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Derzeit haben 709 Politikerinnen und Politiker einen Sitz im Bundestag.

© dpa

Der Beschluss von Union und SPD zum Wahlrecht: So macht sich der Bundestag zur Lachnummer

Was der Koalitionsausschuss zum Wahlrecht vorlegt, bringt wenig. Das Ergebnis ist peinlich und unwürdig. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Albert Funk

Es ist peinlich. Es ist jämmerlich. Es ist grotesk. Anders lässt sich nicht kommentieren, was die Koalitionsspitzen in der Nacht zum Mittwoch zur Reform des Wahlrechts beschlossen haben. Die schlimmsten Befürchtungen sind noch unterboten worden. Wie kann man mit einem solchen Murks vor die Bürger treten?

Wenn dieses Minimalergebnis tatsächlich umgesetzt wird, macht sich der Deutsche Bundestag zur Lachnummer.

Angetreten waren sie vor drei Jahren mit dem Anspruch, das Parlament müsse nach der Vergrößerung auf 709 Sitze durch Überhänge und Ausgleichsmandate wieder kleiner werden. Zur Erinnerung: 598 Sitze ist die Ausgangsgröße. 

Das Ziel änderte sich im Verlauf der Debatte: Nun sollte das Parlament zumindest nicht noch größer werden. Mit dem Beschluss aus der Nacht ist aber nicht einmal mehr das gesichert. Die Koalitionsspitzen konnten nicht erklären, wo man mit diesem Beschluss landen wird.  

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Was vereinbart wurde, ist ein Scheinkompromiss der beiden Ausgangsmodelle, die kaum zu vereinbaren waren. Er hat mit Blick auf die Wahl 2021 nur zwei Komponenten. Zum einen soll das Zuteilungsverfahren der Sitze so geändert werden, dass einerseits Überhänge mit Listenmandaten einer Partei verrechnet werden, zum anderen aber eine föderal ausgewogene Sitzverteilung gewährleistet bleibt. 

Zwei Komponenten, die sich gegenseitig aufheben

Was letztlich bedeutet, dass der eine Schritt durch den anderen in seiner Wirksamkeit verringert, wenn nicht gar ausgehebelt wird. Im Übrigen: Nach den aktuellen Umfragen hat die CDU praktisch keine Listenmandate, die zu verrechnen wären. Und Überhänge der CSU lassen sich bekanntlich gar nicht mit Listen in anderen Ländern verrechnen. Im Übrigen verliert die Änderung des Zuteilungsverfahrens an Wirksamkeit, je höher die Zahl der Überhänge ist. Derzeit ist mit noch mehr als 2017 zu rechnen – damals waren es 46.

Auch die zweite Maßnahme für 2021 ist merkwürdig. Es sollen drei Überhänge nicht ausgeglichen werden, das kommt einer Forderung der Union entgegen. Das ist allerdings zum einen ein Systembruch, weil so der Parteienproporz – also das Kernziel des  Verhältniswahlsystems – verzerrt wird. 

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Andererseits bringt es reichlich wenig: Ein Überhangmandat der CDU zieht zwei, maximal drei Ausgleichssitze nach sich. Der Dämpfungseffekt liegt somit bei zusammengenommen etwa zehn Mandaten.

Die aktuellen Umfragen ergeben einen Bundestag mit mehr als 750 Abgeordneten. Mit dem Koalitionsbeschluss ist damit zu rechnen, dass der nächste Bundestag noch größer sein könnte als der aktuelle. Über den Daumen gepeilt liegt der Dämpfungseffekt des Beschlusses bei weniger als 30 Mandaten. Wenn bei der CDU die Listen gar nicht ziehen, wie es derzeit zumindest nicht ausgeschlossen werden kann, ist der Effekt jedoch geringer.

Allenfalls dann, wenn die CSU mit Überhängen den Ausgleichsbedarf auslöst (2017 war es die CDU), ist die Dämpfungswirkung stärker - allerdings ist dann auch die Zahl der Ausgleichsmandate bedeutend höher, denn da kämen mehr als zehn, ja bis zu zwanzig auf ein CSU-Überhangmandat zusammen. Bei nur drei Überhängen der CSU wäre der Schritt möglicherweise wirksam. Aber 2017 waren es sieben.

Eine größere Reform kommt wohl erst 2025

Aber es wird noch wirrer. Eine größere Reform soll zur Wahl 2025 kommen. Dafür soll eine Reformkommission eingesetzt werden. Ein Ergebnis dieser Runde aus Abgeordneten, Wissenschaftlern und „weiteren Mitgliedern“ soll aber vorab schon jetzt gesetzlich vorgeschrieben werden: die Verringerung der Wahlkreiszahl von 299 auf 280. 

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Die Kommission ist eine SPD-Idee,  die Wahlkreisreduzierung eine der Union. So macht die Groko Kompromisse. Man glaubt es nicht. Welcher seriöse Wissenschaftler und welcher vernünftige Mensch, der als weiteres Mitglied ausersehen ist, geht denn in eine solchermaßen festgelegte Kommission?

Wer hat wen über den Tisch gezogen?

Man kann nun natürlich darüber sinnieren, wer da wen über den Tisch gezogen hat. Der SPD-Vorschlag war ja schon schlecht genug, aber der hatte zumindest eine Deckelung bei 690 Sitzen vorgesehen und hätte als Notlösung für eine Wahl getaugt. Nun ist die Sache wieder nach oben offen. Haben sie das etwa gar nicht kapiert? CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer nannte das Ergebnis im ZDF-Morgenmagazin "beachtenswert".

Tatsächlich ist das, was die Großen von CDU, CSU und SPD da zusammengeschustert haben, ein absolutes Unding. Es offenbart, was die führenden Köpfe der deutschen Politik vom Wahlrecht halten, dem wichtigsten Element einer Demokratie. Es ist zum Objekt eines kleinkarierten Geschachers geworden. 

Das ist unwürdig. Die Opposition wird hier wohl nicht mitmachen. Die Wahlrechtsreform, nötig und versprochen, ist vorerst gescheitert. Die Regierungskoalition hat hier versagt.

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