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Könnte wohl bis 2036 regieren: Wladimir Putin (am 24. Juni in Moskau)

© AFP/Pavel Golovkin/Pool

Update

Der ewige Putin: Russlands Präsident könnte bis 2036 im Amt bleiben

Die umstrittene neue russische Verfassung ist mit mehr als drei Viertel der Stimmen angenommen worden. Wahlbeobachter kritisieren Manipulationen.

Der russische Präsident Wladimir Putin kann nach der Annahme der neuen Verfassung die Atom- und Rohstoffmacht mit mehr Machtbefugnissen noch auf Jahre weiter führen.

Bei einem Referendum erzielte das neue Grundgesetz, mit dem der 67-Jährige bis 2036 regieren könnte, nach Angaben der Wahlleitung in Moskau haushohe Zustimmung. Nach Auszählung aller Wahlzettel gab es rund 77,9 Prozent „Ja“- und etwa 21,27 Prozent „Nein“-Stimmen, wie die Wahlkommission am Donnerstagmorgen mitteilte. Die Wahlbeteiligung wurde mit 65 Prozent angegeben.

Die ersten Ergebnisse wurden veröffentlicht, obwohl die Abstimmung noch nicht in allen Teilen des Landes beendet war. Die Leiterin der Wahlkommission, Ella Pamfilowa, sagte, dass es keine Verstöße gegeben habe, die das Ergebnis beeinflussen könnten.

Dagegen sprachen unabhängige Wahlbeobachter von Hunderten Verletzungen des Wahlrechts während der siebentägigen Abstimmung, die am Mittwochabend geendet hatte. 110,5 Millionen Menschen waren im flächenmäßig größten Land der Erde aufgerufen, über die von Putin initiierte Verfassung abzustimmen.

Das neue Grundgesetz verspricht zahlreiche soziale Wohltaten - wie eine jährliche Rentenanpassung. Die Wähler stimmten über ein ganzes Paket von Änderungen ab, darunter etwa auch die Garantie, dass eine Ehe nur zwischen Mann und Frau erlaubt bleibe. Putin hatte betont, dass es gleichgeschlechtliche Ehen nicht geben werde, solange er an der Macht ist.

Nach der alten Verfassung von 1993 hätte Putin 2024 nicht wieder für das Präsidentenamt kandidieren dürfen. In einem eigenen Passus wurden nun aber seine bisherigen Amtszeiten seit 2000 annulliert.

„Abgesang auf die letzten Reste der Demokratie“

Die Verfassung dürfte aber auch das politische Leben in Russland verändern. Das Mitglied im Europarat muss sich demnach künftig nicht mehr internationalen Urteilen beugen. Vorrang haben künftig stets die nationalen Interessen der Rohstoff- und Atommacht. Russland hatte sich bereits in den vergangenen Jahren immer wieder an Strafurteilen internationaler Gerichte gestört.

Vor allem aber für russische Bürger, die gegen ihren Staat klagen, ist etwa bisher der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg eine wichtige Instanz für Gerechtigkeit gewesen. Besonders nationalpatriotische Kräfte in Russland hatten immer wieder gefordert, eine „Bevormundung“ durch andere Gerichte zu beenden und die teils hohen Geldstrafen nicht zu bezahlen.

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Von einem „Abgesang auf die letzten Reste der Demokratie“ in Russland sprach die Vorsitzende des Bundestags-Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe, Gyde Jensen. Die FDP-Politikerin kritisierte, dass Russland sich abwende von einer konstruktiven Arbeit auf internationaler Bühne. „Auf Ebene des Europarats müssen wir deshalb auch über einen Entzug des Stimmrechts der russischen Delegation sprechen“, sagte Jensen. Das gab es schon einmal zeitweilig nach der russischen Annexion der ukrainischen Schwarzmeer-Halbinsel Krim.

