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Im Archiv der Stasi-Unterlagenbehörde in Berlin Lichtenberg lagern unüberschaubar viele Aktenordner voller Papiere.

© imago/photothek

Der giftige Schatz der Ostdeutschen: Die Stasi-Akten-Behörde wird aufgelöst

Die Stasi-Akten sollen ins Bundesarchiv. Was wird jetzt aus der Stasi-Unterlagen-Behörde? Und was bedeutet das für die kollektive Erinnerung?

Sie sind ein Schatz der Ostdeutschen – giftig und wertvoll zugleich: 180 Kilometer verstaubtes und zum Teil zerissenes Papier voller bürokratischer Registriernummern und Geheimnamen, gleichzeitig voller Details schmutzigen Verrats und minutiöser Erniedrigung: die Stasi-Akten.

Die Unterlagen sind ein Teil des kleinen kollektiven Erbes, das Ostdeutschland sich selbst erobert hat – durch die Besetzung der Stasi-Archive nach dem Mauerfall und die weltweit einmalige Öffnung der Akten einer Geheimpolizei für die Öffentlichkeit. Schon allein deshalb war der Umbruch in der DDR eine friedliche Revolution. So ist der Schatz der Ostdeutschen auch ein Grund, stolz zu sein.

Und dennoch sind die Akten auch verhasst und gefürchtet. Weil sie so eklig sind; weil in den Archiven sogar Geruchsproben einstiger DDR-Oppositioneller liegen, damit sie an einem schon geheim von der SED-Führung geplanten Tag X von Hunden gejagt werden können.

Und weil in ihnen der Verrat durch viele x-beliebige Menschen gar an ihren Liebsten dokumentiert ist. „Ich habe niemandem geschadet“ – diese Ausrede erwischter Spitzel hat noch nie gestimmt. Denn woher wollten sie wissen, welches Puzzle die Stasi aus allen gesammelten Informationen zusammensetzte, um eine Person zu „zersetzen“, um eine Karriere oder eine Familie systematisch zu zerstören?

Nun wird der gehobene Aktenschatz verschoben – heraus aus der Stasi-Unterlagen-Behörde, die durch Joachim Gauck als moralische Instanz aufgebaut wurde und lange seinen Namen trug. Fortgeführt von Marianne Birthler, eine besonnene Bürgerrechtlerin, die mit Hilfe der (allerdings immer ziemlich großen) Behörde das menschliche Leid, aber auch das Widerständige vieler Menschen für ganz Deutschland dokumentieren wollte.

Hin zu Roland Jahn, der die Behörde nun abzuwickeln hat, ohne die Akten zu schreddern; der den schriftlichen Schatz in eine neue Zeit überschreiben soll: Die Akten kommen laut Bundestagsbeschluss ab 2021 ins Bundesarchiv, sind aber weiterhin einsehbar für die Öffentlichkeit bei öffentlich relevanten Personen oder Vorgängen. Und weiterhin kann jeder nach dem von der ersten demokratischen DDR-Regierung erkämpften und bis in die Nacht des Einheitsvertrages umstrittenen Stasi-Unterlagen-Gesetz herausfinden: Tante, Opa, Bruder – warst Du bei der Stasi? Wenn er das denn wissen möchte und zu wissen aushält. Sogar Kinder können inzwischen die Akten ihrer verstorbenen Eltern einsehen. Manchmal werden sie dann gewahr, dass Familie ein großer Abgrund sein kann, in den einen gerade eine Diktatur hineinschubsen kann.

Die bisherigen Bundesbeauftragten der Stasi-Unterlagenbehörde (v.l.): Joachim Gauck, Marianne Birthler und Roland Jahn.
Die bisherigen Bundesbeauftragten der Stasi-Unterlagenbehörde (v.l.): Joachim Gauck, Marianne Birthler und Roland Jahn.

© imago/Rolf Zöllner

Ja, die öffentliche Aufarbeitung der vergangenen Jahrzehnte war anstrengend; sie hat bis heute viele Wunden und Enttäuschungen hinterlassen.

Wie anders wäre der Weg der SPD im Osten verlaufen, wenn Hoffnungsträger Ibrahim Böhme nicht in der DDR als IM „Maximilian“ gespitzelt hätte? Viele Fragen sind bis heute offen geblieben (etwa an Gregor Gysi), manchen Fragen wollte sich das vereinte neue Deutschland lieber gar nicht stellen – zum Beispiel: Warum hatte die DDR-Geheimpolizei eigentlich so viele freiwillige Helfer im Westen des Landes und von Berlin?

