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Ein Gesundheitshelfer verabreicht einem Mann den Corona-Impfstoff von AstraZeneca in Sabon Kuje am Rande von Abuja (Nigeria).

© Gbemiga Olamikan/AP/dpa

Der Corona-Impfstoffhersteller Corbefax macht es vor: Pharmaunternehmen können von Afrikas großem Markt profitieren

Sozial engagierte Kapitalgeber und Offenheit bei Partnerschaften sind die Voraussetzung. Aber das Potenzial ist gewaltig. Ein Gastbeitrag.

Mo Ibrahim ist Vorsitzender und Gründer der Mo Ibrahim Foundation; Mark Malloch-Brown ist Präsident der Open Society Foundations und ehemaliger stellvertretender UN-Generalsekretär. Aus dem Englischen von Ingo J. Biermann 

Langsam, und durchaus nicht zu früh, scheint sich die globale Sichtweise in der Frage zu verändern, wie Regierungen mit der anhaltenden Corona-Pandemie umgehen sollten. Auf dem Gipfeltreffen zwischen der Europäischen Union und der Afrikanischen Union wurde wurde im Februar in Brüssel das Versäumnis, Afrika ausreichend mit Impfstoffen zu versorgen, noch einmal zur Sprache gebracht. Zumindest gibt es jetzt ein „ehrgeiziges Investitionspaket Afrika-Europa“, das Maßnahmen zur Bewältigung der Herausforderungen in der Gesundheitsversorgung vorsieht.

Hier herrscht allerdings ein klares Konfliktpotenzial. Es besteht ein gemeinschaftliches Interesse daran, die Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen bei der Bewältigung der Pandemie stärker zu unterstützen. Doch wollen afrikanische Regierungen die fatale Abhängigkeit von ausländischen Hilfsprogrammen und Versorgern abbauen.

Sie drängen darauf, so schnell wie möglich für eine sichere und autonome Gesundheitsversorgung auf ihrem Kontinent zu sorgen, unter anderem durch den Aufbau eigener Kapazitäten für die Entwicklung und Herstellung von Impfstoffen und anderen wichtigen Gesundheitsgütern.

Dazu bedarf es jedoch mehr als staatlicher Maßnahmen. Hier ist der Privatsektor gefordert; die etablierten Denkmuster müssen sich wandeln, um auf die anstehende Trendwende zu reagieren.

Afrikas Bedarf ist eine Chance für Europas Wirtschaft

Allein schon der immense Bedarf in Afrika ist eine Chance für die Wirtschaft. Auf Afrika entfallen 25 Prozent des weltweiten Impfstoffbedarfs. Doch selbst wenn keine Pandemie stattfindet, werden 99 Prozent des routinemäßigen Bedarfs durch Importe gedeckt. Generell importieren die afrikanischen Länder 94,8 Prozent ihres Arzneimittelbedarfs von außerhalb des eigenen Kontinents.

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Um an diesem Verhältnis etwas zu ändern, müssen globale Pharmaunternehmen zumindest bereit sein, echte Partnerschaften einzugehen und afrikanischen Partnern Forschungs-, Entwicklungs- und Produktionskapazitäten – Fachwissen und Technologien – weitergeben. Dies setzt die Bereitschaft voraus, die Märkte und damit die Gewinne zu teilen.

Muhammadu Buhari (li.), Präsident von Nigerias, Ursula von der Leyen, Präsidentin der EU-Kommission und die weiteren afrikanischen Staatschefs beim EU-Afrika-Gipfel in Brüssel vom 18.-20. Februar.
Muhammadu Buhari (li.), Präsident von Nigerias, Ursula von der Leyen, Präsidentin der EU-Kommission und die weiteren afrikanischen Staatschefs beim EU-Afrika-Gipfel in Brüssel vom 18.-20. Februar.

© Olivier Hoslet/dpa

Solche Entwicklungen werden sich nicht von heute auf morgen ergeben. Für Unternehmen, deren Hauptaugenmerk auf den Renditen für ihre Aktionäre liegt, sind die Anreize so angelegt, dass sie die Kontrolle über ihre Patente nicht abtreten, sondern allenfalls Impfstoffe über weitgehend karitative Ankaufsinitiativen wie Covax verkaufen. Bei der Bekämpfung von HIV/Aids zeigte sich die gleiche Entschlossenheit, die Kontrolle über die retroviralen Markenpräparate zu behalten – bis Indien und Südafrika die Patente nachkonstruieren und generische Alternativen herstellen konnten.

