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Trauernde bei einem Gottesdienst in der Piuskirche in El Paso.

© Mario Tama/Getty Images/AFP

Der rechte Terror ist global: Warum ein Massaker wie in El Paso auch in Deutschland droht

In rassistischem Wahn schießt ein 21-Jähriger in El Paso um sich. Seine Ideologie ist weit verbreitet. Immer wieder schreiten Rechte zur Tat. Eine Analyse.

Von Frank Jansen

Die Gefahr wächst. In den deutschen Sicherheitsbehörden ist die Sorge zu hören, das mutmaßlich rassistische Massaker in El Paso steigere das schon hohe Risiko rechter Attentate noch. Der Mord an Walter Lübcke und die Schüsse auf einen Eritreer im hessischen Wächtersbach animierten bereits Rassisten zu Nachahmertaten, sagt ein hochrangiger Sicherheitsexperte, jetzt komme noch El Paso hinzu. „Die Nachfrage nach rechter Hassideologie“ sei in Teilen der Gesellschaft hoch und werde von AfD, Identitären und anderen Rechten geschürt.

Welchen Bezug hat die Tat von El Paso zu Deutschland?

Ob der Täter eine Verbindung zu deutschen Rechtsextremisten unterhielt, ist offen. Doch der rassistische Wahn, den Patrick Crusius in dem ihm zugeschriebenen Internet-Manifest äußert, führt ideologisch zur Identitären Bewegung, die in Deutschland und weiteren Staaten gegen Zuwanderer hetzt. Ein ähnlicher Strang verband den australischen Massenmörder Brenton Tarrant mit den Identitären. Tarrant erschoss am 15. März in Christchurch (Neuseeland) in zwei Moscheen 51 Menschen.

Crusius argumentiert nun wie Tarrant, den er auch als Vorbild ansieht. Im Pamphlet des 21-jährigen Attentäters von El Paso steht, er verteidige sein Land gegen den Austausch der Bevölkerung („cultural and ethnic replacement“), den die „Invasion“ von Latinos bringe.

Crusius sieht seinen Angriff als Antwort auf die „Hispanic invasion of Texas“. Tarrants Manifest zum Anschlag auf die Moscheen trägt den Titel „The Great Replacement“. Für den Australier sind die Invasoren vor allem Muslime, die angeblich die einheimische Bevölkerung ersetzen sollen.

Die Behauptung, es sei ein „großer Austausch“ zugunsten von Migranten im Gange, ist eine zentrale Parole der Identitären Bewegung in Deutschland und anderen Ländern. Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat die deutschen Identitären im Juli als „gesichert rechtsextremistische Bestrebung gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung“ eingestuft und vom Verdachtsfall zum klassischen Beobachtungsobjekt hochgestuft.

Bilder einer Überwachungskamera zeigen den Angreifer beim Betreten des Walmart-Supermarkts.
Bilder einer Überwachungskamera zeigen den Angreifer beim Betreten des Walmart-Supermarkts.

© AFP PHOTO / Courtesy of KTSM 9 News Channel

Der australische Massenmörder Brenton Tarrant war ein Sympathisant der Identitären. Er spendete 2018 dem Anführer der Bewegung in Österreich und Deutschland, Martin Sellner, 1500 Euro.

Ist ein Anschlag wie in El Paso auch in Deutschland möglich?

Er ist nicht nur möglich, es gab bereits eine vergleichbare Tat. In München schoss am 22. Juli 2016 der junge Deutsch-Iraner David Sonboly gezielt auf Personen, die er für Migranten hielt. Neun Menschen starben. Die Opfer waren eine Türkin, zwei junge Deutschtürken, ein Grieche, ein Kosovare, zwei deutsche Jugendliche, deren Familien aus dem Kosovo stammen, sowie zwei junge Männer aus der Bevölkerungsgruppe der Sinti und Roma. Als die Polizei näherkam, erschoss Sonboly sich selbst.

Der Deutsch-Iraner hasste Migranten, ein Grund für seine Radikalisierung war offenbar Mobbing, das er in der Schulzeit erlitten hatte. Auf einer Computerfestplatte hinterließ der Attentäter ein Manifest, in dem er über „ausländische Untermenschen“ schwadroniert.

