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Brett Kavanaugh (l), Wunschkandidat von US-Präsident Trump für den Supreme Court und seine Frau Ashley Estes Kavanaugh beantworten Fragen des Fernsehsenders FOX News.

© Jacquelyn Martin/AP/dpa

Trumps Kandidat für das Oberste Gericht: Brett Kavanaugh kämpft um seine Glaubwürdigkeit

Trumps Kandidat für das Oberste Gericht sieht sich mit dem Vorwurf konfrontiert, Frauen sexuell belästigt zu haben. Warum es in den USA immer um das eine geht.

Donald Trumps Kandidat für das Oberste Gericht der USA, Brett Kavanaugh, gerät wegen Vorwürfen der sexuellen Belästigung unter unerwartet heftigen Druck. Der Justizausschuss des Senats soll laut einem am Dienstag veröffentlichten Zeitplan bereits am Freitag über die Nominierung des erzkonservativen Juristen für das Oberste Gericht abstimmen. Nach einer möglichen Zustimmung des Justizausschusses am Freitag hat dann das Plenum des Senats die letzte Entscheidung über die Nominierung von Trumps Wunschkandidaten.

Inzwischen sind drei Frauen bekannt, die Kavanaugh sexuelle Belästigung oder Angeberei mit erotischen Handlungen vorwerfen. Die Zeitpunkte liegen zwar Jahrzehnte zurück und betreffen die Jugend- und Studienjahre. Aber in Zeiten der „MeToo“-Bewegung wirken die Anschuldigungen politisch explosiv.

Kurz vor der Anhörung vor dem US-Senat zu Missbrauchsvorwürfen gegen den Supreme-Court-Kandidaten Brett Kavanaugh ist der Richter mit neuen Anschuldigungen aus der Vergangenheit konfrontiert. Eine Frau aus Washington, Julie Swetnick, ließ am Mittwoch über ihren Anwalt eine Erklärung veröffentlichen, in der sie Kavanaugh vorwirft, er habe in den 80er Jahren bei diversen Partys in angetrunkenem Zustand junge Frauen sexuell belästigt. Er habe Frauen begrapscht und anzügliche Kommentare gemacht. Kavanaugh habe gemeinsam mit anderen versucht, Frauen mit gepanschten Drinks abzufüllen, um sie willenlos zu machen. Diese Frauen seien danach in angrenzenden Zimmern missbraucht worden. Sie selbst sei damals bei einer solchen Party Opfer einer Vergewaltigung geworden, schreibt Swetnick. Bei jener Party sei auch Kavanaugh anwesend gewesen. Welche Rolle Kavanaugh bei diesen Vorgängen genau gespielt haben soll, blieb in der Erklärung aber unklar.

Kavanaugh und die ihn unterstützenden Republikaner verteidigen sich ebenfalls mit ungewöhnlichen Maßnahmen. Der 53-Jährige gab ein Fernsehinterview in Trumps Lieblingssender Fox. Früher wäre es undenkbar gewesen, dass ein Richterkandidat sich während seiner Anhörungen im Senat in den Medien äußert. Mit Ehefrau Ashley Estes Kavanaugh an der Seite bestritt er die Vorwürfe kategorisch und scharf. Dies sei eine Verleumdungskampagne. Er werde seine Integrität verteidigen und seine Bewerbung nicht zurückziehen. Seine Frau bat um Rücksicht darauf, wie solche unbewiesenen öffentlichen Anschuldigungen auf die beiden minderjährigen Töchter Margaret und Liza wirken.

Warum der Streit so bedeutsam ist

Aus einer Nachbesetzung am Supreme Court, die angesichts der republikanischen Mehrheit im Kongress eine sichere Sache schien, wird unversehens ein Vorgang mit mehreren Variablen und ungewissem Ausgang. Wer ist glaubwürdiger, der Beschuldigte oder seine Anklägerinnen? Gewinnen die Bürger den Eindruck, dies seien parteipolitisch inszenierte Vorwürfe von Wählerinnen der Demokraten? Zusätzlich geht es um den Vorwurf, die Demokraten wollten die Abstimmung über Kavanaughs Ernennung zum Richter bis nach der Kongresswahl am 6. November verzögern in der Hoffnung, die Mehrheit im Senat zu kippen. Es kann auch anders ausgehen, falls sich die öffentliche Stimmung nun gegen Trumps konservativen Kandidaten wendet. Er war schon zuvor umstritten, weil er als harter Abtreibungsgegner gilt. Wird der nach außen hochmoralische Anspruch der Republikaner bei der Richterauswahl nun zum Bumerang?

Unterhaltung biet der Streit auch noch, denn der Umgang mit Sex, der stattgefunden haben soll oder auch nicht, kommt im angeblich so prüden Amerika offen zur Sprache und lässt die Spaltung der Gesellschaft in Lager erneut aufbrechen, von denen eines Enthaltsamkeit vor der Ehe propagiert, ein anderes Freizügigkeit für normal hält und wieder andere für die Rechte sexueller Minderheiten kämpfen. Zudem ist der Anwalt Michael Avenatti involviert, der auch die Pornodarstellerin Stormy Daniels vertritt und mit einer Kandidatur gegen Trump liebäugelt.

