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Der Demokrat Joe Biden und der republikanische US-Präsident Donald Trump.

© Montage: Tagesspiegel • Fotos: picture alliance/Charles Krupa/AP/dpa, imago/Adam Schultz

Update

Der "Super Bowl" im Präsidentschaftswahlkampf: Worauf es im ersten TV-Duell Trump gegen Biden ankommt

Der Höhepunkt des US-Wahlkampfes steht unmittelbar bevor. Trumps Stärke: sein schlechtes Image, Bidens Schwäche: sein hohes Alter. Ein Leitfaden.

Es ist Showdown, Kameras und Mikrofone fangen alles ein: Mimik, Gestik, Haltung, jedes tiefe Atmen, jeden Seufzer, Lächeln, Kopfschütteln, Nervosität. Es gibt kein Entkommen.

Denn der Höhepunkt des amerikanischen Präsidentschaftswahlkampfes steht unmittelbar bevor. Der „Super Bowl“ der Politik: An diesem Dienstag treffen in Cleveland, im US-Bundesstaat Ohio, Donald Trump und Joe Biden zum erstenmal direkt aufeinander. Die Nation schaut zu. Bei der ersten TV-Debatte zwischen Trump und Hillary Clinton vor vier Jahren schalteten 84 Millionen Zuschauer ein. Der Rekord könnte diesmal gebrochen werden.

Ein anderer Rekord wird sicher gebrochen. Der Amtsinhaber ist 74 Jahre alt, der Herausforderer 77 Jahre. Zwei sehr alte, weiße Männer ringen um die Macht. Wer wird in den kommenden vier Jahren der mächtigste Mann der Welt sein? Es geht um nichts Geringeres.

Trumps Stärke: sein schlechtes Image. Der Volksmund sagt: Ist der Ruf erst ruiniert, lebt es sich recht ungeniert. Trumps Anhänger wissen alles, was über ihn verbreitet wird – das ungeklärte Verhältnis zu Russland, Sexismus und Rassismus, seine Lügen, sein aufbrausendes Temperament, die Sache mit den Steuern. Und es stört sie nicht. Sie halten fest zu ihm. Die Republikaner stehen geschlossen hinter ihm. Weiße, evangelikale, männliche Kirchgänger ebenso. Diese Treue kann offenbar nichts erschüttern. Womit lässt ein Trump sich in einer Fernsehdebatte demaskieren? Das wird schwer.

Trumps Schwäche: seine Reaktion auf die Corona-Pandemie. Der Präsident flipfloppte hin und her. Lange weigerte er sich, eine Maske zu tragen, das Virus sei nicht schlimmer als eine Grippe, sagte er und verbreitete krude Theorien über Medikamente, Impfstoffe, Infektionsrisiken. Das rächte sich schnell. Mehr als 200.000 Amerikaner sind an Covid-19 bereits gestorben. Die USA sind eines der am härtesten von dem Virus betroffenen Länder.

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Bidens Stärke: sein Saubermann-Image. Empathie, Vertrauen, Integrität: In Fragen des Charakters bekommt der Herausforderer in Umfragen gute Werte. Immer wieder stellte er sich an die Seite der Opfer, ob von Naturkatastrophen, Rassismus oder Arbeitslosigkeit. Amerika soll wieder anständig werden: So lautet Bidens Gegenentwurf zu Trumps MAGA („Make America Great Again“).

Die Wähler wollen nicht nur wissen, wen sie abwählen

Bidens Schwäche: sein hohes Alter. Manchmal wirkt er unkonzentriert, beendet seine Sätze nicht, redet wirr. Vielleicht auch deshalb waren öffentliche Auftritte von ihm selten. Biden will, dass nicht über ihn gesprochen wird, sondern über Trumps „miserable Bilanz“. Das aber ist eine riskante Strategie. Die Wähler wollen nicht nur wissen, wen sie abwählen, sondern auch, wer sie regiert.

