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Ab jetzt läuft es anders!, dachten sich viele der neuen Abgeordneten, als sie am 24. Oktober erstmals im Bundestag saßen.

© dpa

Der neue Bundestag: Bürgernähe liegt so fern

Die Neuen im Bundestag wollen dem Bürger wieder näher kommen. Jede Wette, dass ihnen das nicht gelingen wird. Das System steht ihnen im Weg. Eine Kolumne

Eine Kolumne von Ursula Weidenfeld

Es besser zu machen als die Vorgänger – das haben sich viele neue Abgeordnete vorgenommen, die in diesen Wochen durch Berlin laufen, eine Wohnung suchen, Mitarbeiter einstellen, Büromaterial ordern. Die Politik in den kommenden vier Jahren soll weniger Prenzlauer Berg, dafür mehr Sauerland und Uckermark sein, sagt FDP-Mann Christian Lindner.

Der Wähler als neu entdeckter Partner der Politik – ein schöner Gedanke. Aber er wird kaum Wirklichkeit werden. Ein alter Streit unter Demokratieforschern geht darum, ob gewählte Repräsentanten ihren Wählern ähneln müssen. Ausgerechnet Bürger aus bildungsfernen und ärmeren Schichten wollen das. Sie wollen, dass ihr Wahlkreis-Abgeordneter so ist wie sie. Das hat die Frankfurter Soziologin Sigrid Roßteutscher herausgefunden. Die Partei aber, die ihren Wählern nun am lautesten auf die Schulter klopft – die SPD –, hat in den Wahlkreisen mit vielen Armen und Arbeitslosen die gebildetsten Abgeordneten.

Die frühere Überheblichkeit ist weg

Die Neuen erkennen zwar, dass sich ihre Vorgänger in der politischen Botschaft und ihrem Lebensstil zu weit von ihren Wählern entfernt haben. Doch sie selbst sind genauso. Die meisten von ihnen sind akademisch gebildet, ein Viertel gibt an, „Berufspolitiker“ zu sein. Ihr Rezept gegen Bürgerferne heißt: den Diskurs mit den besorgten Bürgern auf das Niveau der „Heimat herunterzubrechen“, wie eine neue Abgeordneten erzählt. Die frühere Überheblichkeit ist weg – doch ersetzt wird sie durch einen Dünkel der empfindsamen Sorte.

Dazu kommt: Wer neu in den Bundestag kommt, braucht Organisationswissen, und das haben vor allem Mitarbeiter ehemaliger Abgeordneter. Der gute Vorsatz geht also auch deshalb flöten, weil dieselben Personen, die die alte Kultur geprägt haben, nun auch die Beiträge zum neuen politischen Alltag leisten. Die Logik des Berliner Betriebs breitet sich von den Vorzimmern über die Referentenbüros direkt ins Büro des neuen Abgeordneten aus. Das neue Parlament wird nicht besser mit dem Volk umspringen als das vorherige. Es wird nur ein schlechteres Gewissen haben. Immerhin.

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