Welche Vorwürfe die Frauen erheben

Als Erste meldete sich die Psychologieprofessorin Christine Blasey Ford aus Kalifornien. 1982 habe der damals 17-jährige Kavanaugh sie bei einer Schulparty vergewaltigen wollen, schrieb sie an den Senatsausschuss, der für die Anhörung von Richterkandidaten zuständig ist. Er habe sich auf sie gelegt, versucht, ihr die Kleidung auszuziehen, und ihr den Mund zugehalten. Ein Freund habe sie aus der Lage befreit. So berichtete die „Washington Post“ über ihre Darstellung. Kavanaugh bestreitet den Vorfall.

Zunächst verlangten Blasey Ford und die Demokraten, das FBI solle die Anschuldigung als neutrale Instanz untersuchen; das Ernennungsverfahren im Senat solle so lange ruhen. Nun hat man sich darauf geeinigt, dass sie und Kavanaugh am Donnerstag im Senat aussagen. Die Demokraten müssen den Eindruck vermeiden, der Zeitgewinn durch eine FBI-Untersuchung sei ihnen wichtiger als eine rasche Klärung der Vorwürfe.

Dann kam eine zweite Anschuldigung, von Deborah Ramirez. Während des Studiums in Yale habe Kavanaugh sich bei einer Party im Wohnheim mit viel Alkoholkonsum entkleidet und ihr den Penis ins Gesicht geschoben, berichtete sie der Zeitschrift „The New Yorker“. Kavanaugh sagt, er habe nie so etwas getan. Die anderen Partyteilnehmer könnten sich nicht an den angeblichen Vorfall erinnern. Wenn es ihn gegeben hätte, hätte der ganze Campus darüber geredet.

Der dritte Fall ist doppeldeutig und betrifft ebenfalls die Schulzeit. Kavanaugh besuchte eine elitäre katholische Jungenschule, Georgetown Prep, spielte im Football-Team und war Kapitän des Basketball-Teams. Das Jahrbuch 1983 zeigt ein Foto der Sportler, die sich dort als „Renate Alumni“ vorstellen. Dieser Name, sagen sie, stamme daher, dass sie alle damit prahlten, sie hätten etwas mit Renate Schroeder, Schülerin einer nahen katholischen Mädchenschule, gehabt. Auf Nachfragen soll sich das auf Flirten, Ausgehen, Tanzen beschränkt haben. Kavanaugh behauptet nun, er habe ihr maximal einen Gute-Nacht-Kuss gegeben. Nicht einmal so weit sei es gekommen, sagt Schroeder heute. Seit sie die Texte im Jahrbuch kennt, beklagt sie, dass die Wortwahl, in der über sie gesprochen wurde, schmerzhaft und beschämend sei. Als sie die Texte noch nicht kannte, hatte sie mit 63 anderen Frauen ein Unterstützungsschreiben für Kavanaughs Ernennung zum Obersten Richter unterzeichnet.

Welche Rolle Puritanismus, Prüderie und „MeToo“ spielen

Die Vorwürfe und die Verteidigungsversuche zeigen, wie sehr sich der Umgang mit Sexualität in den USA seit den 1980er Jahren verändert hat. Damals herrschte eine verdruckste Atmosphäre mit engen Regeln. Unter Alkoholeinfluss kam es andererseits zu schwer entschuldbaren Übergriffen. Dank der „MeToo“-Bewegung trauen sich die Republikaner nun aber zum Großteil nicht, die Anschuldigerinnen Kavanaughs persönlich zu attackieren. Ihre Angriffe richten sich gegen die Demokraten und die Medien.

Kavanaugh achtet freilich darauf, dass er bei seiner Verteidigung das Bild vom bis zur Eheschließung enthaltsamen Mann aufrechterhält. „Ich hatte keinen Geschlechtsverkehr in der Schule und viele Jahre danach – und auch nichts, was Geschlechtsverkehr nahekommt“, sagt er.

Die Mehrheitsverhältnisse im Senat

Die Republikaner haben eine knappe Mehrheit von 51 zu 49 Stimmen. Bei Stimmengleichheit entscheidet Vizepräsident Mike Pence, ein Republikaner. So könnten sich die Republikaner ein, zwei Abweichler erlauben. Doch auf bis zu vier kann sich die Parteiführung nicht blind verlassen: Susan Collins aus Maine und Lisa Murkowski aus Alaska, die sich schon bei anderen Abstimmungen gegen Trump gestellt haben und zudem weibliche Empathie verkörpern; Jeff Flake aus Arizona, der nicht mehr antritt und keine Rücksicht mehr nehmen muss; Dean Heller aus Nevada, der zur Wiederwahl ansteht in einem Staat, der 2016 für Hillary Clinton gestimmt hat. Sie alle achten darauf, wie sich die öffentliche Stimmung entwickelt, und müssen ihr Vorgehen äußerst vorsichtig abwägen. Eine weitere Frau, die Kavanaugh belastet, oder ein Trump-Tweet, der Wählerinnen empört, kann die Aussichten des Kandidaten verdüstern. Umgekehrt würden Informationen, die die Glaubwürdigkeit von Christine Blasey Ford oder Deborah Ramirez erschüttern oder den Anschein erwecken, sie hätten aus parteipolitischen Motiven gehandelt, den Republikanern helfen. Kavanaughs Schicksal steht auf der Kippe.

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