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Aktivisten empfinden Donald Trump in London mit einem großen Trump-Balon.

© Tolga AKMEN/AFP

Der US-Präsident und Europa: Warum Donald Trump Europa attackiert

Verbale Angriffe auf May, Merkel und die Nato: Donald Trump gilt als "Bully". Doch er ist nicht einfach rüde, seine Attacken haben System. Ein Gastbeitrag.

Donald Trump ist oft als „bully“ beschrieben worden, als derjenige in der Klasse, der anderen das Leben schwermacht. Dieser „bully“ schien es in den letzten Wochen besonders auf Europa und speziell auf Deutschland abgesehen zu haben. Im Vorfeld des Nato-Gipfels und auf dem Gipfel selbst ging es um die aus US-Sicht zu geringen Verteidigungsausgaben Europas. Trump schrieb „blaue Briefe“.

In Großbritannien kritisierte der US-Präsident die Brexit-Strategie von Premierministerin Theresa May und lobte ihren Rivalen Boris Johnson, nur, um diese Aussagen wenig später als „fake news“ zu bezeichnen. Trumps Thema ist aber auch immer wieder die Einwanderung nach Europa. Am 16. Juni, auf dem Höhepunkt der deutschen Regierungskrise twitterte der Präsident, Migration würde die europäische Kultur „stark und gewaltsam verändern“, die Kriminalität sei in Deutschland um zehn Prozent gestiegen (was falsch ist) und „die Menschen in Deutschland“ würden sich „gegen ihre Führung wenden, während Einwanderung eine Berliner Koalition durchrüttelt, die bereits unter Druck steht“. Auf dem Nato-Gipfel sagte er, die Einwanderung in Europa nehme „überhand“, er habe die Europäer gewarnt, sie würden sich „ruinieren“. Gleichzeitig signalisiert Trumps Botschafter in Berlin offen Unterstützung für rechtspopulistische Kräfte in der EU.

Donald Trump lobt Theresa Mays Rivalen und behauptet, die Deutschen würden sich "gegen ihre Führung" wenden

Warum dieser Hass auf Europa, warum dieser Hass auf Angela Merkel? Warum diese Tweets und Aussagen, die man als Versuche verstehen kann, destabilisierende Tendenzen in Europa zu verstärken? Die Antwort ist: Donald Trump sieht Europa und besonders Deutschland als Antithese zu seinem eigenen Weltbild. Sollte Europa Erfolg haben, wäre sein eigenes Programm widerlegt.

Trump will keine Stabilität. Er will Instabilität. Er sät Instabilität, um die Wahrnehmung zu verstärken, dass er der Einzige ist, der zwischen der besagten Instabilität und dem Stabilitätsversprechen steht. Diese Strategie steht am Anfang eines sich selbst verstärkenden Kreislaufes, der seine Energie aus zusammenhangslosen Tweets zieht.

Annamarie Bindenagel Sehovic ist Associate Fellow am Potsdam Centrum für Politik und Management der Universität Potsdam und Research Fellow an der University of Warwick, Großbritannien.
Annamarie Bindenagel Sehovic ist Associate Fellow am Potsdam Centrum für Politik und Management der Universität Potsdam und Research Fellow an der University of Warwick, Großbritannien.

© privat

Trump inszeniert außerdem vermeintlich stabilisierende Ereignisse, etwa das Gipfeltreffen mit dem nordkoreanischen Herrscher Kim Jong-Un. Tatsächlich führen sie zu noch mehr Unsicherheit: Auf dem Gipfeltreffen mit Kim versprach Trump, die gemeinsamen Militärübungen mit Südkorea auszusetzen – Militärübungen, die Symbole der amerikanischen Unterstützung Südkoreas und Japans waren und so die Machtverhältnisse in der Region in der Balance hielten.

Autoritäre Herrscher benötigen dauerhafte Krisen, echte, oder auch solche, die sie selbst inszenieren

Autoritäre Herrscher benötigen dauerhafte Krisen, echte, oder auch solche, die sie selbst inszenieren, um an der Macht zu bleiben. Das Heraufbeschwören von Bildern der Masseneinwanderung, die Einführung von Strafzöllen, das Torpedieren der Nato und von Abrüstungsverträgen: Das alles sind Versuche, den Eindruck von Instabilität zu erwecken – oder echte Instabilität zu erzeugen. Nur ein autoritärer Herrscher, so die Botschaft, hat darauf eine Antwort.