Protest gegen Putin und die geplante Verfassungsänderung in St. Petersburg
Protest gegen Putin und die geplante Verfassungsänderung in St. Petersburg

© dpa/AP/Dmitri Lovetsky

Die Staatspropaganda verbreitete zudem, dass die alte Verfassung von 1993 von den USA und Deutschland diktiert worden sei. Putin lässt mit dem neuen Grundgesetz nach Meinung von Experten eine nationalkonservative Ausrichtung des auf der Weltbühne heute wieder selbstbewussten Landes zementieren.

Der Kremlchef sah den Liberalismus im Westen zuletzt nach eigener Darstellung am Ende. Putin hatte auch in das Grundgesetz aufnehmen lassen, dass eine Ehe nur zwischen Mann und Frau möglich sei. Eine gleichgeschlechtliche Ehe werde es nicht geben, solange er im Amt sei.

Putin wurde 2000 erstmals Präsident. Mit der neuen Verfassung werden seine bisherigen vier Amtszeiten auf Null gesetzt. Er kann damit 2024 wieder zur Wahl antreten und dann 2030 noch einmal. Nach der alten Verfassung hätte er den Kreml 2024 verlassen müssen.

Wahlbeobachter berichten über Verstöße gegen das Wahlgeheimnis

„Heute legen wir die Zukunft Russlands fest. Ich habe für eine wirtschaftliche und soziale Entwicklung unseres Landes gestimmt, für die Erhaltung seiner Geschichte, Traditionen und Werte“, sagte Regierungschef Michail Mischustin. Er hatte wie Putin bis zum letzten Tag der auf sieben Tage angelegten Abstimmung gewartet, um seine Stimme abzugeben. Weder Putin noch er trugen - wie eigentlich vorgeschrieben in Moskau - Mund- und Nasenschutz gegen das Coronavirus. Wahlleiterin Ella Pamfilowa kritisierte aber nur Mischustin, obwohl er selbst schon von dem Virus genesen ist.

Das Innenministerium berichtete der Agentur Interfax zufolge von mehr als 800 Zwischenfällen bei der Abstimmung. Es gebe aber keine Verstöße, die das Ergebnis beeinflussen könnten. Unabhängige Wahlbeobachter der Nichtregierungsorganisation Golos sprachen von Hunderten Verstößen. Die Menschen seien zur Stimmabgabe gedrängt und das Wahlgeheimnis sei oft nicht gewahrt worden, hieß es. Zudem sollen viele Menschen mehrfach abgestimmt haben.

Putin-Gegner Nawalny erbost über frühe Veröffentlichung von Resultaten

Kremlkritiker Alexej Nawalny meinte, es sei ungeheuerlich, dass die Wahlkommission während der laufenden Abstimmung bereits erste Ergebnisse veröffentliche. „Sie wollen damit absichtlich zeigen, dass sie auf das Gesetz spucken“, twitterte der Oppositionelle. „Ihr Platz ist auf der Anklagebank.“

Kritik kam auch aus Deutschland. „Diese Verfassungsänderung ist nicht nur ein Abgesang auf die letzten Reste der Demokratie in Russland“, sagte die FDP-Bundestagsabgeordnete Gyde Jensen. Das Grundgesetz des Autokraten Putin sei auch „eine ganz reale Bedrohung und ein rabenschwarzer Tag für Menschenrechtsaktivisten, Oppositionelle und diskriminierte Minderheiten“, meinte die Vorsitzende des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe weiter.

Die Abstimmung hatte am vergangenen Donnerstag begonnen. Sie war auf mehrere Tage angesetzt, damit wegen der Corona-Pandemie genügend Zeit für die Menschen blieb, ihre Stimmabgabe zu organisieren.

Die Menschen in Moskau und Nischni Nowgorod durften auch im Internet abstimmen. Zudem kamen Mitarbeiter der Wahlkommission zu den Menschen nach Hause. Als Anreiz, zur Abstimmung zu kommen, gab es Gewinnspiele. Ursprünglich war die Abstimmung für den 22. April angesetzt gewesen. Sie wurde wegen der Pandemie verschoben. (dpa)

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