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Wenn das Wasser zurückgeht. Auch Bayern leidet unter der Hitze, die Donau führt immer weniger Wasser.

© Armin Weigel/dpa

Der Klimawandel und die Folgen: Wir brauchen einen neuen Vertrag von Mensch und Natur

Wir verbrauchen zu viel Ressourcen, lassen die Tropen kollabieren und bekommen die Quittung zu spüren, schreibt der Chef des Berliner Naturkundemuseums in seinem Gastkommentar.

Der Schweiß perlt mir jetzt auf der Stirn – vor Hitze. Es war wieder eine heiße Woche und es scheint kein Ende in Sicht. Mindestens mit gleicher Intensität wird über die Ursachen gestritten, unterschiedliche Meinungen prallen aufeinander, es gibt Schuldzuweisungen. Und jetzt kommt eine wichtige Woche, in der zusammenkommt, was zusammengehört.

Fünf Dinge stechen für mich heraus, und alle fünf haben viel miteinander zu tun: Earth Overshoot Day, Gipfel der Landwirtschaftsminister in Argentinien, ein Artikel in der weltweit führenden Wissenschaftszeitschrift „Nature“ zum Kollaps der Tropen, die anhaltende Hitzewelle, die Menschen und der heimischen Landwirtschaft zu schaffen macht und die Beantwortung der Frage, ob wir auf dem Mars leben könnten.

Wir bräuchten mehrere Erden, um so weiterzumachen

Earth Overshoot Day: Am 1. August haben wir als Menschheit die Ressourcen, die uns die Erde für 2018 zur Verfügung stellt, verbraucht. Deshalb heißt dieser Tag Earth Overshoot Day: Wir verbrauchen mehr, als wir haben, als wir auf dem globalen Konto haben. Wohin das führt, weiß man, nur gibt es in der Natur keine Notenpresse. Um unseren Konsum weltweit als Menschheit zu befriedigen, verbrauchen wir heute 1.7 Erden. Noch 1969 (als ich sechs Jahre alt war) waren wir im Lot. Deutschland steht auf Platz 5 und ist damit einer der globalen Spitzenreiter. Wenn alle Menschen so wie wir leben wollen, würden wir DREI Erden benötigen. Da muss ich nicht mal bei unseren Planetenforschern im Museum für Naturkunde nachfragen oder nachts verzweifelt den Himmel absuchen – so viele Erden gibt es in unserem Sonnensystem nicht. Nur die USA, Australien, Südkorea und Russland liegen vor uns in ihrem Verbrauch von Ressourcen. Unser Konsum wirkt sich auf das Klima aus.

Landwirtschaftsminister in Argentinien: „Man kann sich auf freien Zugang zu Märkten nicht einigen, denn bestimmte Standards müssen eingehalten werden“, hört man in der Tagesschau. Agrarindustrien sind wichtig im Handel zwischen Nationen oder Wirtschaftsregionen. Da kann es zu Tendenzen wie der Abschottung von Märkten kommen, um vielleicht heimische Produzenten zu schützen. Nichtsdestotrotz werden gerade in Südamerika weiter ursprüngliche Landschaften wie Cerrado oder Regenwälder für neue Anbauflächen zerstört. Davon „profitiert“ auch Deutschland mit seinem Hunger nach den Ressourcen dreier Erden. Die derzeitige globale Landwirtschaft wirkt sich auf das Klima aus.

Kollaps der Tropen: Die Tropen sind der Ort, der der Welt ihre Vielfalt, ihre Biodiversität gibt. Die Vielfalt der Natur ist dort, und diese Natur bestimmt auch maßgeblich das globale Klima mit. Um zu leben, müssen wir diese Vielfalt schützen und nachhaltig nutzen. Die Natur der Tropen ist unsere Lebensversicherung. Die Studie in „Nature“ warnt eindrücklich vor dem prekären Zustand der Tropen unter den derzeitigen Trends, sie warnt vor einem Zusammenbruch dieser global essentiellen Lebensräume. Vielleicht erscheinen die Tropen weit weg, aber auch für Deutschland sind sie essentiell! Naturzerstörung wirkt sich auf das Klima aus.

