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Chris Patten, letzter britischer Gouverneur Hongkongs, 1997 bei der Rückgabe der Kronkolonie Hongkong an China.

© Imago/UPI Photo/Uncredited

Der letzte britische Gouverneur Hongkongs fordert zum Handeln auf: „Die Welt kann diesem chinesischen Regime schlicht nicht vertrauen“

Chris Patten ist höchst alarmiert über Chinas Politik: Peking hasst die Demokratie. Und die Freiheit Hongkongs betrifft auch uns. Ein Gastbeitrag.

Chris Patten war letzter britischer Gouverneur von Hongkong und EU-Kommissar für auswärtige Angelegenheiten. Er ist Kanzler der Universität Oxford. Aus dem Englischen von Jan Doolan.

In meiner letzten Rede als Gouverneur von Hongkong am 30. Juni 1997 – wenige Stunden, bevor ich die Stadt auf der königlich-britischen Yacht verließ – äußerte ich: „Jetzt sollen die Menschen Hongkongs Hongkong verwalten. Das ist das Versprechen. Und das ist das unerschütterliche Schicksal.“

So versprach es die Gemeinsame Erklärung von 1984, ein von China und dem Vereinigten Königreich unterzeichneter und bei den Vereinten Nationen hinterlegter Vertrag.

Die Übereinkunft war klar, und die Garantie gegenüber Hongkongs Bürgern absolut: Die Rückkehr der Stadt von britischer zu chinesischer Souveränität würde dem Prinzip „Ein Land, zwei Systeme“ unterliegen.

Hongkong würde 50 Jahre lang – bis 2047 – ein hohes Maß an Autonomie haben und weiterhin alle mit einer offenen Gesellschaft und dem Rechtsstaat verbundenen Freiheiten genießen.

Chinas Präsident setzt sich rücksichtslos über Abkommen hinweg

Mit seiner jüngsten Entscheidung jedoch, ein drakonisches neues Sicherheitsgesetz über Hongkong zu verhängen, hat sich der chinesische Präsident Xi Jinping rücksichtslos über die Gemeinsame Erklärung hinweggesetzt und die Freiheit der Stadt direkt bedroht. Die Verteidiger der freiheitlichen Demokratie dürfen dem nicht tatenlos zusehen.

Nach Übergabe der Stadt 1997 hielt China sein Versprechen in Bezug auf „Ein Land, zwei Systeme“ mehr als ein Jahrzehnt lang weitgehend ein. Zwar war nicht alles perfekt.

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China brach seine Zusage, dass Hongkong im Legislativrat seine eigene demokratische Regierung bestimmen könne, und in Abständen mischte sich die chinesische Regierung in das städtische Leben ein.

So gab sie etwa 2003 angesichts von Massenprotesten einen Versuch auf, ein Gesetz zum Umgang mit Aufruhr einzuführen – eine merkwürdige Priorität in einem friedfertigen und gemäßigten Gemeinwesen. Insgesamt jedoch gestanden selbst Skeptiker ein, dass sich die Dinge recht gut entwickelten.

Jahrzehntelang funktionierten die Zusagen - bis Xi kam

Doch nachdem Xi 2013 Präsident wurde und das Taktikhandbuch eines aggressiven und brutalen Leninismus entstaubte, verschlechterten sich die Beziehungen zwischen China und Hongkong.

Xi machte viele politische Neuerungen seiner unmittelbaren Amtsvorgänger rückgängig, und die Kommunistische Partei Chinas (KPCh) beanspruchte neuerlich die Kontrolle über alle Aspekte der chinesischen Gesellschaft, einschließlich der Wirtschaftsführung.

Chinas Staatspräsident Xi Jinping hasst alles, wofür Hongkong steht.
Chinas Staatspräsident Xi Jinping hasst alles, wofür Hongkong steht.

© imago images/Xinhua

Xi verschärfte den Griff der Partei auf Zivilgesellschaft und Universitäten und ging hart gegen jegliche Anzeichen von Dissidententum vor. Er demonstrierte, dass man den Worten seines Regimes international nicht vertrauen konnte, indem er etwa sein Versprechen an US-Präsident Barack Obama brach, wonach China die Atolle und Inseln, die das Land im Südchinesischen Meer unrechtmäßig in Besitz nahm, nicht militarisieren würde.

Darüber hinaus internierte Xis Regime in Xinjiang mehr als eine Million überwiegend muslimischer Uiguren und tilgte wo immer möglich alle Spuren ihrer Kultur. Und Xi zog gegenüber Hongkong die Daumenschrauben an.

Die Demonstrationen im vergangenen Jahr wurden von der Polizei schlecht gemanagt

Die Proteste in der Stadt im vergangenen Jahr wurden durch den Versuch der Hongkonger Regierung ausgelöst, ein Auslieferungsgesetz zu verabschieden, das die Abgrenzung zwischen der Rechtsstaatlichkeit innerhalb des Territoriums und dem kommunistischem Recht auf dem chinesischen Festland faktisch abgeschafft hätte.

