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War auf schnelle Maskenlieferung angewiesen: Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU).

© dpa/Kay Nietfeld

Der Krisenmanager der ersten Welle: Diese drei Fehleinschätzungen kratzen an Spahns Image

Falsches Versprechen zu Ladenöffnungen, fehlende FFP2-Masken für Heime, Unmut wegen Impfverzögerungen: Für Gesundheitsminister Spahn läuft es nicht rund.

Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble hat in der ersten Corona-Welle vorausahnend betont, die Monate danach würden viel schwieriger als am Anfang der Krise, als noch alle dafür waren, kräftig durchzugreifen. Fast zeitgleich sagte Gesundheitsminister Jens Spahn damals den prophetischen Satz: „Wir werden in ein paar Monaten wahrscheinlich viel einander verzeihen müssen.“ So eine Pandemie sei ein ständiger Lernprozess.

Beide CDU-Politiker haben recht behalten: Schäuble, der Spahn als den CDU-Hoffnungsträger schätzt, weil nach den Lockerungen und dem Gefühl im Sommer, es überstanden zu haben, die Coronamüdigkeit die Wucht der zweiten Welle begünstigt hat und Politiker von ähnlich rigiden Maßnahmen wie im März zurückschrecken ließ - bis nun nach einem zermürbenden Hin und Her ab Mittwoch doch wieder alles heruntergefahren wird.

Und Spahn, weil einiges falsch gelaufen ist, vor allem im Sommer. Als die Regeln für Reiserückkehrer inkonsistent waren und oft geändert wurden. Und als man sich viel zu wenig auf die zweite Welle vorbereitet hatte, gerade was den Schutz der vulnerablen Gruppen durch Masken und Schnelltests anbelangt.

Inzwischen beschreibt Jens Spahn die Gemütslage vieler Bürger so: Sie würden sich zurecht fragen: Wann ist denn mal gut? Spahns Antwort vergangene Woche im Bundestag: „Es ist noch nicht gut.“ Er geht als der Gesundheitsminister mit dem größten Etat in die Geschichte der Bundesrepublik ein, die Pandemie hat ihn 2020 auf 41,25 Milliarden Euro statt der geplanten 15,35 Milliarden ansteigen lassen.

Doch obwohl Spahn als Krisenmanager mit starker Kommunikation in Krisenphase I glänzte, bekommt sein Image in Krisenphase II nun einige Kratzer. Allerdings werden einige Ministerpräsidenten wie Sachsens Michael Kretschmer (CDU) noch stärker von früheren Einschätzungen eingeholt. Drei Beispiele für Fehleinschätzungen und Versäumnisse Jens Spahns.

1. Falsches Ladenöffnungsversprechen

Am 1. September sagte Spahn auf einen Marktplatz in Bottrop: „Man würde mit dem Wissen heute, das kann ich Ihnen sagen, keine Friseure mehr schließen und keinen Einzelhandel mehr schließen. Das wird nicht noch mal passieren.“

Doch nun will auch Spahn den harten Lockdown mit dem Schließen auch von Läden und Friseuren von Mittwoch an, bis mindestens zum 10. Januar 2021. Nur noch Geschäfte des täglichen Bedarfs sollen offen. Wie verträgt sich das mit Spahns Versprechen, die Läden würden nicht mehr geschlossen?

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Spahn sagt: „Die großen Menschenansammlungen in den Innenstädten, auf dem Weg zum Einkaufen, in den Bussen, in den Bahnen“ seien das Problem. Dazu die Glühweinstände. Und gerade in Einkaufszentren seien die Ansammlungen Infektionsquellen, nicht die 20-Quadratmeter-Regelungen in den Läden an sich.

Mit dieser Begrenzungs-Regelung für die Vorweihnachtszeit, also maximal 40 Leute gleichzeitig in einem Geschäft mit 800 Quadratmeter Verkaufsfläche, hatten Bund und Länder versucht, das Geschehen drinnen zu entzerren. „Das ist eine gute Regelung, um Infektionen zu vermeidet“, glaubt Spahn. Nun aber argumentiert er wie Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und andere mit dem „Draußen-Problem“, um drinnen den Betrieb doch wieder ganz runterzufahren.

Waren lange Zeit Mangelwaren in Alten- und Pflegeheimen: FFP2-Masken.
Waren lange Zeit Mangelwaren in Alten- und Pflegeheimen: FFP2-Masken.

© imago images/Jochen Eckel

2. Die fehlenden FFP2-Masken und Schnelltests

In der Vorlage für die Bereinigungssitzung des Haushaltsausschusses, in der der Bundesetat 2021 mit weiteren 180 Milliarden Euro an Schulden festgezurrt wurde, gibt es ganz am Ende einen interessanten Anhang aus Spahns Ministerium.

