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Bundeskanzlerin Angela Merkel in der Mitte der sechs Länderchefs (v.l.): Bodo Ramelow (Thüringen), Länderbeauftragte Iris Gleicke, Reiner Haseloff (Sachsen-Anhalt), Dietmar Woidke (Brandenburg), Bildungsministerin Johanna Wanka, Stanislaw Tillich (Sachsen), Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller und Erwin Sellering (Mecklenburg-Vorpommern).

© Sebastian Kahnert/dpa

Der Osten gegen den Bund: Ostdeutsche Länderchefs fordern Förderung

Die ostdeutschen Länderchefs treffen sich in Sachsen mit Bundeskanzlerin Merkel, um gemeinsame Interessen gegen den Bund durchzusetzen. Es geht vor allem um die Strukturförderung.

Der Weg zu diesem Ost-Gipfel führt durch blühende Landschaften. Das liegt am Frühling. Die Kanzlerin hat passenderweise den fliederfarbenen Blazer gewählt. Das neue Schloss im sächsischen Bad Muskau als Veranstaltungsort passt zudem prächtig zu den Themen, die die Chefs der sechs Ost-Länder hier besprechen wollen. Das merken schon die Fotografen, die im Pressebereich fluchen, weil ihre Übertragungsleitung immer wieder zusammenbricht. Das Internet ist schwach und langsam, die Wege in die nächsten Metropolen sind weit. Und dass sich hierher normalerweise nicht viel Prominenz verirrt, zeigt der Menschenauflauf, als Angela Merkel aus dem Hubschrauber steigt.

Während die Bundeskanzlerin noch mit Spaziergängern Hände schüttelt, treten im Hof des neuen Schlosses sechs Ministerpräsidenten von einem Fuß auf den anderen. Soll man der Chefin entgegengehen? „Na los, besser, als hier rumzustehen“, sagt der einzige Linke in der Runde, der Thüringer Bodo Ramelow.

Theoretisch soll nicht mehr nur der Osten profitieren

Der Osten gibt 27 Jahre nach der Einheit kein einheitliches Bild mehr ab. Trotzdem haben die neuen Länder gemeinsame Interessen, die sie hier mit Angela Merkel (CDU) besprechen wollen. Zuvörderst die Strukturförderung für die Zeit nach 2020. Es wird die nächste Herausforderung, nachdem sich Bund und Länder über ihre Finanzbeziehung geeinigt haben. Die ostdeutschen Regierungschefs unterstützen das Vorhaben der Bundesregierung, die regionale Strukturförderung ab 2020 zu einem gesamtdeutschen System für strukturschwache Regionen zu machen. Profitieren soll dann nicht mehr zwangsläufig der Osten – praktisch aber schon. Denn die Wirtschaftsleistung der Ostländer reicht längst nicht an die des Westens heran.

Das Bruttoinlandsprodukt liegt im Osten nur bei drei Vierteln. Merkel betont deshalb, dass „selbst die, die in Nordrhein-Westfalen als nicht so strukturstark gelten, im Vergleich zum Osten immer noch recht stark“ seien. In der neuen Strukturförderung wird deshalb „trotzdem der Osten Inanspruchnehmer“, so die Kanzlerin.

Die Fördertöpfe der EU könnten indes für den Osten in absehbarer Zeit schrumpfen. Die Länderchefs fordern deshalb vom Bund mehr Einsatz dafür, dass der „bislang erfolgreiche Aufholprozess“ ihrer Länder nicht abbreche, heißt es in einer gemeinsamen Erklärung. Der Osten befinde sich „in einer Sandwichposition“ zwischen dem hoch entwickelten Westen und dem schwachen Osteuropa. Neuinvestitionen könnten in der Förderperiode nach 2020 deshalb an Ostdeutschland vorbeigehen.

Hoffen auf die Ansiedlung von Bundesbehörden

Zudem haben einige neue Länder noch Rechnungen mit dem Bund offen, was die Ansiedlung von Bundesbehörden betrifft. Eine Bundestagsentscheidung von 1992 versprach dem Osten Behörden, die bis heute nicht gekommen sind. So wollte der Gastgeber, Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) nicht versäumen, „den Bund daran zu erinnern“, dass der Bundesgerichtshof weitere Strafsenate in Leipzig eröffnet. Das Bundesjustizministerium hat das Anliegen vor wenigen Wochen postwendend abgeschmettert. Aber Tillich geht davon aus, dass dieses Nein „eher eine temporäre Äußerung“ sei.

Auch die fünf Kollegen erwarten, dass der Bund seine Bemühungen, Behörden „gleichmäßig im Bundesgebiet einzurichten“, intensiviert. Mit dem Brexit sind sogar europäische Behörden für den Osten denkbar. Die EU-Arzneimittelbehörde, die noch in London sitzt, soll nach Wunsch aller sechs Länderchefs nach Berlin kommen.

Nicht zuletzt macht den Länderchefs der Strompreis Sorge. Sie fordern von Merkel geschlossen, die Kosten der Energiewende bundesweit „fair und gleichmäßig“ zu verteilen. Dies betrifft sowohl die Trassen als auch die Kosten der Stromübertragungsnetze.

Gerade die Länder mit viel Industrie – Sachsen und Thüringen – fürchten, dass stromintensive Betriebe durch höhere Stromkosten aus dem Land vertrieben werden. Die ostdeutschen Länder betonten deshalb gegenüber der Kanzlerin, sie seien „mit dem Ausbau erneuerbarer Energien vorangegangen“. Allerdings haben die Entscheidungen bei Energie und Klima „unmittelbare und erhebliche Auswirkungen auf die Braunkohleregionen in Ostdeutschland“, was insbesondere Sachsen und Brandenburg betrifft. Merkel beruhigte mit der Zusage, „erst muss die Perspektive für den Strukturwandel stehen, dann reden wir über den Ausstieg aus der Braunkohle“.

Niedrige Löhne vergraulen Arbeitskräfte

Derweil machen draußen auf der Wiese Passanten Selfies mit dem Hubschrauber. Das Kurstädtchen Bad Muskau liegt im tiefsten Osten des Ostens. Nicht mal 4000 Einwohner teilen sich hier eine der schönsten Parklandschaften. Der Kreis Görlitz, zu dem Bad Muskau gehört, war lange der kaufkraftschwächste der Republik. Trotz der hohen Industriedichte rund um Görlitz sind die Löhne vergleichsweise niedrig.

Die Region wirbt seit Jahren auf allen Kanälen um Rückkehrer. Aber die harten Fakten erschweren den Erfolg. Ein Ingenieur verdient hier im Schnitt 4000 bis 5000 Euro brutto – und arbeitet oft in Betrieben, die mehr oder weniger an der Kohle hängen. Wie der Strukturwandel hier konkret aussehen kann, dafür gibt es viele Ideen, aber keinen großen Masterplan. „Wir haben hier viele kleine Unternehmen mit im Schnitt acht oder neun Leuten“, sagt der SPD-Bundestagsabgeordnete Thomas Jurk. „Wenn wir denen helfen zu wachsen, dann ist das die Lösung für viele Probleme.“ Aber das sei auch eine Frage der Lohnhöhe. Und die wird hier noch lange ein Thema bleiben.

Christine Keilholz

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