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Trump und Pence - eines Geistes, aber nicht immer vernünftig.

© AFP

Der größte Skandal dieses Wahlkampfs: Trump und Pence verhöhnen die Demokratie

Friedliche Machtübergabe? Donald Trump und sein Vize, Mike Pence, lassen offen, ob sie eine Niederlage akzeptieren würden. Das ist empörend. Ein Kommentar

Ein Kommentar von Malte Lehming

Wer an Amerika denkt und sich gruseln will, muss eine lange Geschichte aus der November-Ausgabe des Monatsmagazin „The Atlantic“ lesen. Seit dem 30. September steht sie bereits online und heißt „Civil War Is Here, Right Now“.

Das ist ein Zitat von Stewart Rhodes, der im Jahr 2009 eine militante Gruppe mit dem Namen „Oath Keepers“ gegründet hat. Sie hat inzwischen Tausende Mitglieder, überwiegend aus dem amerikanischen Militär- und Sicherheitsapparat. Die „Oath Keepers“, das sind die, die ihren Eid halten wollen, das Vaterland gegen äußere und innere Feinde zu verteidigen. Sie glauben, dass illegale Migranten und Muslime die Nation schwächen.

Aktivisten von „Black Lives Matter“ sind für sie „Marxisten“. Die antirassistischen Proteste in vielen Städten, die Bewaffnung linker Gruppierungen, die Forderungen nach weniger Geld für die Polizei, die Anti-Corona-Maßnahmen wie „lockdowns“ oder Maskentragen – das alles deute auf einen unmittelbar bevorstehenden Bürgerkrieg hin. Weil sie ihn gewinnen wollen, haben sich die „Oath Keepers“ schwer bewaffnet.

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"Betrug und Manipulation"

US-Präsident Donald Trump lässt offen, ob er eine Wahlniederlage akzeptieren und eine friedliche Übergabe der Macht garantieren würde. Er sagt Sätze wie „Wir müssen abwarten, was passiert.“ Oder er beteuert, eine „freie und faire“ Wahl zwar respektieren zu wollen, was aber eine „freie und faire“ Wahl ausmacht, sagt er nicht. Stattdessen wittert er fortwährend „Betrug und Manipulation“. Die Demokraten würden die Wahl nur durch Wählerstimmen-Diebstahl gewinnen können.

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Gruppen wie die „Oath Keepers“ hören bei solchen Sätzen genau hin. Sie sind pro Trump, seine Mutmaßungen bestätigen ihre Befürchtungen. Deshalb stehen sie am Wahlabend bereit. Wofür? Das ist nicht ganz klar. Aber seit August warnt das FBI mit Blick auf den 3. November vor Eskalationen.
Vizepräsident Mike Pence hätte in der Debatte mit Kamala Harris die Dinge klarstellen können. Doch auch er wich der Frage nach der Akzeptanz eines demokratischen Wahlergebnisses aus. Trump würde ganz sicher wiedergewählt, sagte er, schließlich stehe der Präsident an der Spitze einer großen Bewegung.

Theatralische Selbstinszenierungen

Die Ambiguität von Trump und Pence bei diesem Thema ist der größte Skandal des an Skandalen nicht eben armen Wahlkampfes. Die nur mühsam verklausulierte Aufforderung an militante Gruppen, im Falle einer Niederlage aktiv zu werden, ist fahrlässig, gefährlich und eine Bankrotterklärung der amerikanischen Demokratie. Das lässt sich durch Verweis auf eine mögliche Koketterie Trumps nicht verharmlosen. Will er nur provozieren? Will er nur Siegesgewissheit ausstrahlen? Kann sein, aber das weiß er allein. Den Präsidenten der Vereinigten Staaten in dieser Sache nicht ernst zu nehmen, ist für eine demokratische Öffentlichkeit keine Option.

Wenn absichtlich offengelassen wird, ob Wahlen zu einem politischen Wechsel führen können, ist das Wesen der Demokratie in Gefahr, ihre Daseinsberechtigung, ihre Identität. Davon lenkt Trump mit seinen theatralischen Selbstinszenierungen – aktuell im Zusammenhang mit seiner Corona-Erkrankung – oft erfolgreich ab.

Über alles lässt sich streiten – den Klimawandel, die Wirtschaft, den Supreme Court, die Anti-Corona-Politik. Aber jeder Streit ist sinnlos, wenn das Votum der Wähler, deren Recht und Aufgabe es ist, sich zur Politik ihres Landes zu positionieren, ignoriert oder als belanglos verhöhnt wird.

Pence verweigert Bekenntnis zur Demokratie

Die Debatte der Kandidaten für die Vizepräsidentschaft hat daher nur eine Schlagzeile verdient: Pence verweigert Bekenntnis zur Demokratie. Doch offenbar sind während der Trump-Regentschaft die Maßstäbe so massiv verschoben worden, dass zwischen kleinen und großen Skandalen kaum noch unterschieden wird. „Das haben Trump und Pence doch schon oft gemacht“, heißt es.

Das stimmt. Vor vier Jahren, beim letzten TV-Duell mit Hillary Clinton, hatte sich Trump ebenfalls geweigert, das Wahlergebnis auch im Falle einer Niederlage anzuerkennen. Auf die entsprechende Frage des Moderators antwortete der Kandidat der Republikaner: „Ich werde mir das anschauen.“

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Trump und Pence düngen die Saat des Misstrauens. Sie befördern Verschwörungsmythen. Und sie steigern die Aggressivität ihrer Anhänger im Umgang mit politischen Rivalen.

Allerdings wäre es falsch, für den Fall einer Niederlage Trumps in knapp vier Wochen einen landesweiten Bürgerkrieg zu prognostizieren. Das umstürzlerische Potenzial extremistischer Gruppen wie „Proud Boys“ oder „Oath Keepers“ ist begrenzt. Nationalgarde und Militär wiederum sind demokratisch fest verankert und würden einen uneinsichtigen Präsidenten zur Not auch gegen dessen Willen aus dem Weißen Haus eskortieren.

Wer Trump wählt, will Macht und rebelliert gegen den Zeitgeist: zunehmende Religionsferne, Globalisierung, Einwanderung, kulturelle Liberalität. Wahrscheinlich ist es ein letztes, verzweifeltes Aufbäumen. Um so wichtiger wird es sein, dass eine Niederlage weder als Schmach noch als Demütigung empfunden wird. Damit der Riss, der ohnehin durchs Land geht, nicht noch tiefer wird.

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