Hitze auf der Nordhalbkugel: Wo stehen wir also? Wir haben in der Welt genug zu essen. Es wird genug produziert, und theoretisch kann jeder Mensch satt werden. Trotzdem wird weiterhin in den Tropen Natur zerstört. In Deutschland sind die Insekten schon fast weg, auch hier sind Landwirtschaftspraktiken mitverantwortlich. Diese nicht nachhaltige Landnutzung, die wir als Konsumenten derzeit wollen, schlägt auf Natur und Klima zurück. Jetzt spüren wir die Folgen unseres Handelns auch in der Nordhemisphäre.

Mars: Ganz einfach, um den Mars für Menschen und Natur lebensfähig zu machen, gibt es auf dem Planeten nicht genügend CO2, das ist das Ergebnis einer Studie aus „Nature Astronomy“. Also, ob arm oder reich: Wir alle müssen hierbleiben und das ist auch gut so.

Wo sind die Treiber des globalen, nicht-nachhaltigen „Weiter so“? Ich empfehle: einfach in den Spiegel schauen. Wo sind die möglichen Treiber der notwendigen Veränderung? Auch hier: einfach in den Spiegel schauen.

Menschen wollen gut leben. Das ist nicht verwerflich. Aber vielleicht ist ein gutes Leben, wie wir es jetzt glauben gestalten zu müssen, nicht mehr machbar, da wir hierfür mehr als eine Erde brauchen. Es gibt hinreichend smarte Ansätze, Modelle und Lösungen nachhaltig zu leben und zu wirtschaften. Aber: So viel Mehrwert /Wachstum fiele vielleicht nicht ab, und eingespielte Systeme müssten sich tiefgreifenden Veränderungen oder Disruptionen stellen. Dieses erscheint dringlich notwendig – aber in einem fairen globalen Ansatz bitte.

Natur, gutes Leben und Demokratie gibt es nur zusammen

Wissenschaft leistet bei Veränderung und Zukunftsgestaltung einen wichtigen Beitrag, nicht nur durch ein Warnen wie zum Beispiel vor dem drohenden Kollaps der Tropen, sondern auch durch das Erforschen von nachhaltigen Alternativen von Bestehendem und der Entdeckung von Neuem. Aber dieser Fortschritt ist vielleicht nicht radikal genug. Institutionalisierte Wissenschaft allein war niemals und wird niemals der alleinige Hort der Innovation, der Umsetzung von Wissen in smarte Produkte und Lösungen sein. Es müssen mehr Menschen, mehr Vielfalt beteiligt werden. In einem so reichen, demokratischen und klugen Land wie Deutschland müssen wir zu einem neuen Miteinander, zu einem neuen Vertrag zwischen Wissenschaft und Gesellschaft kommen. Bürgerwissenschaften/Citizen Science zeigen schon jetzt, wie es gehen könnte.

„Du bist verrückt!“ ist das beste Kompliment, was mir je gemacht wurde. Vielleicht denke ich also zu utopisch – sei es drum. Und trotzdem, es fehlt dringlich an einem breit angelegten Dialog zwischen Wissenschaft, Gesellschaft, Wirtschaft und Politik über die Zukunft: Wie wollen wir zusammenarbeiten, was ist möglich, was ist gewünscht, was ist unter den immer bedrohlicheren Szenarien notwendig? So vielleicht können wir die Lösungen gemeinsam erarbeiten, ja auch erstreiten und dann mit vereinter Kraft umsetzen. Vielleicht in einem neuen Vertrag zwischen Mensch und Natur. Es wird immer klarer: Natur, ein gutes Leben für Menschen und Demokratie gibt es nur als Dreieinigkeit. Wenn das nicht zusammengedacht wird, verlieren alle.

Viel Kraft und Ressourcen müssten für einen solchen Prozess aufgebracht werden. Es wird viel Mut von jedem und jeder gebraucht, sich zu öffnen. Es wird anstrengend, es wird Jahre dauern und viel, sehr viel Geld kosten. Aber es kostet uns nicht die einzige Welt, in der wir leben können: unseren Heimatplaneten Erde.

Johannes Vogel ist Generaldirektor des Museums für Naturkunde – Leibniz-Institut für Evolutions- und Biodiversitätsforschung in Berlin und Professor für Biodiversität und Wissenschaftsdialog an der Humboldt-Universität zu Berlin.

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Johannes Vogel

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