Sonboly verehrte den rechtsextremen Massenmörder Anders Breivik. Der Norweger hatte am 22. Juli 2011 in Oslo eine Autobombe gezündet und auf der nahen Insel Utoya junge Sozialdemokraten erschossen. Auch Breivik hinterließ ein Manifest. Der Rassist wollte die damals in Norwegen regierenden Sozialdemokraten für den Zustrom von Migranten bestrafen. Dass Sonboly am fünften Jahrestag des Massakers von Breivik in München schoss, war offenkundig kein Zufall.

Das gilt womöglich auch für das Attentat in Wächtersbach. Am 22. Juli 2019, dem achten Jahrestag von Breiviks Doppelanschlag, feuerte der Rassist Roland K. in der hessischen Kleinstadt auf einen Eritreer. Das Opfer erlitt einen Bauchdurchschuss und überlebte nur knapp. Der Täter hatte nach Personen mit dunkler Hautfarbe gesucht, um sie zu töten. Vier Stunden nach der Tat tötete sich K.

Ein Polizei am Tatort in Wächtersbach, wo auf einen Eritreer gefeuert wurde.
Ein Polizei am Tatort in Wächtersbach, wo auf einen Eritreer gefeuert wurde.

© Kai Pfaffenbach/REUTERS

Der Flüchtlingsfeind verfügte über fünf Waffen und 1000 Schuss Munition. Der Mann hätte auch ein Massaker wie in El Paso anrichten können, sagen Sicherheitskreise. Das gelte auch für den anderen rechten Anschlag in Hessen in diesem Sommer. Am 2. Juni starb der Kasseler Regierungspräsident durch einen Schuss in den Kopf. Mutmaßlicher Täter ist der Neonazi Stephan Ernst. Er gestand die Tat und führte die Polizei zu einem Erddepot mit fünf Waffen, darunter der bei dem Mord eingesetzte Revolver, eine Pumpgun und eine israelische Maschinenpistole. Ernst hat inzwischen sein Geständnis widerrufen, bleibt aber dringend tatverdächtig.

Welche potenziellen Opfergruppen sind besonders gefährdet?

Sicherheitskreise warnen, bei Rechtsextremisten, aber auch Rechtspopulisten werde die Zwangsvorstellung stärker, Deutschland sei spätestens seit der so genannte Flüchtlingskrise 2015 in höchster Gefahr, von Migranten geflutet zu werden. Zuwanderer müssten gewaltsam gestoppt und die Verantwortlichen in Staat und Gesellschaft bestraft werden. Besonders gefährdet durch rechte Gewalt seien Flüchtlinge und andere Migranten sowie Politiker, Journalisten, Flüchtlingshelfer und andere Demokraten, die als „Volksverräter“ stigmatisiert werden.

Unverhohlene Botschaft: ein Neonazi beim Festival „Schwert und Schild“ am 20. April 2018 in Ostritz.
Unverhohlene Botschaft: ein Neonazi beim Festival „Schwert und Schild“ am 20. April 2018 in Ostritz.

© Hannibal Hanschke/REUTERS

Rechtsextreme Anschläge auf Migranten haben die Bundesrepublik schon mehrmals erschüttert. Die Terrorzelle NSU erschoss von 2000 bis 2006 acht Menschen türkischer Herkunft und einen Griechen. Mit drei Bombenanschlägen in Nürnberg und Köln wollten die Neonazis Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos zusätzlich Angst und Schrecken verbreiten, vor allem bei Türken. Auch nach dem dramatischen Ende des NSU 2011 brach der Terror nicht ab.

Ein Beispiel: die Gruppe „Oldschool Society“ plante einen Angriff auf ein Flüchtlingsheim in Sachsen, die Polizei konnte die Rechtsextremen im Mai 2015 gerade noch rechtzeitig festnehmen. Eine neue Qualität ist hingegen der Anschlag auf Walter Lübcke. Erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik starb ein Politiker bei einem rechtsextremen Attentat. Sicherheitskreise befürchten, dass der Hass auf Lübcke, der danach im Internet aufflammte, Rechtsextremisten zu weiteren Anschlägen auf missliebige Demokraten animiert.

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