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Kanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron am Montag bei ihrer Videokonferenz.

© AFP

Deutsch-französischer Rettungsplan für die EU: Angela Merkel springt über ihren Schatten - gut so

Berlin hat nichts davon, wenn Europas Süden abgehängt wird. Die Notlage der EU erfordert die Initiative für den EU-Fonds. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Albrecht Meier

Not macht erfinderisch. Es ist unbestritten, dass die Coronapandemie die EU in ihre schlimmste wirtschaftliche Krise seit Jahrzehnten stürzt. Die EU-Kommission rechnet für dieses Jahr mit einem Einbruch der Konjunktur im Euro-Raum von 7,7 Prozent.

Wenn sich die Prognose bewahrheitet, wäre dies die schlimmste Talfahrt seit der Weltwirtschaftskrise von 1929. In dieser Situation haben Kanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron das Richtige getan: Sie haben sich, wie schon so oft in der Geschichte des deutsch-französischen Duos, zusammengerauft und einen Plan für europäische Konjunkturhilfen ab dem kommenden Jahr vorgelegt.

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Es war vor allem die Kanzlerin, die dabei über den eigenen Schatten gesprungen ist. Der deutsch-französische Plan sieht vor, dass notleidende Regionen und Wirtschaftssektoren in der EU aus einem Wiederaufbaufonds mit einem Volumen von 500 Milliarden Euro durch Zuschüsse unterstützt werden.

Merkel wäre es lieber gewesen, wenn das Geld an besonders betroffene Staaten wie Italien, Spanien oder Frankreich als Kredit ausgereicht worden wäre. Das hätte die Rechnung für die deutschen Steuerzahler, die dem Plan zufolge die Hauptlast bei der auf Jahrzehnte angelegten Rückzahlung der EU-Schulden werden tragen müssen, gemindert.

Inhaltlich stand Macron für den Vorstoß Pate

Aber Deutschlands Regierungschefin verfügt über stichhaltige Argumente, wenn sie in dem nun heraufziehenden innenpolitischen Streit über die europäischen Konjunkturhilfen einen Vorstoß verteidigen muss, für den inhaltlich vor allem Macron Pate stand.

Denn selbst wenn man einwendet, dass im kommenden Jahr allgemein in der EU wieder mit einem kräftigen Anziehen der Konjunktur zu rechnen ist und daher ein zusätzlicher Anschub aus Brüssel gar nicht nötig sei, so ist doch eines unübersehbar: Deutschland, das bislang einen eher glimpflichen Verlauf der Pandemie erlebte und obendrein auf nationaler Ebene die Mittel für großzügige Rettungsschirme hat, wird vermutlich die europäischen Mitbewerber im Binnenmarkt nach der Krise noch weiter abhängen.

Wenn aber in Europas Süden, der von der Krise arg in Mitleidenschaft gezogen wird, die Exporte hiesiger Unternehmen keine Abnehmer mehr finden, dann ist Deutschland auch nicht geholfen.

Auch der Nettozahler Deutschland könnte profitieren

Zudem sollten die Kritiker des Merkel-Macron-Plans nicht übersehen, dass die deutsch-französische Initiative nicht nur Hilfen für den EU-Nettozahler Italien vorsehen würde, sondern auch für den Nettozahler Deutschland. Noch müssen die Kriterien für die Vergabe der Mittel zwischen der EU-Kommission und den 27 Mitgliedstaaten ausgehandelt werden. Aber wenn beispielsweise die angeschlagene Tourismusbranche in den Katalog der hilfsbedürftigen Sektoren aufgenommen würde, dann könnte auch Deutschland profitieren.

Hinzu kommt, dass die von Berlin und Paris vorgeschlagene Lösung nichts zu tun hat mit den Corona-Bonds, die Italiens Regierungschef Giuseppe Conte zu Beginn der Krise so vehement gefordert hat. Corona-Bonds hätten zu einer gesamtschuldnerischen Haftung geführt. Mit anderen Worten: Deutschland hätte auf der Rückzahlung derartiger Gemeinschaftsanleihen komplett sitzenbleiben können. Dies wäre weder mit dem EU-Recht vereinbar noch dem Willen der politischen Mehrheit in Deutschland.

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Dagegen zeigt die erste wohlwollende Reaktion auf die deutsch-französische Initiative nicht nur in der SPD, sondern auch in der Union, dass sich im Bundestag eine Mehrheit für eine derartige Konstruktion des Wiederaufbaufonds finden könnte – immer vorausgesetzt, dass das Projekt auf europäischer Ebene nicht einen vorzeitigen Tod stirbt. Denn auch wenn Macron beteuert, dass am Deal mit der Kanzlerin mehrere andere Staaten mitgewirkt haben, so ist jetzt schon eine harte Kontroverse auf EU-Ebene absehbar.

Österreich kann mit einem Veto den Plan zu Fall bringen

Überraschenderweise kommt die lauteste Kritik an dem Vorschlag, die EU solle gemeinsam Schulden aufnehmen und sämtliche Mitgliedstaaten anteilig dafür haften lassen, diesmal nicht wie bei anderen vergleichbaren Diskussionen aus den Niederlanden.

Es ist Sebastian Kurz, der besonders vernehmlich Dampf gegen den deutsch-französischen Vorstoß ablässt. Und Österreichs Kanzler weiß: Sein Veto reicht aus, um den ganzen Plan zu Fall zu bringen.

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