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Robustere Auslandseinsätze als der in Mali (Bild) könnten nötig werden, sagt Grünen-Chefin Annalena Baerbock.

© picture alliance/dpa

Debatte über grüne Sicherheitspolitik: „Wir sind regierungsfähiger als die, die regieren“

Sind die Grünen gerüstet für Aufgaben Deutschlands und Europas in einer unsicheren Welt? Darüber streitet die Partei nun mit einem Politikwissenschaftler und der Union.

Von Hans Monath

Sind die Grünen in der Außen- und Sicherheitspolitik gerüstet für eine mögliche Regierungsbeteiligung nach den Bundestagswahlen im Herbst? Parteichefin Annalena Baerbock selbst hat ausgesprochen, dass sich ihre Partei verändern muss, wenn sie der Verantwortung für eine außen- und sicherheitspolitische Stärkung der EU gerecht werden will.

Der Politikwissenschaftler Herfried Münkler hat der Debatte nun neue Impulse gegeben. Er bezweifelt, dass die Grünen gut vorbereitet seien. Eine „ganze Reihe von Bedenklichkeiten, Begrenzungen und Selbstbindungen“ mache es ihnen schwer, auf die Herausforderungen für die EU zu antworten, argumentierte er im Tagesspiegel. Und: Bei den Grünen dominiere die Klimafrage alles, geopolitische Fragen seien ihnen egal. Eine künftige Bundesregierung müsse aber im Interesse Europas die Rüstungsausgaben steigern.

Jürgen Trittin will das nicht auf seiner Partei sitzen lassen. Münkler irre, argumentiere „nicht auf der Höhe der Zeit“, sagt der frühere Umweltminister dem Tagesspiegel. Denn Geopolitik könne man heute gar nicht mehr denken, ohne die Auswirkungen der Klimakrise zu berücksichtigen. Gerade in der Sahelzone und im Mittleren Osten sei die Klimakrise ein Krisentreiber. Auch auf die globalen Machtverhältnisse hätten Klimafragen entscheidenden Einfluss.

Zu Münklers Forderung nach gedanklicher und finanzieller Investition in eine robuste Sicherheitspolitik sagt Trittin: „Politische Verantwortung besteht nicht darin, den Finger auf den Abzug zu legen und abzudrücken.“ Es könne manchmal nötig sein, militärische Mittel anzuwenden – aber das schaffe höchstens ein Zeitfenster für eine politische Lösung. Und weiter: „Der Instrumentenkasten des Kalten Krieges aus Abschreckung, Atomwaffen und Aufrüstung versagt vor asymmetrischen und hybriden Bedrohungen.“ Aufrüstung erzeuge weniger Sicherheit – und die  NATO-Mitgliedsstaaten der EU würden schon heute mehr als drei Mal so viel Geld für Rüstung ausgeben wie Russland.

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Die Forderung seiner Partei, dem Atomwaffenverbotsvertrag beizutreten, bekräftigt der Ex-Umweltminister, was den Abzug aller US-Atomwaffen aus Deutschland und ein Ende der Mitsprache der Bundesregierung in der Nuklearstrategie der Nato zur Folge hätte. Die in der Eifel lagernden US-Atomwaffen nennt Trittin „anachronistisch“. Er sagt: „Wir brauchen stattdessen eine realpolitische Strategie. Das geht nur, indem man Atomwaffen aus Europa abzieht.“ Trittin plädiert „für eine EU-Initiative vor, die den Abzug der Raketenabwehrsysteme in Osteuropa anbietet, falls Russland seine Nuklearwaffen in Kaliningrad ebenfalls abzieht und vernichtet“.

In ihrem neuen Grundsatzprogramm verspricht die Ökopartei, der Bundeswehr alle nötige Ausrüstung zu geben. Aber sie stellt sich entschieden gegen den Kauf von Kampfdrohnen, welche die Bundeswehr dringlich fordert. „Die Debatte wird vom Verteidigungsministerium verlogen geführt“, heißt Trittins Vorwurf: „Es ist Unsinn, so zu tun, als wären Kampfdrohnen so was wie Splitterwesten zum Schutz der Soldat*innen.“ Vielmehr dienten sie dazu, in asymmetrischen Konflikten Luftüberlegenheit bei Kampfeinsätzen herzustellen. Es gehe nicht um die Technik, sondern um die Frage: Welche Einsätze der Bundeswehr wird der Bundestag künftig beschließen?

Grünen-Außenpolitiker Jürgen Trittin im Dezember 2020 bei der Rede von UN-Generalsekretär Guterres im Bundestag.
Grünen-Außenpolitiker Jürgen Trittin im Dezember 2020 bei der Rede von UN-Generalsekretär Guterres im Bundestag.

© Geisler-Fotopress

Trittin zeigt sich zugleich wie Parteichefin Baerbock bereit, gefährliche Aufgaben der Bundeswehr zu verantworten. Um die Außen- und Sicherheitspolitik der EU zu stärken, würden robuste Auslandseinsätze auch der Bundeswehr notwendig werden. „Wir müssen uns in der EU mehr um solche Fragen kümmern“, sagte der Grünen-Politiker. Die Amerikaner würden auch unter dem neuen Präsidenten Joe Biden ihren Rückzug aus der Nachbarschaft Europas fortsetzen. Deshalb gelte: „Auf die EU kommt mehr Verantwortung zu, auch mehr militärische Aufgaben.“ Trittin ist auch bereit, mehr Geld auszugeben, um Mängel in der Ausstattung der Bundeswehr zu beheben. Dafür sei aber nicht so viel Geld nötig, dass die Rüstungsausgaben die Schwelle von zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts erreichen würden. Die Nato-Forderung nach dieser Quote halten die Grünen für irrational.

"Die Grünen weichen heiklen Fragen aus", sagt der CDU-Abgeordnete

Die Union, ein möglicher Regierungspartner der Grünen, verfolgt die Debatte genau. Fraktionsvize Johann Wadephul (CDU) lobt, die Ökopartei stelle sich im Gegensatz zur SPD nicht gegen die USA, er sieht eine positive Bewegung.

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Sein Fraktionskollege Roderich Kiesewetter (ebenfalls CDU) ist skeptischer. „Die Parteiführung der Grünen proklamiert in der Außen- und Sicherheitspolitik einen Kurswechsel hin zu einem neuen Realismus, weicht heiklen Fragen aus Sorge um die Bedenken ihrer Basis aber aus. Sie verweigern ein Bekenntnis zur Modernisierung unserer Bundeswehr im Rahmen des Zwei-Prozent-Ziels, proklamieren den Ausstieg aus der nuklearen Teilhabe und lehnen die Beschaffung von Kampfdrohnen für die Bundeswehr ab“, sagt er.

Die Forderung des ehemaligen Generalstabsoffiziers Kiesewetter: „Um regierungsfähig zu werden, müssten die Grünen Antworten liefern, die unserer internationalen Verantwortung und den realpolitischen Herausforderungen gerecht werden.“

Grünen-Außenpolitiker Trittin sieht dagegen keinen Nachholbedarf. Seine Behauptung lautet: „Wir sind mit Sicherheit regierungsfähiger als die Parteien, die im Moment regieren.“

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