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Demonstration gegen Freiheitsbeschränkungen im Zuge der Coronakrise in Köln.

© imago images/Ralph Peters

Demonstrationen gegen Corona-Maßnahmen: Die Verschwörungstheoretiker sind eine Minderheit – aber man muss sich ihnen stellen

Ignorieren wäre der falsche Weg. Schweigen hilft nicht. Sondern informieren, diskutieren, erklären. Immer wieder. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Frank Jansen

Sie sind aggressiv, sie wirken irre, und haben dennoch Zulauf. Verschwörungstheoretiker steuern zur Coronakrise bizarre Fake-News, Gerüchte und Untergangsfantasien bei, die Zahl der Teilnehmer bei den Kundgebungen gegen Lockdown, Maskenpflicht und weitere staatliche Schutzmaßnahmen wächst bundesweit. 

Nicht alle Protestierer sind Staatsgegner, doch das Spektrum fanatischer Impffeinde und anderer dubioser Gruppierungen wie „Widerstand 2020“ findet offenbar Gehör, im Internet wie auf der Straße.

[Alle aktuellen Entwicklungen in Folge der Coronavirus-Pandemie finden Sie hier in unserem Newsblog  Über die Entwicklungen speziell in Berlin halten wir Sie an dieser Stelle auf dem Laufenden.]

In Stuttgart kamen am Wochenende Tausende zusammen, in Berlin wiederholen sich Woche für Woche die „Hygiene“-Demonstrationen.

Auch in weiteren Städten protestieren Menschen – und nehmen in Kauf, sich angesichts viel zu geringer Abstände mit dem Coronavirus zu infizieren. Politik und Sicherheitsbehörden sind besorgt. Kippt jetzt die Stimmung im Land? 

Das Risiko, dass die Stimmung im Land kippt, muss beherrscht werden

Das Risiko ist nicht auszuschließen, sollte aber zu beherrschen sein. Auch wenn Corona-Leugner, radikale Impfgegner, Reichsbürger, rechte und linke Extremisten und andere Wirrköpfe viel Aufmerksamkeit bekommen, scheint die große Mehrheit der Bevölkerung keineswegs das Vertrauen in Regierungen und Virologen zu verlieren. 

Vergangene Woche äußerten sich bei der Deutschlandtrend-Umfrage mehr als 65 Prozent zufrieden oder sogar sehr zufrieden mit dem Krisenmanagement der Bundesregierung. Obwohl die bisweilen hektische Debatten um Lockerungen des Lockdowns viele Menschen irritiert. 

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Doch in der Sonntagsfrage zum Wahlverhalten kommen CDU und CSU auf Werte bis zu 40 Prozent. Die große Koalition hätte trotz der anhaltenden Schwäche der SPD einen satten Vorsprung auf die Opposition. Dennoch dürfen die Warnzeichen nicht ignoriert oder kleingeredet werden.  

SPD-Chefin Saskia Esken hat recht, wenn sie mit Blick auf die Corona-Leugner mahnt, „hier müssen wir gegenhalten und uns als streitbare Demokraten erweisen“. 

Auch in den Sicherheitsbehörden wird gewarnt, Extremisten könnten mit ihren Parolen weiter in die Mitte der Gesellschaft vordringen und bei Normalbürgern einen Radikalisierungsschub bewirken. Wie das abläuft, hat die Republik erst vor wenigen Jahren erlebt. 

Auch in der Flüchtlingskrise mutierten Familienväter zu Wutbürgern

In der so genannten Flüchtlingskrise dominierten zuerst die Bilder der Willkommenskultur, dann nahmen die hässlichen Szenen zu. Nicht nur Neonazis attackierten Unterkünfte von Asylbewerbern, auch biedere Familienväter mutierten zu militanten Wutbürgern.

Das Bundeskriminalamt stellte bei vielen rassistischen Anschlägen fest, dass die Täter keinerlei extremistischen Vorlauf hatten. Auch die bundesweiten Wahlerfolge der AfD zeugten davon, dass in Teilen der Bevölkerung die Stimmung gekippt war.

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Und dieses Fundament von Hass und Hetze, von rassistischen Ressentiments und der Verachtung für den Staat und die vermeintliche „Lügenpresse“, ist weiter vorhanden. 

Die potenzielle Basis der Corona-Leugner ist nicht so klein, wie es zu wünschen wäre. Außerdem nähern sich jetzt offenbar auch Linksextremisten in ihrem Hass auf den Staat den rechten Verächtern des „Systems“ an. 

Die Verschwörungstheorien müssen entschlossen demontiert werden - ignorieren wäre gefährlich

Eine gefährliche Melange. Auch Gewalt ist nicht auszuschließen. Mutmaßlich linke Extremisten haben im April in Berlin einen Brandanschlag auf Stromkabel nahe dem Fraunhofer Institut für Nachrichtentechnik verübt, um gegen die Entwicklung der Corona-App und eine angebliche drohende Massenüberwachung wie in China zu protestieren. Solche Dystopien verbreiten sich über ideologische Grenzen hinweg. 

Tausende Menschen demonstrierten auf dem Cannstatter Wasen in Stuttgart gegen die derzeitigen Beschränkungen der Grundrechte.
Tausende Menschen demonstrierten auf dem Cannstatter Wasen in Stuttgart gegen die derzeitigen Beschränkungen der Grundrechte.

© imago images/7aktuell

Gleichwohl sollten die Kritiker der staatlichen Corona-Maßnahmen keineswegs pauschal kriminalisiert und als verrückt abgestempelt werden. Die Emotionalisierung würde noch geschürt.

Notwendig erscheint vielmehr, dass eine Allianz der Vernünftigen aus Staat, Politik und Zivilgesellschaft entschlossen und sachlich die Verschwörungstheorien demontiert. 

Im Internet, auf der Straße, wo immer es notwendig erscheint. Da muss man sich auch mit kruden Thesen auseinandersetzen, anstatt sie vornehm zu beschweigen. Dass ein Bill Gates keineswegs plant, die Menschheit mit Zwangsimpfungen zu versklaven, sollte und kann verständlich erklärt werden. Jede Seele, die an die Fanatiker verloren geht, ist eine zu viel.

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