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Nach dem Krieg begann Pawlo Mamontows zweiter Kampf – gegen die Angst.

© Florian Bachmeier

Der Krieg im Kopf: Wie Veteranen in der Ukraine mit sich selbst kämpfen

Soldaten, die aus dem Krieg kommen, finden selten Frieden. Um Veteranen wie Pawlo Mamontow machen viele Leute einen Bogen. Die wissen oft nur einen Ausweg.

Pawlo Mamontow ging als Held und kam als Problemfall zurück. Der Krieg lässt ihn nicht mehr los. Die Flashbacks von den Gefechten, die Angstzustände und Schuldgefühle: Kameraden im Stich gelassen zu haben. Pawlo Mamontow war 21 Jahre alt, als er loszog, seine Heimat zu verteidigen, freiwillig, als nach der Maidan-Revolution in Kiew 2014 russische Geheimdienstler und prorussische Separatisten Administrationsgebäude in der Ostukraine besetzten. Er ging „mit dem vollen Bewusstsein, dass es gut sein kann, dass ich nicht mehr zurückkomme“. Mamontow kam zurück. Heute ist er 26 und einer von zahlreichen Kriegsveteranen im Land.

Auf den ersten Blick wirkt der schlanke junge Mann mit seinem braunen Kurzhaarschnitt und seinem breiten Grinsen nicht wie jemand, der traumatisiert ist. Er hat sich im Großraumbüro von „Veteran Hub“, zwei Metrostationen vom Stadtzentrum Kiews entfernt, auf einen gelben Sitzsack gefläzt, wirft seinen Kameraden quer durch den Raum Scherze zu. Doch da sind auch die anderen Momente, die, in denen sein Blick gedankenverloren über die breite Fensterfront und die Skyline der ukrainischen Hauptstadt gleitet.

Fünf Jahre sind vergangen, seit der Krieg in der Ostukraine begann. Im April 2014 wurden in der Provinzstadt Slowjansk wichtige Verwaltungsgebäude von prorussischen Bewaffneten besetzt, kam es zu ersten Kämpfen. Am 15. April 2014 setzte die ukrainische Armee offiziell die „Anti-Terror-Operation“ (ATO) ein, am darauf folgenden 11. Mai führten die Separatisten in Donezk und Luhansk ihre umstrittenen Unabhängigkeitsreferenden durch.

Die schlimmsten Gefechte toben 2014 und 2015, als der Frontverlauf im Donbass immer wieder wechselt. Doch bis heute gibt es tägliche Schusswechsel entlang der 500 Kilometer langen Linie zwischen der ukrainischen Armee und den prorussischen Separatisten, die sowohl militärisch, finanziell als auch personell maßgeblich aus Moskau unterstützt werden. Laut UN-Angaben hat der Krieg bisher 13.000 Todesopfer gefordert. Knapp 355.000 Personen haben die ukrainischen Behörden zuletzt offiziell als „Teilnehmer der Kampfhandlungen“ eingestuft. Genaue Zahlen, wie viele Veteranen des aktuellen Krieges in der Ukraine leben, gibt es nicht.

Zu Beginn des Krieges noch als patriotische Freiheitskämpfer verehrt, gelten sie inzwischen nicht nur als physisch, sondern auch psychisch Versehrte, um die viele Arbeitgeber, Zivilisten, ja selbst Bekannte lieber einen Bogen machen. Viele können Krieg und Frieden nicht mehr so genau voneinander trennen.

Sein zweiter Kampf: der mit der Angst

Es war eine Wurfmine, die Pawlo Mamontow traf. Das war im Februar 2015, als seine Einheit im ostukrainischen Dorf Schyrokyne in erbitterte Gefechte geriet. Wenn er den Ärmel seiner khakifarbenen Jacke zurückstreift, sieht man immer noch die tiefen Narben, die seinen rechten Unterarm durchziehen. Neun Mal musste er operiert werden, für die letzte Operation, eine Hauttransplantation, wurde er ins französische Montpellier ausgeflogen. „Damals dachte ich mir nur: Gut, dass ich überhaupt noch am Leben bin!“

Die inneren Narben sieht man nicht. Wie Mamontow sind an diesem kühlen Dienstagabend im März viele zumeist junge Männer zu dem Treffen bei „Veteran Hub“ gekommen. Ein luftiges, modernes Loft im 21. Stock eines Hochhauses, das mit seinen bunten Sitzkissen und den modernen Möbeln eher wie ein schickes Start-up-Büro aussieht als ein Rehabilitationszentrum für Veteranen.

