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Der deutsche Regierungschef Olaf Scholz am Samstag im Kanzleramt.

© Tobias Schwarz/AFP

Debatte um Russlands Swift-Ausschluss: Das Blatt wendet sich

Noch vor zwei Tagen hatte Olaf Scholz auf EU-Ebene gegen einen Swift-Ausschluss Russlands plädiert. Inzwischen ist der Kanzler damit weit gehend isoliert.

Es waren deutliche Forderungen, mit denen Mateusz Morawiecki am Samstag nach Berlin kam. „Nur rasche und strenge Sanktionen“ könnten ein Ende der russischen Aggression gegen die Ukraine herbeiführen, erklärte Polens Regierungschef vor einem Treffen mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD). Damit meinte Morawiecki in erster Linie einen Ausschluss Russlands vom internationalen Zahlungssystem Swift.

Am Donnerstag hatte sich Scholz beim EU-Sondergipfel in Brüssel gegen einen solchen Schritt gewandt. Zu diesem Zeitpunkt teilte noch eine Reihe weiterer Regierungschefs seinen Standpunkt. Doch nun könnte sich das Blatt zugunsten eines Swift-Ausschlusses wenden, den nicht nur der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj fordert, sondern eben auch eine Reihe von EU-Staaten wie Polen und die baltischen Länder.

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Am Samstag versuchten Morawiecki und der litauische Präsident Gitanas Nauseda den Kanzler bei dem Treffen davon zu überzeugen, bei den Sanktionen gegen Russland eine noch härtere Gangart einzuschlagen als bisher. Morawiecki sagte, er sei nach Berlin gekommen, „um an das Gewissen Deutschlands zu appellieren, damit es endlich wirklich harte Sanktionen beschließt, die die Entscheidungen des Kremls beeinflussen“.

Litauens Präsident Nauseda: Koalition für die Ukraine

Nach dem Treffen twitterte Nauseda, bei der Begegnung sei es sowohl um die finanzielle als auch die militärische Unterstützung der Ukraine gegangen. „Wir bauen eine Koalition, um die unabhängige und demokratische Ukraine zu retten“, erklärte Nauseda. Derweil demonstrierten in Litauen in der Hauptstadt Vilnius vor der deutschen Botschaft rund 100 Menschen gegen das Nein der Bundesregierung zu einem Swift-Ausschluss.

Die Verbannung Russlands aus dem internationalen Zahlungssystem gilt als die schärfste Waffe im umfangreichen Arsenal der Sanktionen, das die EU vorbereitet hat. Allerdings schreckten von den russischen Rohstoff-Importen abhängige Staaten wie Deutschland bislang davor zurück, sie einzusetzen. Der Grund: Die EU-Länder sind zur Begleichung ihrer Rechnungen für russische Importe auf Swift angewiesen. Und Russlands Präsident Wladimir Putin könnte einen Swift-Rauswurf mit einem sofortigen Stopp der Gaslieferungen beantworten.

Selbst Orbán ist für einen Swift-Ausschluss

Seit Beginn der Woche hat die EU zwei Pakete mit Russland-Sanktionen verabschiedet, die unter anderem die Refinanzierung des russischen Staates auf dem EU-Kapitalmarkt erschweren und die Luftfahrtindustrie des Landes treffen sollen. Morawiecki teilte am Samstag per Twitter mit, dass er mit dem ungarischen Regierungschef Viktor Orbán über eine mögliche weitere Verschärfung der Sanktionen gesprochen habe. Orbán habe ihm dabei seine Unterstützung für weit reichende Strafmaßnahmen gegen Russland zugesichert – einschließlich eines Ausschlusses des Landes aus dem Swift-System.

Orbán selbst erklärte am Samstag bei einem Besuch an der ungarisch-ukrainischen Grenze: „Dies ist die Zeit, um vereint zu sein, es ist ein Krieg.“ Das ist bemerkenswert, weil Orbán bis dato als der glühendste Putin-Verehrer in der EU galt. Erst Anfang Februar war Orbán nach Moskau zu einem Treffen mit dem Kremlchef gereist. Dabei trat er keineswegs im Sinne der Gemeinschaft der 27 EU-Staaten auf. Vielmehr mäkelte er bei der anschließenden Pressekonferenz an den Russland-Sanktionen der Europäischen Union herum.

Orbán ist nicht der Einzige in der EU, der unter dem Eindruck der Kriegsbilder aus Kiew mittlerweile einen Swift-Ausschluss Russlands befürwortet. Wie der ukrainische Präsident Selenskyj mitteilte, habe sich der italienische Regierungschef Mario Draghi in einem Telefonat für einen Rauswurf Russlands aus dem Swift-System ausgesprochen. Beim EU-Sondergipfel am vergangenen Donnerstag hatte Italien noch zu den Staaten gehört, die sich gegen einen solchen Schritt ausgesprochen hatten. Auch die Regierungen in Zypern und Österreich erklärten inzwischen, einer weiteren Verschärfung des Sanktionskurses zustimmen zu wollen. Über ihr weiteres Vorgehen in Sachen Swift wollen auf EU-Ebene die jeweiligen für die Energiepolitik zuständigen Minister am Montag in Brüssel beraten.

Baerbock fürchtet um Steinkohle-Importe

Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) fügte unterdessen den Gründen, die aus ihrer Sicht gegen einen Swift-Ausschluss sprechen, ein paar neue Argumente hinzu. In der ARD wies sie darauf hin, dass 50 Prozent der deutschen Steinkohle-Einfuhren aus Russland kämen. Mit Blick auf einen möglichen russischen Ausfuhr-Stopp fügte sie hinzu: „Wenn wir diese Kohle nicht haben, werden die Kohlekraftwerke in Deutschland nicht weiterlaufen können.“ Man trage aber Verantwortung dafür, dass es in Deutschland weiter eine stabile Strom- und Wärmeversorgung gebe.

Auch der Geschäftsführer des Ostausschusses der Deutschen Wirtschaft, Michael Harms, sprach sich dafür aus, die bislang von der EU auf den Weg gebrachten Strafmaßnahmen zunächst einmal wirken zu lassen. Ein Ausschluss Russlands aus dem Swift-System würde in Deutschland auch Privatpersonen und humanitäre Einrichtungen treffen, warnte Harms im Deutschlandfunk.

Harms gab zu bedenken, dass das bereits bestehende Sanktionspaket auch auf den russischen Luftverkehr abziele. Die verhängten Strafmaßnahmen führten dazu, dass Leasinggesellschaften Maschinen zurückgeben müssten. Nach Harms’ Einschätzung würde das in Kürze zur Stilllegung der Hälfte der russischen Flotte führen, und dies würden die Machthaber schnell zu spüren bekommen.

Kritik am Regierungskurs von Jusos und Julis

Dennoch nimmt auch in Deutschland der Druck auf Scholz zu, in der Debatte um Swift einzulenken. So forderte die Juso-Vorsitzende Jessica Rosenthal am Samstag, notfalls von allen zur Verfügung stehenden Sanktionen Gebrauch zu machen. „Dazu gehört auch der Ausschluss Russlands aus Swift“, sagte sie der Deutschen Presse-Agentur. Auch die Chefin der Jungen Liberalen, Franziska Brandmann, verlangte von der Regierung und insbesondere von der Mutterpartei FDP, „ihre bremsende Haltung“ aufzugeben.

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