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Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) vor Kanzlerin Angela Merkel (CDU)

© dpa/Michael Kappeler

Der Schattenmann: Die Krise der SPD gefährdet Scholz' Zukunft

Olaf Scholz traut sich das Kanzleramt zu. Doch nicht nur die Umfragen, sondern vor allem das SPD-Durcheinander werden für ihn zum Karriere-Problem.

Die Tage des Olaf Scholz sind gerade ziemlich lang, ein deutscher Spitzenpolitiker arbeitet ja in normalen Zeiten schon mehr als ein weitaus höher bezahlter Top-Manager. Doch jetzt ist richtig Krise, die Arbeitszeit beträgt zum Teil 16 Stunden – das Telefon bleibt selten still. Und diese Krise ist auch seine Krise. Er war es, der die SPD mit Andrea Nahles Richtung große Koalition bugsiert hat.

Es ist schon nach 21 Uhr, Scholz muss noch einmal raus vor die TV-Kameras, ausnahmsweise keine Kommentierung der Krise, sondern etwas, das das Herz eines jeden Finanzministers froh macht. Kurz zuvor ist bekannt geworden, dass die Versteigerung der Mobilfunklizenzen der fünften Generation (5G) mit gut 6,5 Milliarden Euro weit mehr Geld eingebracht hat, als erwartet. "Das ist gut. Es geht los mit einem besseren Mobilfunkausbau in Deutschland", sagt er gewohnt trocken in die Kameras.

Das Geld werde er wie in der Koalition vereinbart für die digitale Infrastruktur verwenden. Und nicht zum Stopfen von Haushaltslöchern oder um, wie von CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer angemahnt, Milliardensummen zusätzlich in Rüstung und Verteidigung zu pumpen, um Forderungen von US-Präsident Donald Trump und anderen Nato-Partner  zu erfüllen. Es gebe nun mehr Mittel, um die Digitalisierung der Schulen voranzutreiben und um dünn besiedelte Regionen mit besserem Internet zu versorgen, sagt Scholz.

Erst das Land, dann die Partei, das war lange das Motto. Der Vizekanzler und Bundesfinanzminister muss nun aber auch um seine eigene Zukunft auf der großen Bühne bangen. Dabei kann sich seine Bilanz sehen lassen, keine neuen Schulden, neue Investitionsprogramme, Rentenreformen, beim Treffen der G20-Finanzminister in Japan hat er den nächsten Zwischenschritt hin zu einer globalen Mindestbesteuerung geschafft, bis nächstes Jahr soll es eine Lösung geben, damit Digitalkonzerne wie Amazon hier mehr Steuern zahlen sollen, aber durch eine gemeinsame Lösung gerade mit den USA erreicht wird, dass es nicht zu Vergeltungsmaßnahmen gegen deutsche Autokonzerne kommt.

Beliebtester SPD-Politiker neben Heiko Maas

Politik ist oft komplizierter als es in Zeiten von Twitter kommunizierbar ist. "Unterkomplex" ist ein Scholz-Wort. "Unterkomplex" ist aus seiner Sicht wohl manche Debatte, etwa wenn, ausgelöst von FDP-Chef Christian Lindner die Klimafrage darauf reduziert wird, ob ein Schnitzel noch drin ist oder nicht.

Nach außen gibt der laut Umfragen beliebteste SPD-Politiker neben Außenminister Heiko Maas den Optimisten. Doch so wie Nahles zuletzt bei vielen regelrecht verhasst war, ist es auch Scholz, der zum Angriffspunkt geworden ist. Der 60-Jährige hat Anfang des Jahres gesagt, dass er sich die Kanzlerkandidatur natürlich zutraut.

Er muss Spott über sich ergehen lassen, wenn er sagt, die SPD könne mit dem richtigen Kandidaten immer noch stärkste Kraft werden. Doch der dienstälteste Vizechef der Partei ist nicht sonderlich beliebt. Er führt offiziell die Arbeitsbelastung als Minister als Grund an, warum er nicht für den Vorsitz kandidieren wird – die Aufbauarbeit erfordert eine Ochsentour an der Basis. Aber er wäre als Parteichef und GroKo-Verfechter in der jetzigen Situation auch kaum vermittelbar.

Vielen in der Partei ist Scholz zu rechts

Doch außer ihm hat die SPD derzeit wohl niemanden mit so viel Regierungserfahrung – und der solche Wahlerfolge wie Scholz in Hamburg vorweisen kann, wo er zudem frühzeitig eine Flüchtlings- und Integrationspolitik mit Augenmaß ins Werk setzte und wo der Wohnungsneubau wesentlich besser vorankommt als in Berlin. Als Bundesarbeitsminister trug er dazu bei, dass in der Finanzkrise mit Kurzarbeitsregelungen hunderttausende Jobs gerettet werden konnten. Doch vielen in der Partei ist er zu rechts, zu arrogant.

"Ich bin Sozialdemokrat, in echt", verweist er süffisant auf Bedenken, er könnte ein verkappter Schwarzer sein. Doch das Vorschlagsrecht für die Kanzlerkandidatur  hat der oder die SPD-Vorsitzende – es galt als längst ausgemacht, dass Nahles Scholz den Vortritt lässt.

