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Bleiben wäre ein Betrug, meinen Brexit-Befürworter in London. Die Mehrheit hatte 2016 für den EU-Austritt gestimmt.

© onathan Brady/PA Wire/dpa

Der britische EU-Austritt und die Deutschen: Ein Brexit - ohne Wunschdenken

May schlägt eine Verlängerung vor, Corbyn ein neues Referendum. Das ist Taktik - und kein Grund für deutsche Hoffnungen, dass die Briten bleiben. Ein Kommentar.

Theresa May und Jeremy Corbyn lassen viele Deutsche hoffen. Die Regierungschefin lässt eine Verschiebung des EU-Austritts zu, der Labour- Chef unterstützt ein zweites Referendum. Laut Umfragen könnte es diesmal für eine knappe Mehrheit für „Remain“ reichen. Wird der Brexit in letzter Minute abgesagt? Und was kann Deutschland tun, um bei dieser Wende zu helfen?

May kommt dem Kontrollverlust zuvor

Dass die Briten bleiben, ist zwar nicht unmöglich, aber unwahrscheinlich. Deutsche und englische Herzen schlagen in Sachen Europa verschieden. Für die Deutschen ist europäische Integration die Lehre aus ihrer Geschichte. Die Briten wollen ihre Souveränität nicht aufgeben.

Weder May noch Corbyn streben ein Verbleiben in der EU an. Ihre Vorstöße dienen taktischen Zielen. May läuft Gefahr, ihr wichtigstes Druckmittel zu verlieren. Mit der Angst vor dem „No Deal“ und folgendem Chaos will sie eine Mehrheit zwingen, ihrem Austrittsvertrag zuzustimmen. Das Parlament plant jedoch ein Votum, das „No Deal“ ausschließt. May verlöre die Kontrolle. Dem kommt sie mit der Fristverlängerung zuvor.

Corbyn bewegt sich, um die Austrittswelle aus seiner Partei zu stoppen. Als Oppositionschef muss er zudem eine Alternative zur Regierungspolitik anbieten. Auf „Remain“ kann er seine Partei aber nicht festlegen. Er selbst ist ein EU-Skeptiker, Labour ist in der Frage gespalten. Viele Abgeordnete kommen aus Wahlkreisen, die beim ersten Referendum für den Austritt gestimmt haben, besonders in den Midlands und im Norden Englands. Mit einem Pro-EU-Kurs würde Corbyn mehr Abgeordnete durch Austritt verlieren, als er durch sein Taktieren zu halten versucht. Selbst wenn die Partei die Forderung nach dem zweiten Referendum mittragen wollte, brächte das wenig. Labour hat keine Mehrheit im Parlament.

Die Briten haben ihre Meinung zu Europa nicht massenhaft geändert

Eine neue Abstimmung würde den Streit zudem nicht befrieden. Umfragen belegen: Die Briten haben nicht massenhaft ihre Haltung zu Europa verändert. Bestenfalls gäbe es eine knappe Mehrheit pro EU. Tags drauf würde die Kampagne für ein drittes Referendum beginnen.

May und Corbyn handeln, weil beide in unhaltbarer Lage sind. Der Brexit- Stichtag rückt näher, ihr Rückhalt schwindet. Für keinen der denkbaren Auswege aus der Blockade gibt es eine Mehrheit im Parlament: nicht für Mays Deal, nicht für „Remain“, schon gar nicht für „No Deal“, aber auch nicht für ein zweites Referendum. Die Vorlieben verteilen sich auf zu viele Optionen. Eine Mehrheit wird sich erst finden, wenn das Parlament vor einem Entweder-Oder steht.

May will die Alternative so definieren, dass die Abgeordneten nur die Wahl zwischen ihrem nachgebesserten Austrittsvertrag oder einem „No Deal“ haben. Der „No Deal“ ist ihr Schreckgespenst, um die Tories auf ihren Vertrag festzulegen. Corbyn möchte das Parlament zur Zollunion zwingen. Er benutzt die Drohung mit einem zweiten Referendum, das die Tory-Mehrheit auf keinen Fall möchte, um die Zollunion als kleineres Übel und als sinnvollen Kompromiss darzustellen.

Die Dynamik bewegt sich in Richtung der deutschen Interessen

Die Deutschen sollten nüchtern ihren Interessen folgen, ohne in Wunschdenken zu verfallen. Es wäre schön, wenn die Briten blieben, doch so wird es wohl nicht enden. Falls die von May und Corbyn entfachte Dynamik aber dazu führt, dass „No Deal“ vom Tisch ist, Zeit zum Nachdenken bleibt und die Zollunion möglich wird, wäre dies kein schlechter Ausweg aus der verfahrenen Lage.

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