Darin steht: Als Ausrüstung für die Beschäftigten im Pflegesektor sollen sämtliche 33168 stationären und ambulante Pflegeeinrichtungen in Deutschland aus dem vom Gesundheitsministerium beschafften Bestand Masken erhalten. „Abhängig von der Beschäftigtenzahl werden den Pflegeeinrichtungen ein oder mehrere Standardpakete (jeweils 1000 FFP2/KN95- und 2000 OP-Masken) zugestellt.“ Und: „Die Auslieferung begann am 10.November 2020 und wird sich bis Ende Januar 2021 ziehen.“

Das lässt aufhorchen: Warum wurden nicht viel früher Pflegeheime ausgestattet? Am 10. November galt schon zehn Tage ein Lockdown Light im Land. Zusammen mit anderen Beschaffungsverfahren hatte sich das Ministerium rund 1,7 Milliarden FFP-2-, KN95- und FFP-3-Masken gesichert – zu teils völlig überteuerten Preisen und mit windigen Partnern.

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Vor dem Landgericht Bonn laufen 60 Verfahren hierzu. Als zum Beispiel Ärzte-Präsident Klaus Reinhardt Ende Oktober ins Kreuzfeuer der Kritik geriet, weil er die Evidenz der Wirksamkeit von Alltagsmasken infrage stellte, ging völlig unter, dass er im gleichen Atemzug und energisch forderte, jetzt endlich die Altenheime mit den wirksamen FFP2-Schutzmasken auszustatten. Ebenso kam die bundesweite Versorgung mit Schnelltests nur schleppend in Gang - vieles ist Ländersache, auch dass macht es Spahn mitunter schwer. Gerade mit Schnelltests lassen sich Heime viel besser schützen, da Infektionen vor weiteren Ansteckungen erkannt werden.

An politischen Willensbekundungen fehlte es in jener Zeit zwar nicht, sehr wohl aber an Entschlossenheit. Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer (Grüne) berichtet, dass es in seiner Stadt in Heimen praktisch keine Corona-Fälle mehr gebe. Schon im September habe man damit begonnen, das Personal regelmäßig zu testen, seit Oktober gibt es Schnelltests für Bewohner und Besucher – und alle Rentner hätten kostenlose FFP2-Masken bekommen.

Nun - nach sechs Wochen Lockdown Light und seit langem enorm hohen Infektionszahlen - sollen endlich auch bundesweit ab 15.Dezember in Apotheken alle Bürger ab 60 oder mit Vorerkrankungen jeweils 15 FFP2-Masken erhalten: Drei umsonst noch im Dezember, weitere zwölf ab Januar über von den Krankenkassen erhältliche Coupons mit einem Eigenteil von insgesamt vier Euro.

Margaret Keenan, 90, nachdem sie als erste in Großbritannien den Corona-Impfstoff von Biontech/Pfizer geimpft bekommen hat.
Margaret Keenan, 90, nachdem sie als erste in Großbritannien den Corona-Impfstoff von Biontech/Pfizer geimpft bekommen hat.

© REUTERS

3. Falsche Erwartungen für den Impfstart

Den Zeitpunkt für den Beginn der Impfungen kann Spahn kaum bestimmen. Es macht sich in seinem Ministerium aber zunehmend Unmut über die europäische Arzneimittelbehörde EMA breit, von der erst am 29. oder 30. Dezember ein Votum über die Zulassung des Biontech/Pfizer-Impfstoffs erwartet wird. Für den Impfstoff von Moderna rechnet man erst für den 12. Januar mit einem Votum.

Noch vor wenigen Wochen ging Spahn von ersten Impfungen im Dezember aus. Zunächst sollen die Risikogruppen, Pflegekräfte und dann weitere besonders gefährdete Gruppen sowie zum Beispiel Lehrer und Polizisten geimpft werden. Den Start der Massenimpfungen für die restlichen 45 Millionen Bürger versprach er „spätestens im Sommer“. Inzwischen sagt Spahn, er rechne mit dem Start der Massenimpfungen im dritten Quartal. Das liegt zwar auch im Sommer, reicht aber von Juli bis September.

Nach dem Impfstart in Großbritannien und dem Beginn diese Woche in den USA droht erst einmal ein Großteil der Produktion dorthin zu gehen. Im Rahmen der europäischen Solidarität wollen die 27 EU-Staaten jedoch nicht mit nationalen Notfallzulassungen vorpreschen.

Die Verzögerungen führen dazu, dass Spahn voreilig geweckte Erwartungen wieder dämpfen muss - ebenso birgt das ethisch schwierige Thema, wer wann geimpft werden soll, Konfliktpotenzial. Spahn rechnet mit maximal drei bis vier Millionen Impfdosen von Biontech/Pfizer für Deutschland im Januar. Da zwei Dosen je Person geimpft werden müssen, würde das für höchstens zwei Millionen Bürger reichen - aber schon die erste Impfgruppe mit den ältesten Mitbürgern, Risikopatienten und Pflegepersonal umfasst 8,6 Millionen Menschen.

Spahn macht daher Druck auf die EMA, schneller eine Notfallzulassung zu erteilen: "Es geht dabei auch um das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die Handlungsfähigkeit der Europäischen Union. Bund und Länder sind ab dem 15.12. in der Fläche einsatzbereit: Erste Impfdosen stehen quasi bereit und könnten direkt nach der Zulassung verimpft werden", schreibt Spahn bei Twitter. "Jeder Tag, den wir früher beginnen können zu impfen, mindert Leid und schützt die besonders Verwundbaren."

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