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Politik: Der Trick mit dem Kabinettstisch - Verschwinden bald die Waffen? (Kommentar)

Nach der Unterschrift von Elisabeth II. gibt es nun kein Zurück mehr.

Nach der Unterschrift von Elisabeth II. gibt es nun kein Zurück mehr. Die britische Königin hat dem für Ulster ihre formelle Zustimmung gegeben, und damit ist in Nordirland nichts mehr so, wie es vorher war. Die Historie ist in den vergangenen eineinhalb Jahren häufig bemüht worden, und in der Tat gab es seit der Unterzeichnung des Karfreitags-Abkommens im April 1998 viele "erste Male": Die erste direkte Begegnung zwischen David Trimble und Gerry Adams beispielsweise, den beiden Schlüsselfiguren auf der protestantischen und katholischen Seite. Nach einer solchen Begegnung kann man freundlich auseinander gehen und anschließend doch wieder zu den Waffen greifen. Wenn man zusammen in einer Regierung sitzt, ist das schon schwieriger. Pro-britische und pro-irische Nationalisten gemeinsam an einem Kabinettstisch in Belfast - das ist nun ein wirklich historischer Vorgang. Schon deshalb, weil es dergleichen in Nordirland noch nie gegeben hat.

Gewiss: Wenn die katholische Untergrundorganisation IRA im kommenden Jahr nicht anfängt, ihre Waffen abzugeben, wird es mit der nordirischen Autonomie-Seligkeit sehr schnell wieder vorbei sein. Aber an diese Möglichkeit wollen Katholiken und Protestanten - begleitet von London und Dublin, aber doch weitgehend unabhängig - heute höchstens am Rande denken. Martin McGuinness, der frühere IRA-Kommandeur, als Erziehungsminister! Man muss schon in der Unruheprovinz aufgewachsen sein und die vergangenen 30 Terror-Jahre erlebt haben, um die eigentliche Bedeutung der Regierungsbeteiligung eines Mannes und einer Frau aus der IRA-nahen Sinn-Fein-Partei ermessen zu können.

Fünf katholische und fünf protestantische Minister sollen sich nun um wesentliche Belange Nordirlands kümmern - von der Landwirtschaft bis zu den Finanzen. An der Spitze des Kabinettstisches sitzen - auch in den höchsten Ämtern der Provinz gilt natürlich der Proporz zwischen den beiden Religionsgruppen - ein Protestant und ein Katholik. Der Protestant unter den beiden, Nordirlands Erster Minister David Trimble, hat die Bildung des Kabinetts am vergangenen Wochenende überhaupt erst möglich gemacht. Schließlich war die größte Partei Nordirlands, die pro-britische Ulster Unionist Party, bis vor wenigen Tagen der Auffassung gewesen, dass ohne eine Entwaffnung der IRA auch an Minister aus der Sinn-Fein-Partei nicht zu denken sei. "No guns, no government" - von diesem Junktim ist Trimble mit seiner Partei inzwischen abgerückt. Seine Flexibilität im Umgang mit scheinbar unumstößlichen nordirischen Grundsätzen zeigt, worauf es in den nächsten Monaten wirklich ankommen wird: Nicht auf einen bis aufs Letzte festgeschriebenen Proporz zwischen Protestanten und Katholiken, sondern auf wagemutige politische Führungspersonen. Trimble und seine Minister werden nun zeigen müssen, ob sich der ehrgeizige Plan des britischen Premiers Tony Blair zur Dezentralisierung des Vereinigten Königreichs nach den geglückten Experimenten in Schottland und Wales auch in Nordirland anwenden lässt.

Mit der Bildung der Regierung in Belfast hat schließlich auch das spannendste Abenteuer in der jüngeren britisch-irischen Geschichte begonnen. Auf die Mannschaft von David Trimble kommt die schwierige Aufgabe zu, in ihrer gemeinsamen Arbeit so viel kritische Masse zu entwickeln, dass sich die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit allmählich von den Waffen ab- und den politischen Alltagsgeschäften zuwendet. Noch hängt Nordirlands Zukunft vor allem an möglichen Fortschritten in der internationalen Entwaffnungskommission. Fast mutet das Belfaster Regierungsexperiment wie ein Zaubertrick an: Man baue einen Kabinettstisch über den Waffenarsenalen auf - und während oben unter den gebannten Blicken des Publikums debattiert wird, verschwinden unten klammheimlich Maschinengewehre und Semtex-Packungen.

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