Pawlo Mamontows Hand konnte gerettet werden. Nach der Kriegsverletzung aber begann sein zweiter Kampf: der mit der Angst.

Ein Ende der Kämpfe in der Ostukraine ist nicht in Sicht.
Ein Ende der Kämpfe in der Ostukraine ist nicht in Sicht.

© Markiian Lyseiko/dpa

Iwona Kostyna mag es überhaupt nicht, wenn von den Kriegsrückkehrern als „Problem“ gesprochen wird. Die 22-jährige Aktivistin mit dem dunkelblonden Bob-Haarschnitt hat das Zentrum mitgegründet und führt durch die Räume. Es gibt ein Call-Center, Rechtshilfe, Vorträge und Gruppentherapien. „Veteran Hub“ ist eine private Initiative aus acht Nichtregierungsorganisationen, die helfen soll, den Veteranen den Weg zurück in ein ziviles Leben zu erleichtern. Ein schwieriger Weg, den auch Iwona Kostyna selbst kennt.

Gerade einmal 17 Jahre alt ist sie, als auf dem Kiewer Unabhängigkeitsplatz, dem „Maidan“, die Proteste gegen den Präsidenten Viktor Janukowitsch beginnen, nachdem dieser das EU-Assoziierungsabkommen abgelehnt hat. Als die Proteste eskalieren, stirbt ein enger Freund von ihr im Kugelhagel. „Das hat mich selbst traumatisiert“, erzählt sie.

Als wenig später der Krieg ausbricht, bringt sie mit anderen Freiwilligen Hilfslieferungen an die Front. „Damals habe ich schon überlegt, wie ich meine eigenen Erfahrungen einbringen kann, um unseren Soldaten zu helfen“, sagt sie. Gemeinsam mit anderen erarbeitet sie ein Konzept. Im Winter 2018 wird der „Veteran Hub“ eröffnet. Einen „sicheren Hafen für junge Veteranen, in dem sie unter sich sind und sich wohlfühlen“, das hat sich Iwona Kostyna gewünscht.

Weg zurück in die Normalität

Seit Kriegsausbruch sind es vor allem zivilgesellschaftliche Initiativen wie jene von Kostyna, die die Veteranen bei ihrem Weg zurück in die Normalität unterstützen. Die ukrainische Bürokratie mahlt langsam – doch jetzt soll sich etwas bewegen. Erst im November ist das neue „Ministerium für Veteranen“ gegründet worden. Wo früher 22 Behörden für Veteranen zuständig waren – von der Arbeitssuche über psychologische Betreuung bis hin zur finanziellen Unterstützung –, soll jetzt ein Ministerium all diese Aufgaben in sich vereinen.

Iryna Fris steht dem Ministerium vor. Die 44-jährige ehemalige Chefin der Presseabteilung des Ex-Präsidenten Petro Poroschenko sitzt im wuchtigen Gebäude des Ministerkabinetts der Ukraine. Bisher besteht das Ministerium aus nicht viel mehr als ihrem holzvertäfelten Kabinett mit Fotografien von ukrainischen Frontstädten, Checkpoints und Soldaten an den Wänden. Aber Fris verspricht, dass künftig eine Handy-App sämtliche staatlichen Dienste für Kriegsrückkehrer bündeln soll.

Der Krieg habe das Land völlig unvorbereitet getroffen, sagt Fris. „Wer dachte schon vor ein paar Jahren daran, dass wir einen Krieg gegen Russland führen müssen?“ Auch andere Staaten, wie die USA, hätten Zeit gebraucht, sich auf die neue Situation einzustellen. Als Erstes will Fris ein einheitliches Register schaffen, um alle Veteranen zu erfassen. „Diese Menschen waren bereit, ihr Leben zu geben, um dieses Land zu verteidigen. Jetzt muss der Staat sie verteidigen.“

Im Juli finden in der Ukraine vorgezogene Parlamentswahlen statt, und manche unken, dass die Gründung des „Ministeriums für Veteranen“ nur wieder einer der vielen Wahlkampftricks des früheren Präsidenten Poroschenko war. Die Präsidentschaftswahlen hat er gegen den TV-Komiker Wolodymyr Selenski verloren, aber im Juli will er mit seinem „Block Petro Poroschenko“, der auch jetzt im ukrainischen Parlament die meisten Sitze hat, antreten.

