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Hongkonger demonstrieren mit einem abgeklebten Auge gegen Polizeigewalt. Am Vortag hatte eine Demonstrantin die Sehkraft auf einem Auge verloren.

© REUTERS/Thomas Peter

Demonstrationen in Hongkong: Wird Peking die Armee einsetzen?

Die Situation in Hongkong eskaliert: Wie groß ist die Gefahr, dass Peking den Aufstand von der Armee niederschlagen lässt? Die wichtigsten Antworten.

Am Montag hat sich die Lage in Hongkong erneut verschärft. Ein chinesischer Regierungsvertreter bezeichnete die Demonstrationen in Hongkong als „Zeichen von Terrorismus“ und drohte „gewalttätige Taten mit der eisernen Faust niederzuschlagen“. Seine Worte verstärken die Befürchtungen vor einem Einsatz des chinesischen Militärs in der chinesischen Sonderverwaltungszone. Zugleich musste erstmals wegen Proteste der Demonstranten der Hongkonger Flughafen geschlossen werden.

Warum besetzten die Demonstranten den Flughafen?

Am Montag demonstrierten mehr als 5000 Hongkonger im Flughafengebäude auf der Insel Lantau gegen die Polizeigewalt der vergangenen Tage. Einige hielten Schilder in die Höhe: „Die Hongkonger Polizei versucht uns zu töten.“ Andere spielten auf mobilen Geräten öffentlich Videos ab, in denen Polizisten Demonstranten zu Boden drücken oder aus nächster Nähe mit Tränengas auf sie schießen. Viele hatten sich selber ein Auge abgeklebt, weil bekannt geworden ist, dass eine Demonstrantin am Vortag ein Auge verloren hatte. Die Demonstranten machen eine Gummi- oder Tränengasgeschoss der Polizei dafür verantwortlich. Ein Vertreter der Polizei sagte, es könne auch eine Metallkugel der Demonstranten gewesen sein.

Weil die Demonstranten erstmals den Abflugbereich lahmlegten, musste der Flughafen ab 15.30 Ortszeit geschlossen werden. Ab Dienstag 6 Uhr sollte der Flugbetrieb wieder vollständig aufgenommen werden. Nachdem die Polizei einen weiteren Tränengaseinsatz angedroht hatte, verließ gegen Abend ein Großteil der Demonstranten das Flughafengebäude.

Setzt China jetzt die Volksbefreiungsarmee in Hongkong ein?

Der Konflikt ist gegenwärtig so verfahren, dass eine friedliche Verhandlungslösung in weiter Ferne scheint. Zumal die Forderungen auch einen Rücktritt der Hongkonger Regierung und demokratische Wahlen beinhaltet, was China kaum zulassen wird. Hongkongs Regierungschefin Carrie Lam wirkte zuletzt auch nicht mehr handlungsfähig, die Entscheidungen, so scheint es, werden in Peking gefällt.

Und dort hat sich die Rhetorik weiter verschärft. Das „Terroristen“-Label hatten in China zuletzt nur Minderheiten wie die Uiguren erhalten. Han-chinesischer Terrorismus ist ein neuer Vorwurf. Seit einigen Tagen zeigen staatlich kontrollierte chinesische Medien wie die „Global Times“ Bilder von Polizei- und Militärübungen zur Kontrolle von gewalttätigen Protesten im benachbarten Shenzhen. Die Bilder dürfen den Zweck haben, die Hongkonger Demonstranten einzuschüchtern. Was bislang allerdings nicht gelungen ist.

Was spricht gegen einen militärischen Einsatz?

„Tiananmen 2.0“, also eine Wiederholung des Massakers an der Demokratiebewegung in Peking 1989, wäre ein Desaster für China, das in den vergangenen 30 Jahren zu einer wirtschaftlichen und politischen Supermacht aufgestiegen ist. Im eigenen Land versucht die Kommunistische Partei mit Hilfe der Zensur die Kenntnisse über die Ereignisse von 1989 so gering wie möglich zu halten. Zugleich präsentiert sich das Land auch als Softpower, etwa im kulturellen oder sportlichen Bereich. Ein erneuter Einsatz der Volksbefreiungsarmee gegen das eigene Volk würde viele Bemühungen der vergangenen 30 Jahre wieder zunichte machen. Es würde der Welt vor Augen führen, dass die Legitimation der KP auf den Gewehren der Volkbefreiungsarmee beruht.

Die Situation in Hongkong ist auch besonders schwierig für Chinas Staatspräsidenten Xi Jinping, der mit dem Handelskrieg mit den USA bereits einen Konflikt mit großen wirtschaftlichen Konsequenzen ausfechten muss. Eigentlich will er auch im Oktober 70 Jahre Volksrepublik feierlich begehen. Ein Militäreinsatz würde das Ereignis überschatten. Und er wäre der Beweis, dass das Prinzip „ein Land, zwei Systeme“ in Hongkong gescheitert ist.

Wie empfinden Hongkongs Bewohner die Krise in ihrer Stadt?

Die chinesische Galeristin Katherine, die seit fünf Jahren in der Stadt lebt, bezeichnet die letzte Woche als „sehr intensiv“. Sie rechnet es den Demonstranten hoch an, dass das Leben im Alltag keinesfalls von den Protesten gestört wurde. „Die Kommunikation darüber, wo die Proteste stattfinden, sind so gut, dass ich nie Angst hatte“, sagt die Mutter, „dennoch hören wir ständig Schussgeräusche und dabei wohnen wir in einem guten Viertel von Hongkong“. Beide Seiten, Demonstranten und Polizei seien ziemlich weit auseinandergedriftet. „Die Polizei möchte sicherlich nicht Gewalt einsetzen und die Protestanten auch nicht, aber je häufiger es zu solchen Auseinandersetzungen kommt, desto weniger glauben die Menschen in Hongkong daran, dass ihre Stimme etwas zählt.“ Die Angst nehme auch zu, sagt Katherine. Zuletzt erteilten Menschen in weißen T-Shirts, die den pekingfreundlichen Schlägertrupps zugeordnet werden, in der Nähe des Schulhofs ihrer Tochter Anweisungen.

Ein europäischer Angestellter, der seit 13 Jahren in Hongkong lebt und seinen Namen nicht veröffentlicht haben will, ist etwas vorsichtig. „Jede Revolution wird den Ausländern in die Schuhe geschoben“, sagt er, „es heißt dann immer, die haben das angefangen, um Chaos ins Land zu bringen“. Doch eigentlich gehe der Alltag in Hongkong seinen üblichen Gang. Selbst die Schließung des Flughafens am Montag empfindet er nicht als ein besonderes Ereignis. Der Angestellte sagt: „Das ist eher normal, das passiert zwei oder dreimal im Jahr, wenn es Taifunwarnungen gibt."

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