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Ursula von der Leyen (CDU), Verteidigungsministerin verlangt deutlich mehr Geld für die Bundeswehr.

© Christophe Gateau/dpa

Debatte um Verteidigungshaushalt: Verantwortungslose Führungsschwäche

Deutschland kommt seinen verteidigungspolitischen Aufgaben nicht nach. Ein Sonderrolle akzeptieren die Verbündeten aber nicht mehr. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Christoph von Marschall

Zähneputzen ist lästig; Krebsvorsorge ist keine Freude; es macht mehr Spaß, Geld auszugeben, als es fürs Alter zu sparen. Dennoch wird allgemein akzeptiert und bringen Eltern Kindern bei, dass es vernünftig ist, die Zähne zu putzen und für Gesundheit und Alter vorzusorgen.

Heute berät das Bundeskabinett den Haushalt 2018 und die Finanzplanung. Es ist ein Bild mit Licht und Schatten. Der Schuldenabbau wird fortgesetzt, der Steuerzahlerbund kritisiert freilich die „Soziallastigkeit“ mit 52 Prozent der Ausgaben. In einem Bereich scheint die Regierung von allen guten Geistern verlassen: der Verteidigungspolitik. Bis 2021 soll die Bundeswehr nur 5,5 Milliarden Euro mehr erhalten. Gebraucht wird ein Vielfaches. Nicht irgendwann, sondern jetzt. Nicht mal die Hälfte der Militärjets und Hubschrauber fliegt; von sechs U-Booten kann keines auslaufen. Soldaten, die in den Einsatz gehen, fehlt Grundausrüstung. Die geplante Erhöhung wird daran nichts ändern. Sie reicht allenfalls für die ausgehandelten Steigerungen des Solds. Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen fordert nun zwölf statt der 5,5 Milliarden Euro Zuwachs, erntet aber Skepsis in den Medien.

Deutschland als irrationale Möchtegern-Führungsmacht

Was ist mit den Deutschen los? Das fragen Verantwortliche in anderen Hauptstädten Europas besorgt. Kann man sich auf die Deutschen verlassen? Es sei doch offensichtlich, warum Deutschland mehr tun muss. Der Exportweltmeister hat den größten Nutzen davon, dass die Transportwege sicher sind. Die vereinbarte Quote für Verteidigungsausgaben – zwei Prozent vom Bruttoinlandsprodukt – ist im historischen Vergleich bescheiden. Im Kalten Krieg war das Doppelte üblich, ohne dass die Bundesrepublik darunter gelitten hätte. Wie will Deutschland seine Zusagen an die EU-Partner erfüllen? Es ist kürzlich Pesco beigetreten, der verstärkten militärischen Zusammenarbeit, und hat eine Investitionsquote von 20 Prozent zugesagt. Wo ist das Geld dafür eingeplant? Allmählich entsteht das Bild einer irrationalen Möchtegern-Führungsmacht. In der Analyse, was nötig wäre, ist man sich einig. In der Praxis folgt – nichts.

Wo man hinschaut, wird das Umfeld bedrohlicher: Kriege im Mittleren Osten, Migrationsdruck und Terrorgefahr aus Afrika, ein aggressives Russland. Auf die USA, sagt die Kanzlerin, könne man sich nicht mehr im gewohnten Maß verlassen. Europa muss mehr tun. Was trägt sie dazu bei? Angela Merkel bekräftigt ihre Zusage, zwei Prozent des BIP für Verteidigung auszugeben – wirbt aber nicht aktiv dafür. Die Zusage an die Nato stammt von 2002 und wurde 2006 und 2014 erneuert. Der Wortbruch scheint den Deutschen nicht mal peinlich zu sein.

Die Erklärung für das verantwortungslose Verhalten ist Führungsschwäche. Die politische Klasse und ein Gutteil der Medien fühlen sich wohl mit der Ausrede, wegen der Geschichte seien die Deutschen ein Sonderfall. Mehr als 70 Jahre nach dem Krieg akzeptieren die Verbündeten das nicht mehr. Die EU-Partner, allen voran Frankreich, drängen auf eine gemeinsame europäische Verteidigung. Der Sinn wäre nicht schwerer zu erklären als Zähneputzen und Altersvorsorge. Die Kanzlerin und ihre Minister müssen es nur tun.

Christoph von Marschall ist erster Helmut-Schmidt-Fellow der ZEIT-Stiftung und des German Marshall Fund of the United States (GMFUS) und arbeitet derzeit in Washington an einer Studie über die Zukunft der Transatlantischen Beziehungen.

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