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Teilnehmerinnen des W20-Gipfels posieren für ein Gruppenfoto mit Angela Merkel.

© dpa

Debatte über Frauenpolitik: Frau Merkel, sagen Sie’s einfach: Wir brauchen den Feminismus!

Merkels Weigerung, sich als Frau mit Macht offensiv für Frauenrechte einzusetzen, kann man sehr wohl als ängstliche Zurückhaltung sehen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Anna Sauerbrey

Es gibt ja Tage, da denkt man, man ist jetzt durch mit dem Thema: Eine Frau ist Kanzlerin, die Kollegen nehmen Elternzeit, der Mann macht zu Hause mehr als die Hälfte, das mit den wenigen Wirtschaftsbossinnen kriegt die Schwesig schon hin und mit Alice Weidel und Frauke Petry gibt es genug Bösewichtinnen, um der Republik zu verklickern: Frauen können auch fies, selbst wenn sie schwanger oder lesbisch sind.

Aber es ist wie in einem Horror-B-Movie: Immer, wenn es besonders ruhig ist, ist es besonders gefährlich. Die Sonne scheint, hach, sind wir alle gleich und – zong! – schießt der Sexismus-Zombie aus dem Erdreich und nagt frau das Nervenkostüm durch. Es ist total erwartbar. Und man kriegt trotzdem einen Infarkt.

Was hat den Zombie diesmal geweckt? Nun, was ihn immer weckt: Frauen tauchen auf, wo sie im chauvinistischen Weltverständnis nicht vorgesehen sind.

Nicht vorgesehen sind sie an der Seite eines jungen Mannes – jedenfalls dann nicht, wenn sie über 60 sind. Die Welt stellt gerade fest, dass Emmanuel Macron, 39, wahrscheinlich bald französischer Präsident, eine – kreisch! – 25 Jahre ältere Frau geheiratet hat, seine ehemalige Lehrerin. „Ungewöhnlich“, hüstelte die „FAZ“ verschämt. Den Vogel abgeschossen freilich hat der „Stern“, der verzierte einen Tweet dazu mit dem Hashtag „#AufAltenPferdenLerntMannReiten“. Die Aufregung waberte an jenem Wochenende los, an dem die Alternative für Deutschland ihr Parteiprogramm verabschiedete. Darin verspricht sie ihren Wählern, Abtreibungen zugunsten des deutschen Volkswachstums zurückzudrängen, notfalls gesetzlich. Gestern dann trafen sich in Berlin einflussreiche Frauen aus aller Welt zum W-20-Gipfel. Christine Lagarde war dabei, Angela Merkel und Ivanka Trump, die Tochter des Donald. Dass das Treffen ein hoch politisches war, ein Versuch Merkels, einen Draht in den engsten Einflusszirkel des Präsidenten zu legen, geriet in Vergessenheit über ausführlichen Stilkritiken, denn zufällig trugen zwei der Podiumsteilnehmerinnen was mit Blumen.

In Ivanka Trumps Titel „Modeunternehmerin“ wird ohnehin gern das „Mode“ betont, bei ihrem Mann, dem Immobilienunternehmer Jared Kushner, das „Unternehmer“. Weder Hochhäuser noch Kleider qualifizieren für Jobs im engeren Umfeld des US-Atomkoffers – nur fällt es der Welt beim Anblick von Krawatten leichter, das zu vergessen, als bei Stilettos.

Merkel hat Frauenpolitik immer von anderen machen lassen

Beim W-20-Gipfel fragte die Herausgeberin der Wirtschaftswoche, Miriam Meckel, Angela Merkel, ob sie sich als Feministin bezeichnen würde. Ihr Nein begründete Merkel mit Bescheidenheit. Sie habe ja, anders als Alice Schwarzer, nicht viel für die Gleichstellung geleistet: „Ich möchte mich nicht mit einem Titel schmücken, den ich gar nicht habe“, sagte sie und ergänzte: „Ich habe keine Angst.“

Das ist interessant. Denn Merkels Weigerung, sich als Frau mit Macht offensiv für Frauenrechte einzusetzen, kann man sehr wohl als ängstliche Zurückhaltung sehen. Merkel hat Frauenpolitik immer gefördert, sie aber gleichzeitig von anderen wie Ursula von der Leyen machen lassen. Man konnte das Gefühl bekommen, sie glaube, als Kanzler-IN sei sie für die Altherrenunion und ihre Stammwähler Zumutung genug. Ihr Nicht-Bekenntnis wirkt wie ein Makel am größten Erfolg des Feminismus, als der Merkel gelten darf: Selbst die mächtigste Frau der Welt kann ihr Bekenntnis nicht frei wählen, sondern wird durch ihr Frau-Sein beschränkt.

Vielleicht ist diese Interpretation unfair. Vielleicht scheut Angela Merkel als Ideologie-Allergikerin nur den vielen ideengeschichtlichen Ballast, der am Feminismus klebt. Aber an Tagen, in denen die Sexismus-Zombies genüsslich grunzend den trügerischen Geschlechterfrühling zertrampeln, auf alten Frauen reiten, fragen, ob Kim Kardashians Hintern „zerfällt“, Frauen zu Volksgebärmaschinen erniedrigen, Blumenmuster zur natürlichen Fellfarbe des Weibchens erklären, da will man die Kanzlerin schütteln. Verdammt, Frau Merkel, sagen Sie’s einfach: Ich bin Feministin! Wir brauchen den Feminismus!

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