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Beim großen öffentlichen Gelöbnis von Bundeswehrsoldaten vor dem Reichstagsgebäude.

© Michael Kappeler,dpa

Debatte ums Öffentliche Gelöbnis: Sicherheit muss auch sichtbar sein

Die Debatte über deutsche Sicherheitspolitik kommt seit Jahren zu kurz. Anders als die Kanzlerin forciert Kramp-Karrenbauer sie – aus gutem Grund. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Christoph von Marschall

Die Verteidigungsministerin lässt nicht locker. Alle paar Tage drängt sie die Gesellschaft mit neuen Vorstößen, die Sicherheitspolitik ernster zu nehmen: Schutzzone in Nordsyrien; gemeinsame Seepatrouillen der Europäer bis vor Chinas Küste, denn freie Handelswege sind die Erfolgsbasis Deutschlands; Steigerung des Wehretats auf zwei Prozent des BIP bis 2031. Und am Dienstag, zum 64. Geburtstag der Bundeswehr, sechs öffentliche Gelöbnisse auf zentralen Plätzen in Berlin, Freyburg, Mainz, Plön, Rotenburg und Stralsund.

Woher rührt der Impuls und wohin weist er, zurück oder nach vorn? Ist dies Teil einer konservativen Wende in der CDU, mit der Annegret Kramp-Karrenbauer sich von Angela Merkel absetzen und Profil gewinnen möchte? Merkel hatte sich nie sonderlich für die Bundeswehr interessiert. Sie steht für deren jahrelange Vernachlässigung.

Als Russlands Angriff auf die Ukraine 2014 die Neuorientierung erzwang, hat Merkel die Wende zu höheren Verteidigungsausgaben ganz leise eingeleitet, um keinen Streit mit dem Koalitionspartner SPD zu riskieren und keine Unruhe unter den Wählern. Die haben einerseits ein hohes Sicherheitsbedürfnis und sich andererseits an die Illusion gewöhnt, am sichersten sei Deutschland, wenn man über Bedrohungen nicht spreche.

Kramp-Karrenbauers Vorstöße haben vor allem ein Ziel: den Raum für Debatten zu erweitern. Die Entsendung deutscher Soldaten nach Syrien steht nicht an; und falls bald eine deutsche Fregatte vor China kreuzt, dann nur, weil die EU-Mission „Sophia“ zur Seenotrettung im Mittelmeer gerade ruht und die Bundesmarine unerwartet ein Schiff frei hat.

Generell verwaltet sie den Mangel wie die übrige Bundeswehr. Von einem verlässlichen Beitrag zum Schutz der internationalen Ordnung, der dem wirtschaftlichen Gewicht und den sicherheitspolitischen Interessen Deutschland und der EU entspricht, sind beide meilenweit entfernt.

Das gehört zu den Nachwirkungen des Mauerfalls. Nach 1989 wuchs die Hoffnung auf ewigen Frieden. Selbst die Balkankriege in den 1990er Jahren erschütterten die Haltung nicht. 1999 störten Pazifistinnen mit nackten Brüsten Gelöbnisse; viele fanden das witzig.

Deutschland kann sich nicht mehr auf die Weltordnung verlassen

Inzwischen spüren die Deutschen, dass die Ordnung, die Sicherheit verhieß, bröckelt: 9/11 und der islamistische Fundamentalismus; Kriege im Mittleren Osten und Flüchtlingsströme. Russlands Angriff auf die Ukraine und seine Besatzung in Georgien und Moldawien; Abrüstungsverträge enden, weil China offensiver auftritt und die Obergrenzen, die Russland und die USA vereinbart hatten, für sich nicht akzeptiert. Das Nato-Mitglied Türkei wird zum Sicherheitsrisiko. Donald Trump erst recht. Ist auf die Beistandsgarantie noch Verlass, wenn er wiedergewählt wird? Cyberangriffe nehmen zu.

So war das Gelöbnis vor dem Reichstag hochsymbolisch. Das Parlament hat doppelte Verantwortung. Es muss den Einsatz der Bundeswehr genehmigen. Deshalb muss es sich aber auch öffentlich zu ihr bekennen und sie gut ausrüsten. Diese Debatte kommt seit Jahren zu kurz, im Bundestag und in den Wahlkreisen, im Gespräch mit Bürgerinnen und Bürgern. Was sind die Bedrohungen, wie begegnet man ihnen, welche Rolle spielen dabei Nato und EU, was muss die Bundeswehr können, was kostet das? Kramp-Karrenbauer rückt diese Fragen in den öffentlichen Raum. Dort gehören sie hin.

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