Die Stasi-Akten, angelegt zur Überwachung und Zermürbung von Menschen, waren – von vielen in Ost und West lieber nicht gewollt – immer ein Fall für alle. Und sie sind eine der wenigen Erbstücke, das die Ostdeutschen in die selbst gewählte Ehe mit dem Westen einbringen durften – neben einer liberaleren Abtreibungsregelung und dem lustigen Ampelmännchen.

Geht nun Deutschland richtig damit um, wenn es die Behörde schließt, die hauseigene Forschung dichtmacht, Außenstellen schrumpft, die Akten hinter einem neuen Schild „Bundesarchiv“ lagert? Ja und Nein. Es wirkt wie eine Abwertung der Leistung, die in Transformationsgesellschaften in der ganzen Welt vom Baltikum bis nach Südafrika bestaunt worden ist: die Geheimpolizei einer Diktatur zerlegt zu haben. Andererseits geschieht die Umwidmung unter der Ägide von Roland Jahn durchaus mit Bedacht und Obacht. Ein Ansprechpartner für Opfer des SED-Staats soll ein neuer Bundesbeauftragter sein, auch wenn dieses Ziel bislang noch viel zu vage bleibt. Aber 30 Jahre danach werden auch die Stasi-Akten historisiert, wird anders erzählt und erinnert. Ferner irgendwie und dadurch mit der Möglichkeit, unbefangener näher ran zu gehen.

Für die Erinnerung an die DDR ist das ganze Land verantwortlich

Die originalen Stasi-Gefängnisse wie etwa in Hohenschönhausen mit seinen beklemmend langen Vernehmungsfluren oder die Zentrale der Schreibtischtäter in Lichtenberg bleiben weiter zugänglich. Die Akten auch. Auf Antrag. Zum Teil mit Schwärzungen für den Persönlichkeitsschutz. Vielleicht in der Fläche mit etwas längeren Wegen. Aber hoffentlich bald besser digital zugänglich. Ostdeutschlands giftige Schatzkammer der dunklen Geheimnisse bleibt geöffnet.

Und für die Erinnerung an die DDR muss das ganze Land offen sein. Denn 30 Jahre nach der Zeitenwende zeigt sich: Auch bei den Erinnerungen tritt eine Wende ein, wendet sich das Blatt hin zu privateren Geschichten (die deshalb nicht weniger politisch sein müssen, aber vielleicht weniger deklamatorisch sind).

Und die Frage, was aus den ostdeutschen Träumen für Gesamtdeutschland geworden ist, steht auf der Rückseite der Geschichtsblätter, die noch zu selten angeschaut werden. Der Erinnerungsraum an die DDR hat mehr Schichten und Geschichten gewonnen – auch durch neue neugierige Blicke von Jüngeren darauf. Die inneren Konflikte, die viele ältere Menschen bis heute prägen, sind übrigens auch in den Stasi-Akten notiert.

Und es gibt Opfer der Repression, die von der Staatspartei SED ausging und von ihrem Werkzeug, der Stasi, ausgeführt wurde. Opfer, die traumatisiert und demoralisiert sind. Ihre Stimmen, mit ihren stillen Schreien kaum hörbar, muss Deutschland stärker zur Geltung bringen. Um zu lernen, welchen Wert Demokratie und Freiheit haben.

Das Leben der Anderen, das verfilmte Schicksal von Gundermann, die noch nicht allzu alte und wie aus dem Nichts hochemotionale Debatte um den Berliner Staatssekretär Andrej Holm, der mit seiner Vergangenheit in der Gegenwart nicht richtig umzugehen vermochte – all das zeigt: Die Stasi bleibt unter uns. Als politisches Thema, als gesellschaftliches Erbe, als Mahnung daran, zu was Menschen imstande sein können. Beim Verraten des Nächsten. Aber auch bei der Befreiuung von sich selbst.

Deutschland legt den giftigen Schatz nun in den Historienschrank. Gut, dass er auch in Zukunft offen steht. So offen wie in keinem anderen Land der Welt. Darauf können die Ostdeutschen stolz sein. Und alle anderen auch.

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