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Der FDP-Bundesvorsitzende Christian Lindner.

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Exklusiv

Debatte über Verstaatlichung: FDP will Enteignungsartikel aus dem Grundgesetz streichen

Liberalen-Chef Christian Lindner will die Enteignung von Immobilienkonzernen in Berlin und anderswo unmöglich machen – per Verfassungsänderung.

Im Streit um das Berliner Volksbegehren zur Enteignung von Wohnungskonzernen will die FDP-Spitze dem Ansinnen per Grundgesetzänderung die juristische Grundlage entziehen. „Artikel 15 passt nicht zur sozialen Marktwirtschaft. Er ist ein Verfassungsrelikt und wurde aus gutem Grund nie angewandt“, sagte der Parteivorsitzende Christian Lindner dem Tagesspiegel: „Ihn abzuschaffen, wäre ein Beitrag zum sozialen Frieden und würde die Debatte wieder auf das Wesentliche lenken.“

Die FDP will bei ihrem Bundesparteitag in Berlin am Freitag entscheiden, eine Abschaffung des Artikels 15 Grundgesetz im Bundestag zu beantragen. Auf ihn stützt die Berliner Enteignungs-Initiative ihre Argumentation. Dieser besagt, dass „Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel zum Zwecke der Vergesellschaftung durch ein Gesetz, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt, in Gemeineigentum“ überführt werden können.

Wenn es zu einem erfolgreichen Volksentscheid kommen sollte, könnte dies den Berliner Senat verpflichten, Konzerne mit mehr als 3000 Wohnungen gegen Entschädigungen – von bis zu 36 Milliarden Euro ist die Rede – zu enteignen, damit Mieter nicht durch immer weiter steigende Mieten oder zu hohe Nebenkostenabrechnungen verdrängt werden. Das Thema hat eine enorme Dynamik entfaltet und macht auch im Ausland Schlagzeilen. Die Bundesregierung und die FDP betonen, das beste Rezept gegen Wohnungsnot und hohe Mieten laute: bauen.

Auch Bundesregierung hat Zweifel

Der Parlamentarische Geschäftsführer der FDP, Marco Buschmann, betonte: „Durch Enteignung entsteht keine einzige neue Wohnung, sondern nur Entschädigungsansprüche zulasten des Steuerzahlers.“ Deshalb solle die „Sozialisierung ganzer Betriebe und Branchen durch eine Streichung des Artikels 15 ganz vom Tisch genommen werden“. Spannend wird es, ob die FDP im Bundestag dafür Mitstreiter finden wird – für eine Grundgesetzänderung wird eine Zwei-Drittel-Mehrheit gebraucht.

Auch die Bundesregierung äußerte in einer Antwort auf eine Linken-Anfrage Zweifel an den Enteignungsplänen: „Eine Vergesellschaftung nach Artikel 15 des Grundgesetzes (GG) wäre für das Ziel, ausreichend bezahlbaren Wohnraum zu schaffen, kontraproduktiv“. Eine solche Maßnahme würde private Investoren verunsichern und zudem den finanziellen Spielraum von Kommunen für Neubauvorhaben drastisch reduzieren, betont das zuständige Bundesbauministerium. Ob Artikel 15 überhaupt juristisch anwendbar sei, will man gar nicht erst beantworten: „Diese Frage stellt sich der Bundesregierung nicht“, heißt es lapidar.

Bundesbauminister Horst Seehofer.
Bundesbauminister Horst Seehofer.

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„Eine solche Maßnahme würde zum einen private Investoren verunsichern und zum anderen den finanziellen Spielraum von Kommunen und kommunaler Wohnungsunternehmen für Neubauvorhaben drastisch reduzieren. Beides würde die erwartete Fortsetzung des positiven Trends bei der Bautätigkeit gefährden“, heißt es in dem Papier aus dem Haus von Bauminister Horst Seehofer (CSU).

Die Linksfraktion wirft Seehofer deshalb vor, sich vor einer Antwort zu drücken. „Die Bundesregierung verschließt die Augen vor einer nun schon bundesweit geführten Debatte über die Vergesellschaftung von Wohnraum in der Hand großer Immobilienkonzerne“, sagte der Linken-Abgeordnete Niema Movassat dem Tagesspiegel. „Auf ihre Rechtsauffassung hin gefragt, verweigert sie schlichtweg die Antwort. Sie verweigert damit, sich mit einer Frage auseinanderzusetzen, mit der sich ein Großteil der Bevölkerung bundesweit und insbesondere in Berlin beschäftigt und sympathisiert.“

Vor dem Hintergrund exzessiv steigender Mietpreise solle die Bundesregierung aufhören, das „Loblied der Marktwirtschaft zu singen“, sagte Movassat. „Sie muss endlich die Realität zur Kenntnis nehmen und die Miethaie in ihre Schranken weisen.“

Gysi rät zu anderem Paragrafen

Der Linken-Politiker Gregor Gysi hatte der Initiative bereits geraten, sich lieber auf Artikel 14 des Grundgesetzes zu fokussieren, weil dieser bei Enteignungen, etwa für den Bau von Autobahnen, auch häufig angewendet werde. Gysi fordert, dass der Anspruch auf eine Wohnung im Grundgesetz geregelt werden müsse. Die Bundesregierung betont dagegen, es gebe „kein subjektives Recht auf Verschaffung einer Wohnung“.

Über das Baukindergeld und mit Milliardensummen für den sozialen Wohnungsbau fördert sie den Neubau. Die Genehmigungen von Wohnungen in Mehrfamilienhäusern hätten sich seit 2008 verdreifacht, die Baufertigstellungen seien 2017 um rund 80 Prozent auf 285000 Wohnungen erhöht worden. Doch in den Großstädten steigen die Mieten weiter – und führen zu einer Renaissance sozialistischer Ideen.

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