Vom Selbstverständnis her, trotz 13 Prozent in Umfragen noch linke Volkspartei zu sein, muss man natürlich einen Kanzlerkandidaten aufstellen. Wenn die große Koalition tatsächlich im Herbst scheitern sollte, womöglich ausgelöst vom Druck der SPD-Basis, müsste Scholz schneller aus dem Schatten treten, als ihm lieb sein kann. Gegen Annegret Kramp-Karrenbauer könnte er sich im direkten Vergleich gute Chancen ausrechnen – er könnte am Ende aber auch wieder nur Vizekanzler werden – unter einem Kanzler Robert Habeck oder einer Kanzlerin Annalena Baerbock. Es scheint vieles möglich in diesen Zeiten.  

Mehr Zuversicht, Haltung – das sind die Attribute, die er gerne mehr bei seinen Sozialdemokraten sähe.  Aber er hat die Lage nicht mehr unter Kontrolle, auch wenn er sich natürlich eng abspricht mit der Übergangs-Troika aus Thorsten Schäfer-Gümbel, Malu Dreyer und Manuela Schwesig. Bei Schäfer-Gümbel auf dem Schreibtisch liegt das „BMF Briefing“, mit den neuesten Informationen aus Scholz‘ Bundesfinanzministerium ganz oben auf dem Papierstapel.  Aber viel wichtiger sind für ihn, der eigentlich schon fast mit der aktiven großen Politik abgeschlossen hatte und im Oktober Vorstand bei der Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ) wird, die über 22.700 Zuschriften der Mitglieder mit Vorschlägen, wie es nun weitergehen soll.

Schäfer-Gümbel ist gerade Scholz‘ wichtigster Mann

Die GIZ ist weltweit für Krisenregionen zuständig, Schäfer-Gümbels Krisenzentrum befindet sich aber nun erst einmal im lichtdurchfluteten Chefbüro im fünften Stock des Willy-Brandt-Hauses. Schäfer-Gümbel ist gerade Scholz‘ wichtigster Mann, denn Dreyer ist als Ministerpräsidentin in Rheinland-Pfalz gebunden, Schwesig als Regierungschefin in Mecklenburg-Vorpommern. Die Troika muss all die Ideen nach Ende der Beteiligungsfrist an diesem Freitag binnen zehn Tagen zu einem großen Ganzen zusammenbinden.

Und Scholz muss hoffen, dass die Entscheidungen des Vorstands bei der entscheidenden Sitzung am 24. Juni dazu führen, dass der Nachfolge-Plan ihm noch in die Karten spielt. Ein Juso-Chef Kevin Kühnert wäre Gift für ihn, aber das ist die Black Box, wer sich bewirbt. Die Zeit der Hinterzimmer ist vorbei, keine Kontrolle mehr. „Ich erwarte offizielle Bewerbungen mit Lebenslauf, Passbild oder einer Idee für die Zukunft der SPD auch erst nach dem 24. Juni, wenn das Verfahren klar ist“, sagt Schäfer-Gümbel. Vorsichtshalber hat Scholz schon klar gestellt, dass sei auch für ihn die letzte große Koalition. Am besten würde zu ihm eine Ampel mit Grünen und FDP passen – aber die SPD wäre laut Umfragen auch hier nur die zweite Geige.

Erstaunlicherweise läuft das Regieren jetzt besser

Erstaunlicherweise läuft das Regieren zwischen Union und SPD mit jeder schlechter werdenden Umfrage besser, konzentrierter, wie mehrere Koalitionäre betonen. Alle der Streit hat nichts gebracht, jetzt versucht man mehr zu liefern. Ein großer Wurf in der Klimaschutzpolitik muss her. Die Umfragen tanzen, die neueste von Insa zum Beispiel zur Landtagswahl am 1. September in Sachsen: Die AfD  bei 25 Prozent, die CDU nur noch bei 24 Prozent. Linke und Grüne befinden sich mit je 16 Prozent auf Augenhöhe – plötzlich greift der grüne Höhenflug auch auf die bisherige Diaspora im Osten über. Und die SPD? Bei sieben (!) Prozent, knapp vor der FDP (6) – in Sachsen wurden 1863 die deutsche Sozialdemokratie begründet. Beginnt auch hier ihr schleichendes Ende?

Die Dresdner Juso-Chefin Sophie Koch hat via Twitter vor ein paar Tagen gnadenlos abgerechnet mit der großen Koalition, wo die SPD ob all der Kompromisse ständig mit ihrem Profil unter die Räder gerate. "Neunmal Kluge Ideen von GroKo Befürwortern von früheren Parteivorsitzenden oder noch Vorstandsmitgliedern, die aus einer durchaus bequemen Position heraus denken, ein "weiter so" wird uns schon irgendwie retten", meinte sie auch mit Blick auf Scholz. 

"In Sachsen kämpfen wir auch dank der Bundespolitik darum, überhaupt zweistellig zu werden, hier kämpfen wir, gegen schwarz-blau", sagte Koch mit Blick auf CDU und AfD. "Hier kämpfen wir schlicht und ergreifend um unsere Demokratie." Bei ihr dringen die Scholzschen Durchhalteparolen schon lange nicht mehr durch.

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