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Ausschnitt aus dem Druck "Sweet Dreams, Baby" von Roy Lichtenstein.

© Roland Weihrauch/dpa

Democracy strikes back: Populisten lernen ihre Grenzen kennen

Populisten wie Johnson und Salvini haben weiter Konjunktur. Doch die jüngsten Ereignisse in London und Rom zeigen: die Demokratie ist wehrhaft. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Albrecht Meier

Es ist beruhigend, dass Parlamente den Populisten einen Riegel vorschieben können, wenn es darauf ankommt. Eine Lektion in Sachen Demokratie bekommen derzeit zwei Männer erteilt, an deren Getöse man sich als Europäer trotz dauernder Wiederholung niemals gewöhnen sollte: Boris Johnson und Matteo Salvini. Der britische Premier und Italiens scheidender Innenminister haben sich bis auf Weiteres verzockt.

Sie haben versucht, die aus ihren Ämtern erwachsenen Möglichkeiten für ihre Zwecke zu missbrauchen. Aber ihr Durchmarsch, zu dem sie angeblich im Namen des Volkes angetreten sind, stößt auf den Widerstand parlamentarischer Mehrheiten.

In Großbritannien ist Boris Johnson mit dem Versuch gescheitert, das Parlament in eine Zwangspause zu schicken und damit mundtot zu machen und einen No-Deal-Brexit im Alleingang umzusetzen. Stattdessen bahnt sich auf der Insel im Ringen um den Brexit eine Lösung an, die Johnson nur halb zufriedenstellen kann: Es könnte demnächst Neuwahlen geben.

In Italien ist der Machtpoker zwischen der rechtspopulistischen Lega und den übrigen Parteien hingegen erst einmal entschieden. Salvini ließ die Koalition in Rom platzen, weil er glaubte, auf diese Weise den Weg zu Neuwahlen zu ebnen. Statt dessen hat sich der Lega-Vorsitzende selbst in Aus manövriert. In Italien formiert sich nun eine unerwartete Allianz aus den Sternen und den Sozialdemokraten.

Die Entzauberung bei den Wählern lässt noch auf sich warten

Für eine weiter gehendere Antwort auf die Frage, ob das Pendel des Populismus in Europa wieder zurückschwingt, ist es allerdings zu früh. Auch wenn Volkstribune wie Johnson und Salvini im parlamentarischen System ihre Grenzen aufgezeigt bekommen, müssen sie noch nicht zwangsläufig bei ihren Wählern entzaubert sein.

Der britische Premier Boris Johnson am Mittwoch im Unterhaus.
Der britische Premier Boris Johnson am Mittwoch im Unterhaus.

© AFP

Bei der Europawahl im Mai bekam keine Partei in Italien mehr Stimmen als die Lega. Und in Großbritannien lag damals eine Partei vorn, die den Bruch mit der EU mindestens so radikal vollziehen will wie die Hardliner um Boris Johnson – die Brexit-Partei von Nigel Farage.

Dass die Sprüche von selbsternannten Anti-System-Politikern wie Johnson nach wie vor verfangen, hat viele Gründe – bis hin zur allgemeinen Genervtheit zahlreicher Briten, die endlich ein Ende der inzwischen seit über drei Jahre andauernden Brexit-Saga sehen wollen. Eine nicht zu unterschätzende Rolle spielen allerdings auch soziale Medien in Großbritannien, die das Ringen um den Brexit auf absurde Weise zuspitzen.

Dort wird den Lesern gelegentlich der Eindruck vermittelt, als gäbe es lediglich eine Wahl zwischen einem EU-Ausstieg auf Biegen und Brechen und einem Verbleib in der Europäischen Union. Moderate Stimmen, die für ein Ausscheiden aus der EU und eine anschließende enge wirtschaftliche Anbindung an die europäische Zollunion plädieren, haben es in diesem irrwitzigen öffentlichen Ideenwettbewerb schwer.

Wie soll eine Lösung bis Ende Januar gefunden werden?

Allerdings hat Johnson in einem Punkt auch Recht: Er hält einen weiteren Aufschub beim Brexit für sinnlos. Zwar unterschlägt er dabei, dass die Abwendung eines katastrophalen No-Deal-Szenarios am 31. Oktober alles andere als sinnlos wäre.

Aber dennoch stellt sich die Frage: Wie soll es der britischen Politik im Rahmen einer neuen Frist bis Ende Januar gelingen, die gegenseitige Blockade zwischen Vertretern der „Leave“- und der „Remain“-Fraktion zu überwinden? Dass Neuwahlen etwas an der andauernden Selbstlähmung des Unterhauses ändern, ist denkbar, aber keine Zwangsläufigkeit.

Inzwischen sind nicht nur viele Briten, sondern auch zahlreiche Menschen auf dem Kontinent angesichts des Brexit-Gezerres müde geworden. Wer allerdings glaubt, dass man den Brexit-Hardlinern doch nachgeben und auf die Garantieklausel für Nordirland verzichten sollte, täuscht sich. Die Klausel sichert nicht nur den Frieden im Norden der irischen Insel, sondern sie schützt auch den europäischen Binnenmarkt.

Es bleibt dabei: Der Ball liegt in London. Es kommt auf die Briten an, ob sich die Vernunft durchsetzt – oder ein gefährlicher Verführer wie Boris Johnson.

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