Die jüngere Geschichte zeigt, dass diese Art der Dauerkrisenbehauptung zu Blutvergießen und Chaos führt, dass sich daran aber auch Phasen der Re-Stabilisierung anschlossen, etwa nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges und dem Ende der Apartheid in Südafrika. Die politischen Systeme, die daraus entstanden sind, begründen die liberale, demokratische Nachkriegsordnung.

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Teil dieser Ordnung zu sein, ist seit 1945 das Ziel vieler Staaten gewesen. Selbst Autokraten – zum Beispiel Turkmenbashi in Turkmenistan, Putin in Russland und Erdogan in der Türkei – strebten danach. Dieses Momentum ist noch nicht vollkommen verstrichen. Internationale Organisationen wie die Weltbank und der Internationale Währungsfonds, die OECD, die Afrikanische Union und die EU, die Organisation Asiatischer Staaten und die Nato leben weiter.

Das Trump’sche System aber zielt auf das Ende der Geschichte. Trump und seine Anhänger lehnen die liberale Nachkriegsordnung ab. Das System Trump ist systematisches Störfeuer. Es will keine Restabilisierung zulassen. Und es ist darauf ausgerichtet, sich selbst zu zerstören.

Europa ist das Gegenbild zur Trump-Ideologie. Es darf aus seiner Sicht keinen Erfolg haben

Dass Steven Bannon, früherer Chefstratege und Trump-Flüsterer, weiterhin daran glaubt, eine globale Apokalypse stehe bevor, sollte ein Grund zur Sorge sein. Auch wenn Steven Bannon nicht mehr im Weißen Haus arbeitet – Teile seiner Philosophie leben in Trumps jüngsten Aussagen und Tweets weiter.

Dieses Weltverständnis verachtet den Liberalismus. Es setzt auf den „liberalen Selbstmord“, den „progressive“ Bürger aus dieser Weltsicht begehen, etwa indem sie Einwanderung zulassen. Steven Bannon verachtet die Weltbürger und die Kosmopoliten, die eine Welt anstreben, in der Macht gleicher zwischen den sozialen Schichten, Geschlechtern und Rassen verteilt ist. Die rechten Apokalyptiker ziehen es vor, lieber jetzt die Geschichte enden zu lassen – jetzt, da die westlichen Gesellschaften noch weiß und überwiegend christlich geprägt sind –, als eine integrative Zukunft anzustreben.

Deshalb ist besonders Europa das Ziel des Zorns dieses destruktiven Systems. Aus Sicht der Trump-Anhänger ist Europa ein Gegenbild zu jener Welt, die sie anstreben. Europa hat starke Sozialsysteme, es hat vergleichsweise friedliche, multikulturelle Gesellschaften, Europa gilt als Friedensprojekt, als Symbol für den Multilateralismus und die Überwindung des Nationalstaates. Europa meistert die Integration von Einwanderern wesentlich besser, als Trump und andere Rechtspopulisten es darstellen.

Noch dient Europa nicht der Widerlegung der Trump’schen Apokalypsebehauptung

Je erfolgreicher ein vereintes, multikulturelles Europa ist, desto mehr werden die apokalyptischen Prophezeiungen des Systems Trump als Phantasmen entlarvt. In der Weltsicht von Trump sind Einwanderer „Horden“, die Kriminalität und eine kulturelle Revolution bringen. Sollte es Europa gelingen, die Migranten der vergangenen Jahre erfolgreich zu integrieren, straft das Trumps düstere Weltsicht Lügen. Schafft es Europa, wirtschaftlich erfolgreich zu sein und sich gemeinsam in der Globalisierung zu behaupten, wäre Trumps Behauptung widerlegt, die einzige effektive Antwort auf die Nachteile der Globalisierung sei eine Renationalisierung der Volkswirtschaft.

Im Moment ringt Europa mit sich selbst, noch dient es nicht der Widerlegung der Trump’schen Apokalypsebehauptung. Doch Europa muss es schaffen: um das zerstörerische System zu zerstören.

Annamarie Bindenagel Sehovic ist Associate Fellow am Potsdam Centrum für Politik und Management der Universität Potsdam und Research Fellow an der University of Warwick, Großbritannien.

Annamarie Bindenagel Sehovic

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