Die Demonstrationen wurden von der Hongkonger Polizei schlecht gehandhabt, und ihr Vorgehen – darunter der ungehemmte Einsatz von Tränengas und Pfefferspray – führte dazu, dass eine kleine Minderheit der Protestierenden auf inakzeptable Gewalt verfiel.

Eine unabhängige Untersuchung der Gründe für die Demonstrationen, ihres Missmanagements durch die Polizei und des Verhaltens der Demonstranten (von denen die überwältigende Mehrheit friedlich agierte) hätte helfen können, die Lage in der Stadt zu beruhigen und eine Versöhnung zu fördern.

Doch der Vorschlag wurde abgelehnt. Bei den Kommunalwahlen im November zeigten Hongkongs Bürger, auf wessen Seite sie stehen, indem sie mit überwältigender Mehrheit für Kandidaten stimmten, die für die Demokratie eintraten.

Pekings Angst vor den Wahlen zum Legislativrat im September

In den letzten Monaten hatten die Proteste infolge der Corona-Pandemie, welche die Stadt erfolgreich bekämpft hat, aufgehört. Doch gingen die chinesischen Behörden offenkundig davon aus, dass sie beispielsweise anlässlich des Jahrestags des Massakers auf dem Platz des Himmlischen Friedens 1989 am 4.Juni wieder aufleben würden.

Trotz Corona-Verbot demonstrieren Menschen derzeit in Hongkong gegen das Sicherheitsgesetz.
Trotz Corona-Verbot demonstrieren Menschen derzeit in Hongkong gegen das Sicherheitsgesetz.

© dpa

Und sie machen sich zweifellos Sorgen, dass die demokratischen Parteien Hongkongs alles tun würden, um bei den Wahlen zum Legislativrat im September eine Mehrheit zu erreichen.

Diese Aussichten versetzten Chinas Regierung und die Hardliner in den Behörden, denen sie in jüngster Zeit die Zuständigkeit über das Territorium übertragen hat, offensichtlich in Furcht und Schrecken.

Letztere hatten bereits ihre Entschlossenheit erklärt, Hongkongs Autonomie zu beschränken. Und sie haben sich nach Belieben in Angelegenheiten eingemischt, die eigentlich der Regierung und den Abgeordneten der Stadt hätten vorbehalten sein sollten.

Chinas Marionettenparlament übergeht Honkongs gesetzgebende Versammlung

Nun hat Xis Regierung ihren bisher härtesten Schlag gelandet. Unter Ausnutzung des aktuellen Fokus der Welt auf die Bekämpfung von COVID-19 (dessen rapide weltweite Verbreitung auch eine Folge der Geheimniskrämerei und Verlogenheit der KP Chinas ist), hat Chinas Marionettenparlament Hongkongs gesetzgebende Versammlung übergangen und ein nationales Sicherheitsgesetz über die Stadt verhängt.

Das Gesetz deckt nicht näher ausgeführte Verbrechen wie Aufruhr und Abspaltung ab und würde dem Ministerium für Staatssicherheit (Chinas Version des KGB) erlauben, in Hongkong zu operieren – vermutlich unter Einsatz seiner üblichen Zwangsmethoden.

Die Stadt steht für alles, was Xis Regime hasst

Doch welche angebliche nationale Sicherheitsbedrohung geht für Chinas kommunistisches Regime von Hongkong aus? Chinas Führung fürchtet sich vor eben jenen Dingen, die sie Hongkong in der Gemeinsamen Erklärung zugesagt hat: der Rechtsstaatlichkeit und den von dieser geschützten Freiheiten.

Die Stadt steht für alles, was Xis Regime an der freiheitlichen Demokratie hasst. Darum sind die jüngsten Ereignisse nicht nur eine enorme Herausforderung für Hongkong und seine Bevölkerung, sondern auch eine unmittelbare Bedrohung für offene Gesellschaften weltweit.

Wir sind Honkong

Die Welt kann diesem chinesischen Regime schlicht nicht vertrauen. Die freiheitlichen Demokratien und die Freunde Hongkongs überall auf der Welt müssen zeigen, dass sie für diese großartige, freie und dynamische Stadt einstehen werden.

Nach Chinas Ankündigung des neuen Gesetzes haben über 512 Parlamentarier und führende politische Entscheidungsträger aus 32 Ländern eine Erklärung unterzeichnet, in der sie Hongkong unterstützen. Die Freiheit und der Wohlstand der Stadt stehen auf dem Spiel, und ebenso die Werte und Interessen offener Gesellschaften weltweit.

Als Mitunterzeichner der Gemeinsamen Erklärung trägt das Vereinigte Königreich eine besondere Verantwortung, Führungsstärke zu zeigen. Zunächst einmal sollte Premierminister Boris Johnson verlangen, dass Hongkong beim Treffen der G7 im nächsten Monat auf die Tagesordnung gesetzt wird.

Er könnte sich dabei von einem Ratschlag in den Lehrgesprächen des Konfuzius inspirieren lassen: „Ein Ehrenmann würde sich schämen, sollten seine Taten seinen Worten nicht gerecht werden.“

Copyright: Project Syndicate, 2020.www.project-syndicate.org

Chris Patten

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