat etwas verändert - zum Besseren.

In politischen Reden ist das deutsch-italienische Verhältnis praktisch wolkenlos: Alte Freundschaft, enge Partnerschaft in der EU, heißt es da gern, solide Wirtschaftsbeziehungen, man kenne und vertraue sich. Die Wirklichkeit ist etwas weniger rosenrot – da ist auf deutscher Seite schon mal von “italienischen Verhältnissen” die Rede, wenn Chaos und Schlendrian gemeint sind, deutschen Medien fällt oft genug nicht mehr als Pasta und Mafia zu den europäischen Landsleuten im Süden ein. Die wiederum schäumen über entsprechende Titelseiten und sehen sich in Europa der starken Nachbarin hoffnungslos unterlegen. 

Wie wirksam Stereotype und auch Misstrauen im Verhältnis weiter sind, hat jetzt eine Umfrage mit Zahlen unterlegt, die das Italien-Büro der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung in Auftrag gegeben hatte. “Fragile Freundschaft” heißt sie. 7000 Personen aus beiden Ländern wurden dafür von der deutschen Filiale des Marktforschungsinstituts Ipsos befragt, zum Bild ihres eigenen Landes wie zu dem, das sie vom jeweils andern haben.

Italien ist EU-Nettozahlerin - in Deutschland weiß das kaum jemand

Eins der zentralen Ergebnisse: Menschen diesseits wie jenseits des Brenners haben nicht nur recht bruchsichere, teils positive Vorurteile übereinander. Sie wissen auch nicht wirklich viel voneinander, und dies ab und zu in großer Übereinstimmung: So antworteten auf die Frage nach der wirtschaftlichen Nummer eins in Europa einträchtig italienische wie deutsche Befragte richtig: Deutschland. Auf Platz zwei allerdings verorteten die einen wie die andern mehrheitlich Frankreich oder das inzwischen aus der EU ausgetretene Vereinigte Königreich. Nur eine Minderheit nannte die tatsächliche Nummer zwei: Italien ist das nach Deutschland stärkste Industrieland des Kontinents.

Befragt nach den Vorteilen der EU für Nord wie Süd scheiden sich die Geister dann schon wieder: Von den Deutschen sind zwar 40 Prozent überzeugt, dass die Mitgliedschaft ihnen vorwiegend nutzt, sie sehen aber den größeren Vorteil auf Seiten Italiens: 68 Prozent nennen die EU-Mitgliedschaft Italiens als nützlich oder sehr nützlich für Italien an. Italienerinnen und Italiener dagegen beurteilen das genau umgekehrt: Nur 29 Prozent sehen überwiegend Vorteile für ihr Land, aber mehr als die Hälfte(51 Prozent) meint, dass Deutschland großen Nutzen aus Europa zieht.

Auf die Frage, wer mehr ein- als auszahlt, antwortet eine große Mehrheit der Deutschen: Italien nicht. 71 Prozent sind überzeugt, dass Italien mehr oder sogar sehr viel mehr aus der gemeinsamen Kasse bekommt, als es gibt. Das stimmt aber nicht: Bis zur Pandemie gehörte Italien jahrelang zu den Nettozahlerinnen der EU – wie  Deutschland. Doch davon wiederum will ein erheblicher Teil der italienischen Befragten nichts wissen: 39 Prozent meinten, Deutschland sei Nettoempfängerin der EU. Darin könne man eventuell ein Zeichen mangelnden Wohlwollens sehen, so Frederic Malter von Ipsos.

Hier Urlaub, dort Arbeitsmigration: Das Bild des Andern spiegelt auch Erfahrung

“Man gönnt den Deutschen diese Rolle nicht.”

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Was die kulturellen Vorurteile zwischen Italien und Deutschland angeht, hat sich seit der letzten Befragung der FES vor nicht ganz fünf Jahren wenig verändert. Die Antworten, die italienische wie deutsche Befragte über den vermuteten Nationalcharakter der jeweils andern gaben -  gefragt wurde unter anderem nach Neigung zu Disziplin und Verschwendung, nach Genauigkeit oder Optimismus, ließen sich “ vereinfacht und zugespitzt so zusammenfassen” heißt es in der Studie, “dass Deutschland in den Augen der Italiener_innen vor allem das Land der Arbeit, Disziplin und Effizienz ist. Italien ist aus Sicht der deutschen Zielpersonen vor allem das Land des guten Wetters, Essens und der Lebensfreude.”

Michael Braun, Mitarbeiter der FES in Rom, möchte dies allerdings auch als Ergebnis konkreter Erfahrung beider Seiten sehen: “Zwölf Millionen Deutsche sind im Jahr vor der Pandemie nach Italien gereist, entsprechend ist ihr Italienbild. Aber 100.000 Menschen sind von Italien nach Deutschland migriert und sicher nicht, weil dort das Wetter so schön ist.” Die Urteile seien insofern “nicht nur Stereotypen, sondern spiegeln Lebenswirklichkeiten”.

Und in einem entscheidenden Punkt gab es Bewegung, die zudem beide aufeinander zu geführt hat. “Große Übereinstimmung” stellten die Stiftung wie die Forschenden in der Beurteilung fest, wie die Folgen der Corona-Pandemie bewältigt werden sollten. “Die große Mehrheit der Befragten in beiden Ländern hält die gemein-same Finanzierung eines „Recovery Fund“, mit dem den von Covid-19 besonders hart getroffenen Ländern geholfen werden soll, für gut oder sehr gut. Es finden sich keine relevanten Unterschiede zwischen deutschen und italienischen Befragten”. Klar dagegen ist in beiden Ländern nur eine Minderheit, ein Zehntel der italienischen Befragten und nur jeder und jede siebte Deutsche.

Deutschland selbstbewusst, Italien nüchtern und skeptisch

“In der deutschen öffentlichen Meinung stellt dies ein Novum dar”, heißt es in der FES-Studie. “Anders als die Italiener_innen hatten die Deutschen bisher mehrheitlich immer eine gemeinsame Schuldenaufnahme in der EU (Eurobonds) abgelehnt.”

Tobias Mörschel, Leiter der FES in Rom, hofft, das die Umfrage der Stiftung hilft, die zerbrechliche deutsch-italienische Freundschaft auf festere Füße zu stellen. Es gebe zwar ein “gewachsenes Band gegenseitigen Wohlwollens und der Wertschätzung”, aber das Verhältnis sei “asymmetrisch: hier die robust selbstbewussten Deutschen, deren Freundschaft eine paternalistische Note habe” und gelegentlich herablassend sei, dort ein Italien, das das Verhältnis nüchterner sehe, deutlich skeptischer und selbstkritischer sei.

Man habe ein gebrochenes Verhältnis zur EU und sehe sich als schwächer und einflussloser als Deutschland. Das sei in der deutschen Politik noch nicht ausreichend angekommen, die aber auch ihre Schwierigkeiten habe, in Italiens rasch wechselnder Parteienlandschaft passende Kontakte zu knüpfen.  Italien seinerseits müsse ebenfalls nacharbeiten – die Studie attestiert Italienerinnen und Italienern etwa weniger Kenntnis und Interesse an der EU-Partnerin im Norden als umgekehrt. In Zukunft müsse zwischen den beiden, so Mörschel, “mehr Beziehungsarbeit geleistet werden".

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