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In Deutschland demonstrieren zahlreiche Menschen für die Freilassung von Deniz Yücel, der in türkischer Untersuchungshaft sitzt.

© dpa

Deniz Yücel: Seit 100 Tagen in Erdogans Hand

Der Journalist Deniz Yücel sitzt inzwischen 100 Tage in türkischer Haft. Eine Anklage gibt es bisher nicht, doch der Präsident hat sein Urteil bereits gesprochen.

Er hat seine Haarmähne stutzen lassen, seine Freundin geheiratet und schreibt Gedichte. Und er verlangt, was in der Türkei nicht gerade garantiert ist: einen fairen Prozess. Deniz Yücel, Korrespondent des Springer-Blatts „Die Welt“, sitzt nun seit 100 Tagen im Gefängnis von Silivri, eine Autostunde entfernt von Istanbul. Dort wird er auch bleiben, wenn man Recep Tayyip Erdogan, den autoritär regierenden Präsidenten der Türkei, beim Wort nimmt.

Am 27. Februar entschied ein Istanbuler Richter, den deutsch-türkischen Journalisten in U-Haft zu nehmen. Zehn Tage war Deniz Yücel bereits in Polizeigewahrsam. Der 43-Jährige hatte sich selbst gestellt, gegen ihn lag ein Haftbefehl vor. Die Bundesregierung glaubte an eine einvernehmliche Lösung mit den türkischen Behörden. Auf die Überstellung des Journalisten in die in der Türkei notorisch lange Untersuchungshaft war auch sie nicht vorbereitet. Der Fall wird zur größten Belastung der bereits angespannten deutsch-türkischen Beziehungen.

Eine gute Stunde durfte Georg Birgelen, der deutsche Generalkonsul in Istanbul, am Donnerstag vergangener Woche den „Welt“-Korrespondenten im Gefängnis in Silivri sehen. Birgelen wollte sich ein Bild von den Haftbedingungen machen und von Yücels Verfassung, so hieß es. Mit welchem Ergebnis, das behielt das Auswärtige Amt erst einmal für sich. Es war erst der zweite konsularische Besuch, den die türkischen Behörden gestatteten. Yücel hat schließlich auch die deutsche Staatsbürgerschaft und nicht nur den türkischen Pass. Der wurde ihm zum Verhängnis – so dachte man zumindest bis vor Kurzem. Ausländische Korrespondenten in der Türkei wurden in den vergangenen Jahren im schlimmsten Fall kurzzeitig festgehalten und des Landes verwiesen. In Untersuchungshaft kam nie jemand.

Auch die deutsch-türkische Journalistin Mesale Tolu sitzt im Gefängnis

Seit aber die in Ulm geborene türkischstämmige Übersetzerin Mesale Tolu in der Nacht zum 1. Mai aus ihrer Wohnung in Istanbul geholt und ins Gefängnis geworfen wurde, stimmt auch das nicht mehr. Tolu ist deutsche Staatsbürgerin; den türkischen Pass hat sie vor Jahren zurückgegeben. Bisher hat Mesale Tolu noch keinen offiziellen Besuch vom deutschen Konsulat erhalten dürfen.

Tolu wie Yücel wirft die türkische Justiz vor, Propaganda für die kurdische Untergrundorganisation PKK zu betreiben. Eine Anklageschrift gibt es noch nicht, doch das Urteil hat Erdogan bereits gesprochen: Er nannte Yücel wiederholt einen „Spion“, „Agenten“ und „Terroristen“. Während Erdogans Kampagne für das Verfassungsreferendum wurde der Journalist ein wohlfeiles Instrument. „Du beherbergst Tausende von PKK-Mitgliedern“, blaffte Erdogan die deutsche Kanzlerin in einem Interview mit einem seiner regierungsfreundlichen Sender an. „Ich gebe dir 4500 Fälle und du untersuchst sie, aber du lieferst sie nicht aus. Aber dann kommst du und verlangst einen Agenten-Terroristen von mir.“

Yücel ist zu Erdogans Faustpfand geworden, wie er seinen Wählern weismachen will: Yücel im Austausch für die PKK-Sympathisanten in deutschen Städten; Yücel für die türkischen Diplomaten und Offiziere, die als angebliche Gülen-Anhänger Asyl in Deutschland beantragt haben. In der türkischen Öffentlichkeit aber wird von Yücel wenig Aufhebens gemacht. Zu viele andere Journalisten sitzen ebenfalls in Haft.

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