Wenn die Welthandelsorganisation keine Patentverzichtserklärung beschließt, und viele G7-Länder lehnen dies trotz der Annäherungsversuche der Afrikanischen Union entschieden ab, wird es mit den mRNA-Impfstoffen wohl ähnlich ablaufen – und Big Pharma wird eine weitere Welle von Unmut und Misstrauen zu spüren bekommen.

Doch es geht auch anders

Doch ein anderer Weg ist denkbar. Wir haben gerade erst erlebt, dass die Entwickler von Corbevax ihren Impfstoff ohne Patente oder Auflagen für die Produktion zur Verfügung stellen und Partnerschaften in Asien und Afrika aufbauen. Unternehmen, die sich jetzt für einen erweiterten Zugang zu Impfstoffen einsetzen – und damit staatlichen Verordnungen oder Auflagen zuvorkommen – werden letztlich nicht nur dem weltweiten Kampf gegen dieses verheerende Virus, sondern auch ihren Aktionären in die Karten spielen, da sie auf den hinzukommenden Märkten besser aufgestellt sind.

Einige von ihnen werden sich auf neue Unternehmensmodelle umstellen müssen, die Erschwinglichkeit und Verfügbarkeit gewährleisten und die Nachfrage einer rapide wachsenden afrikanischen Mittelschicht decken können.

Hier müssen zu Vorzugsbedingungen gewährte Finanzmittel und sozial engagierte Kapitalgeber eine Rolle spielen – die Open Society Foundations beispielsweise haben sich anderen gemeinnützigen Förderern und sozial engagierten Kapitalgebern angeschlossen, um Mologic, einen führenden britischen Entwickler kostengünstiger Schnell-Tests, zu übernehmen, mit dem Ziel, eine bestehende Produktionspartnerschaft mit dem senegalesischen Institut Pasteur in Dakar auf andere Regionen wie Südostasien und Lateinamerika auszuweiten.

Das weiter gefasste Ziel dieser Initiative ist jedoch wesentlich ambitionierter: zu demonstrieren, dass ein solcher Ansatz, bei dem Erschwinglichkeit und Verfügbarkeit in das Geschäftsmodell integriert sind, rentabel sein kann – wenngleich in unserem Fall alle Gewinne in das Unternehmen reinvestiert werden.

Die Herstellung fördert die Ausbildung von Fachkräften vor Ort

Die Potenziale einer nachhaltigen, einheimischen Gesundheitsindustrie in Afrika sind beträchtlich. Investitionen in die Herstellung von medizinischen Produkten auf dem Kontinent bringen Vorteile für das gesamte Spektrum von der Entwicklung über die Herstellung bis hin zur Bereitstellung von medizinischen Technologien, seien es Corona-Impfstoffe oder -Therapeutika oder eben Medikamente für den bereits bestehenden oder noch zu erwartenden Gesundheitsbedarf.

Eine Investitionsstrategie zur Entwicklung der Herstellung von Gesundheitsgütern in Afrika bringt vielfältige Sekundäreffekte mit sich: die Förderung hochqualifizierter Biotechnologie-Fachkräfte mit Hochschulbildung, Beschäftigungsmöglichkeiten in diesem Wachstumssektor, welche die demografische Entwicklung auf dem Kontinent stärken, Infrastrukturinvestitionen zur Unterstützung der Energie-, Rohstoff- und Transporteinrichtungen, die dem Gesundheitswesen und anderen Produktionssektoren zu Gute kommen, eine stärkere Angleichung der gesetzlichen Bestimmungen und der Handelsstrukturen auf dem Kontinent und nicht zuletzt die Chancen stärkerer Süd-Süd-Partnerschaften mit der aufstrebenden Biotechnologiebranche in Asien und Lateinamerika.

Initiativen wie die "Partnerschaft für die Herstellung von Impfstoffen in Afrika" (Partnership for African Vaccine Manufacturing, PAVM) sind dringend nötig. Sie wurde im April 2021 gemeinsam von der Afrikanischen Union und der "Coalition for Epidemic Preparedness Innovations" (CEPI), einer öffentlich-rechtlichen Partnerschaftsinitiative, ins Leben gerufen und strebt den Aufbau von örtlichen Produktionsstätten an. Bis 2040 sollen 60 Prozent der jährlichen Produktion von Routine-Impfstoffen in Afrika gedeckt werden. Diese Partnerschaft sollte ein Impulsgeber für die übrige Welt sein, für staatliche und private Geldgeber und für den Privatsektor. Sie macht den Rest der Welt darauf aufmerksam, dass Afrikas Gesundheitswesen nicht nur bei der Herstellung von Impfstoffen auf neue Füße gestellt werden muss.

Mo Ibrahim, Mark Malloch-Brown

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