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Die Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock kritisierte am Montag auch die Klimapolitik der Bundesregierung.

© AFP/Stefanie Loos

Debatte um Bevölkerungsschutz: Grüne und FDP fordern Reformen bei Warnsystem und Katastrophenhilfe

Während der Flutkatastrophe waren Länder und Kommunen auf sich gestellt. Jetzt werden Forderungen nach mehr Krisenkoordination durch den Bund laut.

Knapp zwei Wochen nach der Flutkatastrophe und angesichts von 180 Toten im Westen Deutschlands stellt sich in Bund und Ländern die Frage, ob der Katastrophenschutz in Deutschland zentralisiert werden und welche Rolle das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) in Zukunft spielen soll. Darüber debattierte am Montag der Innenausschuss des Bundestages in einer Sondersitzung. 

Nach Ansicht von Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) sollte der Bund auf jeden Fall nicht die Verantwortung für den Katastrophenschutz an sich ziehen. Die im Katastrophenfall notwendigen Entscheidungen müssten weiter vor Ort getroffen werden. Ein Eingreifen in die Kompetenzen von Ländern und Kommunen wäre hier der falsche Weg, sagte der CSU-Politiker am Montag im Bundestag bei der Sondersitzung des Innenausschusses.

Gleichzeitig bestätigte Seehofer, dass das BBK in Zukunft mit dem Cell-Broadcasting-System arbeiten soll, möglicherweise sogar noch in diesem Jahr. Von der Idee seien „nicht immer alle begeistert gewesen in den letzten Monaten“, bestätigte Seehofer. „Aber ich habe entschieden, dass wir es tun und machen, da gibt es überhaupt kein vernünftiges Argument dagegen.“ 

Die BBK könnte so automatisch eine Warnung als Textnachricht an alle Besitzer eines Mobiltelefons in einem gefährdeten Gebiet versenden. Eine solche Warn-SMS ergeht dann gleichzeitig von bestimmten Sendemasten aus an alle Menschen zur selben Zeit in der selben Region. Diese Technologie gibt es bereits seit den 1980er-Jahren, alle Handys können solche Nachrichten standardmäßig empfangen.

Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus forderte in der „Schwäbischen Zeitung“ am Sonntag eine grundlegende Modernisierung und Neuordnung von Verantwortlichkeiten beim Katastrophenschutz, aber auch mehr Klarheit bei der Finanzierung. Vorschläge für eine Reform des Bevölkerungsschutzes hat am Montag auch die Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock gemacht.

Grüne fordern Zentralstelle beim Bundesamt für Bevölkerungsschutz

Am Montag stellte sie in der Bundespressekonferenz einen 10-Punkte-Plan ihrer Partei dazu vor. „Das Herzstück unseres Vorschlags ist, eine Zentralstelle beim Bundesamt für Bevölkerungsschutz zu schaffen“, sagte Baerbock. 

„Wenn es Spitz auf Knopf steht, sollten nicht übernächtigte Ministerpräsidentenrunden beraten, sondern eine Zentralstelle, die auf solche Situationen vorbereitet und in länderübergreifenden Katastrophenfällen auch schnell handlungsfähig ist.“ Neben dem Einsatz von Sirenen und Warnungen über die Apps befürwortete Baerbock ebenfalls ein Cell-Broadcasting-System, das andere Nationen bereits haben.

In Ländern wie in den USA nutzen die Behörden bereits Cell Broadcasting, um die Bevölkerung zu warnen.
In Ländern wie in den USA nutzen die Behörden bereits Cell Broadcasting, um die Bevölkerung zu warnen.

© dpa

Beim Katastrophenschutz ginge es jedoch nicht nur ums Warnen vor extremen Regenfällen. „Diese Informationen, die seit Tagen bereitlagen, müssen auch transportiert werden können – und das ist derzeit rechtlich nicht möglich.“ Die Grünen schlagen daher eine Gesetzesreform vor, „damit das Bundesamt für Bevölkerungsschutz in der Lage ist, nicht nur die Rohdaten weiterzugeben, sondern auch die Warnungen an die Menschen und die zuständigen Stellen“.

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Auch Grünen-Fraktionschef Oliver Krischer kritisierte am Montag in dem Radiosender WDR 5, dass Vorhersagen zu Starkregenereignissen „nicht so übersetzt werden, dass die Behörden vor Ort sie verstehen.“ Daher müsste das BBK gestärkt und Menschen künftig unmittelbar gewarnt werden – außerdem müsse es eine geeignete Übersetzung für kommunale Krisenstäbe geben.

FDP kritisiert mangelnde Koordinierung von Hilfsangeboten

Am Montag kritisierte Baerbock auch die Klimapolitik der Bundesregierung: „Wir können uns das Klima-Wirrwarr der Union nicht weiter leisten.“ Die Union und ihr Kanzlerkandidat Armin Laschet sperrten sich Baerbock zufolge beispielsweise beim Ausbau der Windkraft, das mehr Einsparungen bei den CO2-Emissionen ermöglichen würde.

Der FDP-Bundestagsabgeordnete Manuel Höferlin hält den Föderalismus bei der Katastrophenhilfe grundsätzlich für sinnvoll.
Der FDP-Bundestagsabgeordnete Manuel Höferlin hält den Föderalismus bei der Katastrophenhilfe grundsätzlich für sinnvoll.

© Thilo Rückeis/TSP

Einen ähnlichen Vorschlag für eine Reform des Katastrophenschutzes brachte am Montag auch die FDP vor. So forderte der FDP-Bundestagsabgeordnete Manuel Höferlin im Bundestag, dass sich Bund und Länder besser koordinieren müssten. Gleichzeitig solle die föderale Zuständigkeit bei den Katastrophen erhalten bleiben. 

„Es kann nicht sein, dass alle Bundesländer Hilfe anbieten, und keine Ansprechperson vor Ort oder auf Bundesebene ist, die das koordiniert“, kritisierte Höferlin mit Blick auf die Flutkatastrophe. „Freiwillige Feuerwehren sitzen in Einsatzräumen und wissen nicht, wo sie eingeteilt werden, weil keiner weiß, wo sie gebraucht werden – das darf nicht passieren.“

Meldekette schließt Wetterdienst und Hochwasserzentralen mit ein

Länder und Kommunen müssen den Katastrophenschutz selbst koordinieren, wenn sie betroffen sind – das BBK ist nur im Verteidigungsfall zuständig. Bei Überschwemmungsgefahr funktioniert die Meldekette in Deutschland folgendermaßen: Der Deutsche Wetterdienst gibt seine Prognosen an die Hochwasserzentralen der Bundesländer weiter – diese wiederum füttern ihre Modelle mit den Wetterdaten und ziehen dabei auch die Pegelstände der Flüsse und Bäche in den verantworteten Gebieten hinzu.

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Anschließend warnen die Hochwasserzentralen die Landräte oder Bürgermeister in den betroffenen Regionen, die wiederum die örtliche Feuerwehrleitstelle informieren. Die Feuerwehr kann dann zum Beispiel mit dem Lautsprecherwagen durch die Ortschaft fahren und die Einwohner informieren, Mitteilungen über die „Nina“-Warnapp herausgeben und vorsorglich Sandsäcke aufstellen lassen. 

Vor Ort können die Behörden darüber hinaus Sirenen aktivieren. Auch der Rundfunk warnt die Bevölkerung über Radio und Fernsehen. Das Cell Broadcasting wäre eine bundesweite Ergänzung zu diesem Warnmittelmix.

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