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Freuen sich über ihre guten Ergebnisse: Robert Habeck and Annalena Baerbock.

© REUTERS/Leon Kuegeler

Der Grünen-Parteitag und die K-Frage: Baerbock begeistert – und stiehlt Habeck die Show

Mit ihrer fulminanten Rede hat Baerbock bewiesen, dass sie die Grünen noch mehr begeistern kann als Habeck. So erscheint die Kanzlerkandidatinnen-Frage offen.

Als Annalena Baerbock am Samstagmittag auf die Bühne des Grünen-Parteitags tritt, weiß sie, dass der Moment von vor zwei Jahren sich nur schwer wiederholen lässt. Damals ahnte niemand, welche Wucht ihre Kandidatur für den Grünen-Vorsitz entfalten würde. Baerbock war eine anerkannte Fachpolitikerin, die Bundestagsabgeordnete galt als versiert in der Klima- und Europapolitik. Doch ob sie das Zeug hätte, einen Saal mitzureißen?

„Wir wählen hier heute nicht nur die Frau an Roberts Seite, sondern die neue Bundesvorsitzende der Grünen“, rief Baerbock selbstbewusst. Am Ende begeisterte sie die Delegierten mit ihrer Rede mehr als Robert Habeck, der wenig später zu ihrem Co-Parteichef gewählt wurde.

Zwei Jahre später steht sie nun wieder vor den Delegierten, auf dem Parteitag in Bielefeld stellt sie sich gemeinsam mit Habeck zur Wiederwahl. Baerbock spricht von der „riesengroßen Verantwortung“, vor der die Grünen stünden. Davon, dass die Partei auch Bündnisse mit denen schließen müsse, „die nicht so ticken wie wir“. Wer wirklich gestalten wolle, "mutet sich Widerspruch zu", sagt sie.

Inhaltlich schlägt sie einen großen Bogen: Von der ökologischen Transformation, die für den Stahlarbeiter genauso funktionieren müsse wie für die Pendlerin in der Prignitz und den Familienvater mit einem Handwerksbetrieb. Bis zur Außenpolitik: Perspektivisch, sagt Baerbock, finde die Einführung einer europäische Armee sinnvoll, auch wenn einige in der Partei das anders sähen. Als Baerbock kritisiert, dass Frauen zu oft aufs Geschlecht reduziert würden und den Feminismus beschwört, jubelt der Saal.

Baerbock ist in der Partei unangefochten, und doch weiß die Grünen-Chefin, dass sie unter schärferer Beobachtung steht. Seit die Grünen in den Umfragen bei 20 Prozent liegen, manchmal sogar deutlich darüber, drängt die Frage nach der Kanzlerkandidatur wieder nach vorn. Kann das Wahlergebnis einen Hinweis darauf geben, wen die Grünen lieber im Kanzleramt sähen?

Baerbock holt das beste Ergebnis in der Grünen-Geschichte

Die Wahl endet mit einer kleinen Sensation: Baerbock erhält 97,1 Prozent der Stimmen. Damit übertrifft sie sogar Claudia Roth, die bei ihrer ersten Wahl zur Parteichefin 2001 mit 91,5 Prozent das bisher beste Ergebnis in der Grünen-Geschichte bekommen hatte. Auch Habeck kommt mit 90,4 Prozent auf ein für Grünen-Verhältnisse gutes Ergebnis, bleibt aber hinter Baerbock zurück. Habeck spricht in seiner Rede an, dass er und Baerbock "permanent" miteinander verglichen würden. Doch er will sich nicht gegen seine Co-Vorsitzende ausspielen lassen. Für die Grünen habe schon immer gegolten: "Je größer die Ziehkräfte waren, desto stärker sind wir zusammengerückt."

Offiziell spielt die K-Frage auf dem Parteitag keine Rolle. Und doch scheint es so, als ob die Delegierten zumindest das Zeichen setzen wollten, dass es bei den Grünen eben keine klare Vorentscheidung für Habeck gibt. Dass dieser häufiger als möglicher Kanzlerkandidat genannt wird, stört viele Frauen in der Partei, die wie keine andere den Feminismus hochhält und bei der Besetzung von Posten auf Geschlechterproporz achtet.

Auch deshalb sorgte Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann vor kurzem für Ärger, als er bei einem lockeren Gespräch mit dem Entertainer Harald Schmidt im Stuttgarter Theater wieder Habeck nannte – und Baerbock mit keinem Wort erwähnte. Es folgten Telefonate mit der Parteizentrale, zerknirschte Entschuldigungen, Kretschmann korrigierte sich.

K-Frage werden „rechtzeitig entschieden“

Bei seinem Auftritt in Bielefeld am Samstag lobt der Stuttgarter Regierungschef demonstrativ beide Vorsitzenden. Mit „Annalena und Robert“ hätten die Grünen eine Spitze, „die wirklich Haltung zeigt“, sagt Kretschmann. Beide würden so sprechen, „dass die Menschen sie verstehen und sich mitgenommen fühlen“.

Auch Bundesgeschäftsführer Michael Kellner versucht, die Debatte über die K-Frage im Keim zu ersticken. Schon in zwei Wochen wüssten die Delegierten nicht mehr die Prozentzahlen bei der Vorsitzendenwahl, sagt er vor der Abstimmung. Zwei Jahre vor dem regulären Termin für die nächste Bundestagswahl wollen die Grünen sich nicht festlegen, ob sie überhaupt eine Kanzlerkandidatur anstreben. Und schon gar nicht, wer diese übernehmen könnte. Die Frage werde „rechtzeitig“ entschieden, lautet das Mantra.

Ein vorzeitiger Anspruch aufs Kanzleramt könnte als Überheblichkeit gedeutet werden könnte, fürchtet man in der Partei. Schon oft haben die Grünen die Erfahrung gemacht, dass sie bei Wahlen deutlich schlechter abschnitten, als sie sich vorher angesichts der Umfragen erhofft hatten. Dem Höhenflug im Jahr 2011 nach der Atomkatastrophe von Fukushima folgte die Ernüchterung bei der Bundestagswahl 2013 mit 8,4 Prozent.

Die Grünen profitieren auch von der Zerstrittenheit von SPD und CDU

Ob es dieses Mal anders sein könnte? Klar ist, dass den Grünen aktuell die Geschlossenheit nutzt, an der die beiden Parteichefs Anteil haben. Das urgrüne Thema Klimaschutz hat Konjunktur, nicht zuletzt profitiert die Partei von der Zerstrittenheit von SPD und CDU. Doch ob sich die Wähler, die bisher die beiden Volksparteien gewählt haben, längerfristig an die Grünen binden lassen, halten viele in der Partei noch nicht für ausgemacht.

Nach 14 Jahren in der Opposition machen die Grünen ihren Regierungsanspruch jedenfalls deutlich wie schon lange nicht mehr. Die Grünen würden inzwischen nicht mehr nur von „eingefleischten Ökos“ gewählt, ganz viele Menschen suchten Orientierung und erwarteten realistische Antworten, sagt Kretschmann. Auf seine Partei sieht er eine neue Verantwortung zukommen: „Wir haben nicht mehr nur die Rolle mitzugestalten, sondern auch mitzuführen.“ Annalena Baerbock ruft zum Ende ihrer Rede: „Wir haben noch lange nicht fertig.“

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