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Politik: Der neue EU-Kommissionschef Romano Prodi ist zwischen alle Europa-Fronten geraten (Kommentar)

Il professore: Das klang gut und vor allem nach ökonomischer Kompetenz. Der Mann mit dem Sachverstand, der italienische Wirtschaftsprofessor Romano Prodi, ist vor einem Jahr von den europäischen Staats- und Regierungschefs zum Chef der EU-Kommission in Brüssel gekürt worden.

Il professore: Das klang gut und vor allem nach ökonomischer Kompetenz. Der Mann mit dem Sachverstand, der italienische Wirtschaftsprofessor Romano Prodi, ist vor einem Jahr von den europäischen Staats- und Regierungschefs zum Chef der EU-Kommission in Brüssel gekürt worden. Seither ist die "Story" der EU stark mit dem Wirtschaftsprofessor aus Bologna verknüpft. "Il professore" räumt auf im Augiasstall der EU-Kommission - so lautete die erste Schlagzeile nach dem Amtsantritt des Italieners in Brüssel.

Inzwischen ist die Presse nicht mehr so freundlich zu Prodi. Führungsschwäche, Kommunikationsschwierigkeiten und fehlende Orientierung im europäischen Apparat werden ihm vorgeworfen. Und der Apparat trägt einen handfesten Machtkampf mit Prodi aus. Die Verwaltung der EU wehrt sich gegen den Versuch des Italieners, nationale Erbhöfe in der Kommission abzuschaffen und alte Seilschaften zu kappen. Kein Zweifel: Die Negativ-Kampagne, mit deren Folgen sich Prodi immer noch herumschlägt, hat ihren Ursprung in den Tiefen der EU-Kommission.

Prodi bleibt dennoch nichts anderes übrig, als den Kampf mit der EU-Hydra in der Gestalt ihrer Generaldirektionen, altgedienten Beamten und heimlichen Chefs aufzunehmen. Zumal inzwischen auch das Europaparlament vorzeigbare Ergebnisse von dem neuen Kommissionschef erwartet. Die Europa-Abgeordneten verfügen immerhin über das Machtmittel, die Kommission in ihrer Haushaltsführung zu entlasten oder nicht. Dieses Instrument, das schon beim Sturz der Santer-Kommission eine entscheidende Rolle spielte, setzen die Parlamentarier auch jetzt wieder gezielt ein. Zwar muss Prodi nicht damit rechnen, demnächst einem Putsch in Brüssel zum Opfer zu fallen. Aber bevor er zwischen allen Fronten zerrieben wird, sollte er sich Gedanken über sein PR-Arbeit machen.

Armer Romano Prodi. Die Osterweiterung der EU soll er vorbereiten, für Effizienz im eigenen Beamtenapparat sorgen, der Brüsseler Vetternwirtschaft ein Ende setzen - und jetzt auch noch eine Medienarbeit leisten, die die Schröders und Blairs vor Neid erblassen lässt! Die Aufgabe ist natürlich nicht zu bewältigen - schon deshalb nicht, weil Politiker an der Spitze von Nationalstaaten, anders als der EU-Kommissionschef, ihr Charisma innerhalb ihrer Parteien und bei Wahlen ständig auf die Probe stellen müssen. Ein vergleichbares Forum - etwa eine Direktwahl des EU-Kommissionschefs - hat Prodi nicht. So war auch viel Heuchelei im Spiel, als Europas Staats- und Regierungschefs vor einem Jahr in Berlin den Italiener als deus ex machina und Nachfolger des Luxemburgers Jacques Santer präsentierten.

Zwar konnte sich Prodi in der Tat eine Zeit lang wie ein europäischer Gott fühlen. Aber inzwischen haben die 15 europäischen Chefs dem Italiener klargemacht, dass sie ihn auf dem europäischen Olymp bestenfalls als Zaungast dulden. Beim Streit um die Balkan-Hilfe haben Schröder, Blair und Chirac den Kommissionspräsidenten bereits in die Schranken gewiesen. Das nächste Feld, auf dem sich Prodi gegen die Chefs wird wehren müssen, ist die Osterweiterung der EU. Weil in Deutschland, Großbritannien und Frankreich in den nächsten zwei Jahren Parlamentswahlen anstehen, bergen auch die Beitrittsdaten für die ersten EU-Kandidaten innenpolitischen Sprengstoff. Der Konflikt ist vorgezeichnet: Da die Europäische Union ihren Namen wirklich verdienen soll, müssen die ersten Beitritte noch zu Prodis Amtszeit erfolgen - aber mit Blick auf Mitgliedstaaten und Arbeitnehmer bitteschön mit langen Übergangsfristen.

Der ehemalige Kommissionspräsident Jacques Delors schuf die Grundlagen für die Währungsunion, sein Nachfolger Jacques Santer setzte sie ins Werk. Hat nun Romano Prodi die undankbare Aufgabe, einer ziellos gewordenen EU als Steuermann und den Staats- und Regierungschefs wahlweise als Held und als Prügelknabe zu dienen? Europa ist zu einem Medienthema wie jedes andere geworden. Mit seinen Bösewichtern - ob sie nun Bangemann oder Cresson heißen - und mit seinen Stars. Da der EU-Betrieb über ein halbes Jahrhundert nach Kriegsende nicht mehr allein auf das eherne Gesetz der deutsch-französischen Freundschaft und die selbstverständliche Verpflichtung zum Frieden vertrauen kann, um in der Öffentlichkeit anzukommen, ist die Suche nach Symbolen schwieriger geworden. Im vergangenen Jahr hat Prodi mit scheinbar griffigen Themen reichlich herumexperimentiert - erst wollte er in der EU-Kommission aufräumen, dann wagte er im Alleingang die Kontaktaufnahme mit dem libyschen Revolutionsführer Muammar el Gaddafi, beständig beschwört er die Herausforderungen durch die Globalisierung. Ein eigenes Profil hat er dabei nicht gewonnen. Noch hat er Zeit dazu - aber sie wird knapp.

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