Unter Petro Poroschenko, der gerne als Oberbefehlshaber an der Front in Camouflage für Presseberichte posierte, war zu Beginn des Krieges eigentlich jedem Kriegsrückkehrer das Recht auf ein Grundstück versprochen worden. Doch wohl niemand ahnte, dass der Krieg so lange dauern würde. Auf die Einlösung dieses Versprechens warten die meisten Veteranen bis heute vergeblich.

Hilflos ohne Hilfe anderer

Statt im Eigenheim findet sich mancher im staatlichen Rehabilitationszentrum in der Kleinstadt Borodjanka wieder, eine Autostunde westlich von Kiew. Doch der wuchtige Sowjetbau mit engen langen Gängen und Kinderzeichnungen an den Wänden wurde nicht etwa eigens für Veteranen eingerichtet, auch Alkoholiker und Drogensüchtige werden hier betreut.

In den neunziger Jahren gegründet, um Tschernobyl-Flüchtlinge zu unterstützen, schulte man, als der Krieg ausbrach, die Mitarbeiter binnen acht Monaten für die Betreuung von Kriegsrückkehrern um. Es gibt Einzel- und Gruppentherapien für Veteranen und ihre Familien. Kunsttherapien, in denen beispielsweise ein Gegenstand aus Metall gebastelt wird, geschweißt, gelötet, Kinderzeichnungen angefertigt werden, auf denen Vater, Mutter, Kind sich an den Händen halten, Angeln oder Fußballspielen – alltägliche Szenen, die doch oft unmöglich geworden sind. Es gibt eine Kraftkammer für die körperliche Rehabilitation mit Hometrainer und einer Hantelbank, Turnstunden für Kinder von Kriegsversehrten und juristische Beratungen.

„Die meisten Soldaten sind sehr verschlossen“, sagt Tetjana Soschko, die das Haus leitet, in das Betroffene auf eigenen Wunsch kommen können. „Sie glauben, dass sie schon selbst mit ihren Problemen fertig werden.“ Aktuell werden in Borodjanka 328 Veteranen behandelt.

Im „Veteran Hub“ in Kiew waren es allein in den ersten zwei Monaten seit der Gründung rund 2000. Pawlo Mamontow weiß: Er hätte das ohne die Hilfe anderer vielleicht nicht geschafft. Als er nach seiner schweren Verletzung wieder zu Bewusstsein kommt, macht er seiner Freundin einen Heiratsantrag. „Die Hochzeit war meine Rehabilitation“, sagt er heute strahlend. Und erzählt von seinem Abschluss, den er an der Katholischen Universität in Lemberg nachgeholt hat. Oder von den „Invictus Games“, den Spielen der Unbesiegbaren, einer von Prinz Harry gegründeten Sportveranstaltung für Kriegsversehrte, an der er teilgenommen hat. Das Selfie beim Handshake mit dem britischen Prinzen ist heute Mamontows Facebook-Profilbild.

Schlussendlich brachte ihn aber auch die Gruppentherapie zurück ins Leben. „Es hat mir geholfen, über meine Erfahrungen zu sprechen. Alle in diesem Kreis waren so wie du, sie haben dasselbe erlebt.“ Mamontow arbeitet inzwischen als IT-Techniker im „Veteran Hub“ – und versucht jetzt seinerseits, anderen zu helfen. Er sagt, es sei auch wichtig, einen Ort zu haben, an dem es „ein Verständnis dafür gibt, dass man auf normale Situationen auch einmal nicht normal reagieren kann“.

Schätzungen zufolge leidet jeder dritte Kriegsrückkehrer an posttraumatischen Belastungsstörungen und anderen psychischen Problemen. Tetjana Soschko, die Leiterin des Rehabilitierungszentrums in Borodjanka, sagt: „Viele können sich nicht mehr in das zivile Leben einordnen. Sie gehen lieber zurück in den Krieg.“

Simone Brunner

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