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In der TV-Debatte soll es 90 Minuten um sechs Themenkomplexe gehen: den Supreme Court, also konkret um die Nachfolge der vor gut einer Woche verstorbenen liberalen Richterin Ruth Bader Ginsburg; die Corona-Pandemie; die Wirtschaft; Rassismus und die anhaltende Gewalt in vielen Städten nach dem Tod von George Floyd; um Trumps und Bidens bisherige politische Bilanz; und schließlich um die Integrität der Präsidentschaftswahl an sich. Der Frage, ob er das Ergebnis der Wahl anerkennen werde, weicht Trump bislang aus. Weil das Format der Debatte ziemlich starr ist – der Moderator fragt, die Kandidaten antworten jeweils zwei Minuten lang -, kommt es auf Details an. Die erste Grundregel lautet: Das Wie schlägt das Was. Auftritt ist wichtiger als Inhalt.

Die zweite Grundregel heißt: Es gewinnt, wer sich besser präsentierte, als von ihm erwartet worden war. In dieser Hinsicht hatte Trump eine raffinierte Strategie entwickelt. Wochenlang beschimpfte er Biden als alt, senil und fahrig, bis sich das Bild von „Sleepy Joe“ in den Köpfen festsetzte. Dann schwenkte er um und attestierte dem Demokraten, ein guter Redner zu sein. Wie passt das zusammen? Ganz einfach: Falls Biden in der TV-Debatte wach und alert wirken sollte, sei er durch aufputschende Medikamente gedopt worden, mutmaßt Trump. Also egal, wie es ausgeht, am Ende will der US-Präsident sagen können: Ich hatte recht.

Biden: Trump ist wie Goebbels

Biden wiederum, der es lange Zeit vermieden hatte, Trump direkt anzugreifen, ging am vergangenen Samstag in die Offensive. Trump sei in etwa wie Nazi-Propagandaminister Joseph Goebbels, sagte er in einem Interview. „Man erzählt eine Lüge lange genug, wiederholt sie, wiederholt sie – und schließlich gilt sie als Allgemeinwissen.“ Trump, der gefährliche Demagoge und notorische Lügner: Diese Charakterisierung soll den Resonanzboden für alle Äußerungen des Amtsinhabers abgeben.

Trump wird versuchen, sich selbst als durchsetzungsfähigen Macher darzustellen, der Amerikas Feinde in die Schranken weist, keine Konfrontation scheut und das Land vor allem wirtschaftlich wieder stark gemacht hat. Bis heute schneidet Trump, wenn es um Wirtschaftskompetenz geht, in Umfragen sehr gut ab.

Dass ihm in dieser Beziehung die Corona-Pandemie einen Strich durch die Rechnung gemacht hat, kreidet er der Führung in China an. Der zentrale Vorwurf an seinen Kontrahenten wird lauten, dieser tendiere nach links, distanziere sich nicht von gewalttätigen Demonstranten, schwäche Amerika nach Innen und Außen.

Nur fünf Prozent der Wähler sind noch unentschieden

Biden will vor allem Trump sich selbst schlagen lassen. Er setzt auf dessen konstant niedrige Popularitätswerte. Biden muss konzentriert wirken und direkt zu den Amerikanern sprechen. Er darf sich nicht provozieren lassen oder den Verdacht nähren, zu alt für das Amt zu sein. Sein wichtigster Vorwurf an Trump wird lauten, dieser habe im Kampf gegen Covid-19 versagt und sei eine Gefahr für die amerikanische Demokratie.

Wer wird gewinnen, wer verlieren? Die dritte Grundregel lautet: Das entscheiden vor allem die Spin-Doktoren, die Interpreten in den Medien, die Nutzer der sozialen Netzwerke wie Facebook, Twitter und Instagram. Insbesondere auf Twitter wird bereits während der Sendung pausenlos kommentiert. Der eigene Kandidat wird schamlos gelobt, der Gegenkandidat gnadenlos niedergemacht. Jeder versucht, ein schwankendes Publikum auf seine Seite zu ziehen.

Aber schwankt das Publikum? Nur fünf Prozent der Wähler sind noch unentschieden. Die große Mehrheit hat ihr Urteil längst gefällt. Fünf Prozent? Das klingt nach wenig. Wer aber auf die Umfrage-Abstände von Trump und Biden in den „battleground states“ blickt, merkt rasch: Diese fünf Prozent können die Wahl entscheiden.

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