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Demonstranten in Sao Paulo tragen ein Transparent mit dem Konterfei des brasilianischen Präsidenten Bolsonaro in der Gestalt eines Teufels.

© Paulo Lopes/ZUMA Wire/dpa

Demonstrationen gegen Jair Bolsonaro: 500.000 Tote und ein Korruptionsskandal

In Brasilien gehen Zehntausende gegen die Politik von Präsident Bolsonaro auf die Straße. Es geht um Missachtung der Corona-Regeln und die Vakzin-Beschaffung.

Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro gerät wegen des eklatanten Missmanagements der Corona-Pandemie sowie Korruptionsvorwürfen zunehmend unter Druck. Am Wochenende gingen in allen Großstädten des Landes mehrere Zehntausend Menschen auf die Straßen, um seinen Rücktritt zu fordern. In manchen Orten zeigten die Demonstranten Fotos ihrer Angehörigen, die an Covid-19 gestorben sind.

In Rio de Janeiro hielten viele selbstgemachte Schilder hoch. „Masken Ja, Bolsonaro Nein!“, stand auf einem.

Es waren bereits die dritten Massenproteste gegen Bolsonaro seit Ende Mai. Viele der linksgerichteten Demonstranten schwenkten die brasilianische Fahne, die sonst eher auf Kundgebungen von Bolsonaro-Anhängern zu sehen ist. Das Nationalsymbol dürfe nicht den Rechten überlassen werden, sagte die Studentin Barbara Guimaraes. „Es gehört uns allen.“

Korruption bei Impfstoffen

Der unmittelbare Auslöser für die Proteste, die ursprünglich erst Ende Juli stattfinden sollten, sind Korruptionsvorwürfe im Zusammenhang mit der Beschaffung von Covid-19-Impfstoffen. Bereits seit einigen Wochen beschäftigt sich ein Untersuchungsausschuss des Senats mit den Verfehlungen der Regierung während der Corona-Pandemie.

Brasilien verzeichnet fast über 520.000 Tote und hat die weltweit siebthöchste Covid-19-Todesrate. Viele Brasilianer machen dafür Bolsonaro verantwortlich, der das Virus bis heute verharmlost und die Bürger zur Missachtung der Corona-Regeln aufruft.

Bis vergangene Woche noch war der größte Aufreger im Ausschuss die Enthüllung, dass die Regierung zahlreiche frühzeitige Angebote zum Kauf mehrerer Millionen Impfdosen ignoriert hatte – und stattdessen auf das von Bolsonaro beworbene Anti-Malaria Mittel Chloroquin setzte, das gegen Covid-19 unwirksam ist.

Dann aber erschien der Abgeordnete Luis Miranda auf der Bildfläche, dessen Bruder Luis Ricardo im Gesundheitsministerium auch für die Beschaffung von Impfstoffen zuständig ist. Was er enthüllte, hatte es in sich: Eine Clique innerhalb des Gesundheitsressorts soll geplant haben, den indischen Impfstoff Covaxin über die dubiose Vermittlerfirma Madison Biotech mit Sitz in Singapur zu importieren.

Die Vermittlerfirma sollte dabei 45 Millionen Dollar allein als Vorauszahlung für ihre Dienste kassieren, was den Verdacht weckt, dass ein Teil des Geldes zurück in die Taschen der an dem Deal Beteiligten in Brasília fließen sollte.

Amtsenthebungsprozess möglich

Luis Miranda berichtete, dass er wegen der Vorgänge, die er von seinem Bruder erfuhr, Präsident Bolsonaro aufgesucht habe. Dieser habe versprochen, die Bundespolizei auf den Fall anzusetzen. Aber dann sei nichts geschehen, was viele Beobachter vermuten lässt, dass Bolsonaro prominente Figuren schützen wollte, etwa seinen offenbar in die Affäre verwickelten Regierungsführer im Abgeordnetenhaus.

Luis Miranda berichtete den perplexen Senatoren, dass der Präsident ihm wörtlich gesagt habe: „Du weißt auch, dass die Kacke am Dampfen ist, wenn ich mich da einmische.“

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Wegen der Aussage Mirandas hat nun der Oberste Gerichtshof Ermittlungen gegen Bolsonaro wegen Pflichtverletzung autorisiert. Sie könnten theoretisch zu einem Amtsenthebungsprozess führen, doch es ist eher unwahrscheinlich, dass es dazu kommt.

Zwar hat eine breite Koalition aus Politikern von links bis rechts einen „Superimpeachment“-Antrag gegen den Präsidenten eingereicht, aber der mit Bolsonaro verbündete Parlamentspräsident Arthur Lira hat klargemacht, dass er ihn nicht auf die Tagesordnung setzen wird. Voraussetzung für die Eröffnung eines Verfahrens wäre zudem eine Anklageerhebung durch den Generalstaatsanwalt Augusto Aras, einen Bolsonaro-Verbündeten.

„Aufpreis“ bei Astrazeneca

Mit der Aussage Mirandas war die turbulente Woche in Brasilía jedoch nicht vorüber. Nur wenig später sprach im Untersuchungsausschuss der Polizist Luiz Paulo Dominguetti, der auch als Vertreter der Vermittlerfirma Davati Medical Supply arbeitet. Er berichtete, dass einer der Direktoren im Gesundheitsministerium ihn gefragt habe, ob er den Impfstoff von Astrazeneca mit einem „Aufpreis“ von einem Dollar pro Dosis an das Ministerium liefern könnte – den Aufpreis hätten sich dann offenbar der Beamte sowie die Vermittlerfirma teilen sollen.

Das Schema ist klar: Anstatt direkt bei den Impfstoffproduzenten einzukaufen, sollten Vermittlerfirmen dazwischengeschaltet werden, die überhöhte Rechnungen stellen.

Für Bolsonaros Gegner ist der Fall zum Symbol für das ihrer Ansicht nach kriminelle Handeln des Präsidenten in der Pandemie geworden. „Jetzt wissen wir, was der Regierung unser Leben Wert ist: 1 Dollar“, hieß es am Wochenende auf Demonstrationsplakaten.

An manchen der abgebildeten Dollarscheine klebte blutrote Farbe. Präsident Bolsonaro, einst angetreten, um die Korruption in Brasilien zu bekämpfen, verteidigt sich unterdessen mit dem Argument, dass er nicht alles wissen könne, was in den Ministerien vor sich gehe.

Die nächste Präsidentschaftswahl soll kommendes Jahr stattfinden. In Umfragen liegt Bolsonaro derzeit hinter seinem linksgerichteten Herausforderer, dem Ex-Präsidenten Luiz Inácio Lula da Silva.

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