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Will von Rassismus nichts wissen: Die wissenschaftliche Untersuchung von 'Racial Profiling' lehnt Horst Seehofer ab.

© dpa

Debatte über Rassismus in den Sicherheitsbehörden: Seehofer muss der Polizei helfen – anstatt sie zu bevormunden

Mit seinem Widerstand gegen eine Studie zum „Racial Profiling“ schadet Innenminister Horst Seehofer der Polizei mehr als ihr zu helfen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Paul Starzmann

Wer in Deutschland das R-Wort in den Mund nimmt, muss sich auf heftige Gegenwehr gefasst machen. Rassismus offen anzusprechen und auf Diskriminierung hinzuweisen – das lässt einen schnell als eine Art Nestbeschmutzer dastehen.

Sofort greifen die üblichen Reflexe und Rechtfertigungen: Der Rassismus-Vorwurf sei absurd, man sei doch kein Nazi und habe sogar einen „Ausländer“ als Freund! Rassismus in Deutschland wird auch im Jahr 2020 oft relativiert, ignoriert und abgestritten.

Zu den Hauptleugnern zählt auch Bundesinnenminister Horst Seehofer.

Partout weigert sich der CSU-Politiker, auch nur in Erwägung zu ziehen, dass es in den Reihen der Polizei strukturellen Rassismus geben könnte – so wie im Rest der Gesellschaft auch. Einer von der Bundesregierung geplanten Studie zur Polizeipraxis des „Racial Profiling“ – also verdachtsunabhängigen Personenkontrollen, denen sich Schwarze und Menschen mit Migrationsgeschichte häufig ausgesetzt sehen – hat Seehofer am Wochenende eine Absage erteilt.

Die Begründung: Da „Racial Profiling“ verboten sei, gebe es das im Polizeialltag nicht. Was nicht sein darf, das nicht sein kann. Fall abgeschlossen.

Die Polizei hat Nachholbedarf in Sachen Rassismus

Interessanterweise sieht Justizministerin Christine Lambrecht das anders und besteht auf der Studie. Seehofer dagegen will wohl der Polizei einen Gefallen tun. Doch in Wirklichkeit tut er das Gegenteil. Denn der Minister lässt die Polizisten in der aktuellen Rassismus-Debatte völlig allein. Und Hilfe, die könnten die Sicherheitsbehörden gerade gut gebrauchen.

Denn in den Reihen der Polizei scheint es – so wie in anderen Teilen der Gesellschaft auch – großen Nachholbedarf zu geben, wenn es um die Sensibilisierung für das Thema Rassismus geht. Das zeigen die Äußerungen von Berufsvertretern der vergangenen Tage.

So verwechselt Berlins Polizeipräsidentin Barbara Slowik offenbar Rassismus mit Rechtsextremismus.

Als sie vom „Spiegel“ nach dem „latenten Rassismus“ in den eigenen Reihen gefragt wurde, antwortete sie: „Ich habe keinen Anlass, von rechtsextremen Strukturen auszugehen, die einen Generalverdacht gegen die Polizei rechtfertigten.“ Weiß sie nicht, dass nicht jeder Rassist ein Nazi ist, aber jeder Nazi ein Rassist?

Die Juristin Barbara Slowik ist seit 2018 Polizeipräsidentin von Berlin.
Die Juristin Barbara Slowik ist seit 2018 Polizeipräsidentin von Berlin.

© dpa

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Auch in „multikulturellen“ Organisationen gibt es Rassismus

Polizeivertreter verweisen auch immer wieder darauf, dass ihre Behörden heute „multikulturell“ aufgestellt seien. „Es arbeiten zunehmend Kolleginnen und Kollegen mit einer Migrationsgeschichte in der Polizei“, sagt etwa Dietmar Schliff, der Vize-Chef der Gewerkschaft der Polizei. Das ist zwar ausdrücklich zu begrüßen, doch kein Argument. Auch in einer Organisation, in der Menschen mit Einwanderungsgeschichte arbeiten, gibt es Rassismus.

Das sollte auch Horst Seehofer endlich anerkennen. Er sollte den Weg frei machen für die wissenschaftliche Untersuchung des „Racial Profiling“ – und so dazu beitragen, das Problembewusstsein in den Sicherheitsbehörden zu schärfen. In Zeiten von „Black Lives Matter“ dürfen sie nicht den Anschluss an die gesellschaftlichen Entwicklungen verlieren.

Es ist Seehofers Pflicht als Minister, der Polizei dabei zu helfen. Und vielleicht sollte er das R-Wort auch selbst öfter mal in den Mund nehmen.

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