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Mehrere Tausend Demonstranten protestieren in Hannover gegen das umstrittene transatlantische Freihandelsabkommen TTIP.

© dpa/Hauke-Christian Dittrich

Update

Demonstration gegen Freihandelsabkommen: Zehntausende TTIP-Gegner ziehen durch Hannover

Zehntausende demonstrieren gegen das Freihandelsabkommen. Am Sonntag reist US-Präsident Obama an, um für TTIP zu werben.

Eigentlich hatte Niedersachsens grüner Agrarminister Christian Meyer ein Chlorhähnchen oder ein Hormonschnitzel als Protestgeschenk der TTIP-Gegner erwartet. Doch Martin Schulz, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft, überreichte dem verdutzten Ressortchef ein Paar schmutzige Gummistiefel. „Das ist das Symbol für die 3500 Milchbetriebe in Deutschland, die im vergangenen Jahr aufgeben mussten“, erklärte der Landwirt aus dem Wendland. Durch das geplante Freihandelsabkommen TTIP mit den USA und seine bereits unterschriftsreife Kanadaschwester CETA werde alles noch viel schlimmer. „Unser Milchmarkt schlittert dann in die Katastrophe.“
Mit mehreren Dutzend Kollegen und 30 Traktoren war Schulz am Samstag, einen Tag vor dem Besuch von US-Präsident Barack Obama in Hannover, als Vorhut des großen Demonstrationszuges vor das Ministerium gezogen, um der rot-grünen Landesregierung das Versprechen eines Vetos gegen die transatlantischen Verträge abzuringen. „TTIP und Gentechnik, bleibt uns vom Acker“, stand auf einem der Treckerplakate. Beim Hausherrn rannten die Bauern damit offene Ohren ein. „Die Abkommen sind eine ganz große Gefahr für die Landwirtschaft in Europa“, sagte Meyer und warnte vor Preisverfall, Klonfleisch und genmanipuliertem Futter. Die Länder mit grüner Regierungsbeteiligung würden im Bundesrat undurchsichtigen Schiedsgerichten, Sonderklagerechten für internationale Konzerne und einem Abbau des Verbraucherschutzes ihre Zustimmung verweigern, betonte der Minister.

Auf dem Opernplatz mitten in der City kam es zum Eklat

Zwei Stunden später und ein paar hundert Meter weiter wurden daran aber Zweifel laut. Auf dem Opernplatz mitten in der City kam es zum Eklat, als Linken-Vizechef Tobias Pflüger auf offener Bühne der Grünen-Vorsitzenden Simone Peter ein doppeltes Spiel vorwarf. Baden-Württembergs grüner Ministerpräsident Winfried Kretschmann habe sich ja bereits für die Freihandelsabkommen ausgesprochen. „Wir haben eine klare Beschlusslage gegen CETA und TTIP“, konterte Peter, ohne jedoch auf den Stuttgarter Regierungschef einzugehen. Noch heftiger erwischte es den SPD-Bundestagsabgeordneten Matthias Miersch aus Hannover, der sich mit seiner Bitte um Vertrauen Pfiffe und Buhrufe einhandelte. Sein Parteichef und Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel will am Montag auf der Hannover-Messe gemeinsam mit US-Handelsministerin Penny Pritzker offensiv Werbung für die Abkommen unter dem Motto „TTIP – große Chance für kleine Unternehmen“ betreiben.

Die Polizei spricht von 35.000, die Veranstalter von 90.000 Teilnehmern

Jubel lösten dagegen die Kletterer von Greenpeace aus, die vom Hochhaus des DGB ein Banner mit Obamas Porträt und seinem etwas erweiterten Slogan abrollten: „Yes we can stop TTIP!“ Auf 90.000 Teilnehmer jeden Alters war der kilometerlange Zug da nach Angaben der Veranstalter angewachsen, die Polizei sprach von 35.000. Mehr als 130 Umwelt- und Kirchengruppen, Verbraucher- und Wohlfahrtorganisationen sowie Gewerkschaften und Parteien hatten zu der bunten – und laut Polizei auch friedlichen – Aktion aufgerufen. „Unser Protest stört eure Aufführung“, meinte Hanni Gramann vom globalisierungskritischen Netzwerk Attac mit Blick auf die Messe.
US-Präsident Obama wird am Sonntag in Hannover erwartet. Obama und Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) wollen die Industrieschau am Sonntagabend feierlich eröffnen. Bei einem bilateralen Treffen vorher im Schloss Herrenhausen soll TTIP eine zentrale Rolle einnehmen. Obama und Merkel warben kurz vor ihrem Treffen noch mal für TTIP. „Einer der besten Wege, das Wachstum zu fördern und Arbeitsplätze zu schaffen, ist die transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft“, sagte Obama der „Bild“. Merkel erklärte in ihrer wöchentlichen Videobotschaft mit Blick auf Gegner des Freihandelsabkommens, die Chancen seien wesentlich größer als die Risiken. Sie betonte, TTIP biete die Gelegenheit, weltweite Standards zu definieren. An den Normen, auf die sich die EU und die USA einigten, werde sich der Rest der Welt orientieren. Es werde für andere Teile der Welt „sehr, sehr schwer werden, dauerhaft dahinter zurückzubleiben“.

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