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Wie kommt man aus der Krise wieder raus? Mehr Menschen als sonst entwickeln Depressionen und Angstzustände. Auch das muss Thema sein.

© imago images/Action Pictures

Depressionen, Angst- und Zwangsstörungen: Corona-Nöte finden nicht nur im Portemonnaie statt

Jetzt wird über höhere Hartz-IV-Krisensätze gestritten. Aber nicht alles, was gerade an Schieflagen sichtbar wird, lässt sich mit Geld regeln. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Nina Breher

Noch stecken alle mitten in der Coronakrise, aber die langfristigen Verlierer:innen stehen schon fest. Es sind die, die eigentlich immer verlieren, wenn es in Deutschland etwas zu verlieren gibt: Arme und chronisch Kranke. Man hätte das kommen sehen können, ja müssen. Dennoch scheint die Regierung diese soziale Realität nicht mitzudenken.

Zuletzt zeigte das die Diskussion um eine verschärfte Maskenpflicht im öffentlichen Raum. Der soziale Riss, der sich durch die Republik zieht, wurde da so konkret, dass Armut für einen Moment nicht mehr ignoriert werden konnte. Plötzlich wurde sichtbar: Es gibt in Deutschland – immer noch eines der reichsten Industrieländer der Welt – Menschen, die sich keine FFP2-Masken leisten können. Erst drei Tage nach Einführung der erweiterten Maskenpflicht entschied die Regierung, Bedürftige mit einem Satz Gratis-Masken zu versorgen.

Die partielle Blindheit Bedürftigen gegenüber ist symptomatisch. Oft genug werden sie und ihre Nöte wie eine lästige Randnotiz behandelt. Es überrascht nicht, dass es ein ganzes Jahr gedauert hat, bis die Ärmsten und ihre Probleme auf die politische Agenda rückten.

Wenn jetzt höhere Hartz-IV-Krisensätze oder Sonderzuschüsse gefordert werden, kann man das überfällig nennen. Denn dass das Coronavirus soziale Ungleichheiten verstärkt, war schnell klar, es ist oft darauf hingewiesen worden. Hilfsjobs fielen in der Krise schneller weg, viele schlecht bezahlte Menschen waren und sind in Kurzarbeit und damit gefühlt in die leistungsgesellschaftliche Bedeutungslosigkeit gerutscht.

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Oft genug werden finanzielle Notlagen, die ein gut zu berechnendes und zu behandelndes Problem sind, dann zu viel schwerer fassbaren mentalen Notlagen. Stress, Unsicherheiten, Vereinsamung sind Reaktionen der Seele, die ohnehin oft unterdrückt werden, und umso mehr in einer Pandemie – erst recht, wenn man dann noch unter sozial schwierigen Bedingungen lebt. Es können daraus Depressionen, Angst- und Zwangsstörungen erwachsen.

Die Corona-Krise trifft die Ärmsten der Gesellschaft besonders hart.
Die Corona-Krise trifft die Ärmsten der Gesellschaft besonders hart.

© imago images

Wer sich erholen wird und wer nicht, ist schwer absehbar. Bekannt aber ist: Vieles, was in psychischen Notlagen normalerweise hilft, ist derzeit nicht möglich: soziale Kontakte, Routine im Alltag. Was kann man tun? Ein erster Schritt wäre, die sozialpsychologischen Folgen der Krise klarer als bisher anzuerkennen. Von politischer Seite findet das nur punktuell statt.

Zwar betonte Angela Merkel kürzlich überraschend emotional, es breche ihr „das Herz, wie viele Menschen da in Einsamkeit gestorben sind“, und immer wieder mal tauchen die möglichen psychischen Belastungen auf, die Schulschließungen für Kinder und auch für deren Familien sein können. Aber einen echten Raum haben diese Überlegungen nicht. Eher klingt ein „Kann man sich mal bitte etwas zusammenreißen“ durch.

Wenn es um Schicksale geht, dann um die von Firmen

Die Politik scheint keinen Sinn zu haben für das Psychologische der Situation. Lieber und ausführlicher wird sich den pandemischen Tagesfragen gewidmet, den eher technischen Diskussionen um Kontaktbeschränkungen, Finanzfragen, Wirtschaftshilfen. Wenn Schicksale intensiv debattiert werden, dann die von Unternehmen, und in deren Rettung werden auch reihenweise Milliarden investiert. Psychische Krankheiten und Armut werden anscheinend als – vermeintlich nie in irgendwelchen Bilanzen auftauchende? – Kollateralschäden eher toleriert. Aber auch sie haben einen Preis.

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Erschwert wird die Lage von einem Paradox: Die Pandemie verstärkt zwar sowohl soziale Spannungen als auch psychische Probleme, sie macht beide zugleich aber auch unsichtbarer, da alle zum Rückzug ins Private aufgerufen sind. Deshalb sollte die nun entbrannte Diskussion um einen Hartz-IV-Krisenzuschlag auch Anlass sein, endlich diejenigen in den politischen Fokus zu rücken, die nur allzu gern vergessen werden.

Und auch die Bürgerinnen und Bürger, wir alle, sind in der Verantwortung, dorthin zu schauen und dort zu helfen, wo nicht allein die Viren, sondern auch Armut und Depressionen grassieren.

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