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Jens Spahn (CDU) erhielt am Donnerstag eine Auffrischungsimpfung.

© Jan Pauls/Bundesgesundheitsministerium/dpa

Debatte über Auffrischungsimpfungen: Spahn und Lauterbach fordern wegen Corona-Lage „Booster-Gipfel“

Dass eine dritte Spritze für Ältere und Risikogruppen wichtig ist, darüber sind sich die Experten einig. Spahn empfiehlt sie für alle – und erhält Widerspruch.

Die Impfkampagne in Deutschland stagniert seit Wochen, erst rund zwei Drittel der Menschen sind dem Robert Koch-Institut (RKI) zufolge vollständig gegen das Coronavirus geimpft. Zudem gibt es immer mehr Impfdurchbrüche und auch wieder vermehrt Ausbrüche in Senioren- und Pflegeheimen. Schon zu Beginn der kälteren Jahreszeit gehen die Zahlen der Neuinfektionen und Covid-19-Toten in die Höhe – und zwar deutlicher als im Vorjahreszeitraum. In den Fokus rückt nun immer mehr die Frage, ob und für wen ab wann sogenannte Booster-Impfungen nötig sind, also eine – in den allermeisten Fällen – dritte Spritze. Der Begriff Booster kommt aus dem Englischen und lässt sich mit „Verstärker“ übersetzen.

Der vermutlich scheidende und derzeit noch geschäftsführende Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) fordert Auffrischungsimpfungen für alle – und erntet dafür Widerspruch von Virologen und Ärzten. Spahn ist das Thema so wichtig, dass er auf ein Spitzentreffen dazu dringt. „Aktuelle Daten aus Israel zeigen, dass das Boostern einen ganz entscheidenden Unterschied macht, um die vierte Welle zu brechen“, sagte Spahn der „Bild am Sonntag“ (BamS). „Aktuell reicht das Booster-Tempo in Deutschlands Praxen aber nicht. Wir brauchen einen Booster-Gipfel von Bund und Ländern.“

Spahn selbst erhielt am Donnerstag eine Auffrischungsimpfung. Er hatte sich im Mai nach einer vorher durchgemachten Infektion zunächst mit dem Mittel von Astrazeneca impfen lassen.

Nach Angaben des RKI haben bisher rund 1,9 Millionen Menschen den Booster erhalten. Andere Länder wie Belgien, Frankreich, Österreich aber auch Polen sind hier viel schneller als Deutschland. Doch auch hierzulande könnten es viel mehr sein. Die Ständige Impfkommission (Stiko) hatte Anfang Oktober Auffrischungsimpfungen für Menschen ab 70 Jahren, Bewohnerinnen und Bewohner von Altenheimen sowie medizinisches und Pflegepersonal empfohlen. Die Auffrischungsimpfung mit einem mRNA-Impfstoff soll der Stiko zufolge „frühestens sechs Monate nach Abschluss der Grundimmunisierung erfolgen, unabhängig davon, welcher Impfstoff zuvor verwendet wurde“.

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Bei Älteren ist der durch die Impfung aufgebaute Immunschutz gegen das Virus im Vergleich zu Jüngeren häufig nicht so hoch und lässt mit der Zeit nach, so das RKI. Folge: Es treten vermehrt Impfdurchbrüche auf und es komme auch häufiger zu schweren Krankheitsverläufen unter den Älteren.

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Einem Beschluss der Gesundheitsministerkonferenz zufolge wird der Booster nach ärztlicher Beratung sogar allen Menschen über 60 Jahre angeboten. Nach Ansicht Spahns sollten die Bundesländer diese Personen auch nochmal schriftlich einladen. Dafür wolle er in dieser Woche bei der Konferenz mit den Länderkollegen in Lindau werben, sagte er Freitag im RBB-Inforadio. „Konservativ gerechnet sind das momentan zwischen zehn und 13 Millionen Personen“, heißt es nach Informationen der „Süddeutschen Zeitung“ aus dem BMG.

Spahn sagte ferner, jeder, der eine sogenannte Booster-Impfung mache, „tut auch was dafür, dass wir sicher durch den Winter kommen“. Es gehe primär um die Personenkreise, für die der Booster empfohlen werde. Für alle anderen sei es aber auch möglich. „Wir haben Impfstoff mehr als genug“, sagte Spahn dem Sender.

Rechtlich bindend ist nicht die Stiko-Empfehlung, sondern die Impfverordnung des BMG. Darin heißt es: Der Anspruch auf Schutzimpfung gegen das Coronavirus „umfasst Folge- und Auffrischimpfungen“. Das heißt: Jeder, der zu einer Grundimpfung berechtigt ist, kann auch eine Booster-Impfung bekommen. Nur die von der Stiko empfohlenen Abstände von in den meisten Fällen sechs Monaten zwischen Grund- und Auffrischungsimmunisierung sind einzuhalten.

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Wer mit dem Vakzin von Johnson & Johnson geimpft wurde, das nur einmal gespritzt wird, muss dem RKI zufolge mit der Auffrischung kein halbes Jahr warten – sie könne diesen Personen schon nach vier Wochen angeboten werden. Auch Menschen, die vollständig mit dem Vakzin von Astrazeneca geimpft wurden, empfiehlt das BMG eine Booster-Impfung sechs Monate nach Grundimmunisierung.

Zu den Abständen zwischen den Impfungen sagte der Immunologe Carsten Watzl der Nachrichtenagentur dpa, Menschen mit stark geschwächtem Immunsystem, etwa in Folge einer Chemotherapie oder eines angeborenen Immundefekts, sollten schon 28 Tage nach der zweiten Spitze erneut geimpft werden, da sie teils gar nicht oder nicht richtig auf die Impfung reagierten. Ob und wie die Impfung angeschlagen hat, darüber könne ein Antikörpertest eine gewisse Klarheit bringen.

Für alle anderen gelte, die rund sechs Monate Abstand nach der zweiten Impfung seien ein Richtwert. Aus immunologischer Sicht sei alles zwischen vier und acht Monaten „wohl okay“, so der Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Immunologie.

Ob man sich infiziere, hänge aber nicht nur davon ab, wie gut der Immunschutz ist, so Watzl, sondern auch davon, wie stark man dem Virus ausgesetzt ist. „Daher geht aktuell das Infektionsrisiko auch nach oben, wenn die Inzidenzen steigen.“

Gesundheitsexperte der SPD: Karl Lauterbach.
Gesundheitsexperte der SPD: Karl Lauterbach.

© Oliver Berg/dpa

Auch der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach verlangt angesichts des Infektionsgeschehens bei den Auffrischungsimpfungen mehr Tempo. Es gebe „realistischerweise“ derzeit nicht viele Möglichkeiten „mit großer Wirkung“, schrieb er am Sonntag bei Twitter. Eine von zwei Möglichkeiten sei „eine viel schnellere Booster-Impfung“, hob er mit Blick auf Auffrischungsimpfungen hervor. „Dafür müsste man die Impfzentren wieder öffnen.“

Lauterbach hatte am Samstag im Gespräch mit dem Tagesspiegel ebenfalls ein baldiges Corona-Spitzentreffen gefordert. „Helfen würde eine Bund-Länder-Konferenz, wo genau dargelegt wird, wie viele Booster-Impfungen sind erfolgt, wie kann das Tempo erhöht werden, wer soll das machen. Es muss jetzt, sehr schnell gehen, sonst kommen wir eine schwierige Situation hinein“, betonte der Epidemiologe.

„Wir haben bisher keinen vollständigen nationalen Überblick, wie viele Booster-Impfungen es in den Pflegeeinrichtungen überhaupt schon gegeben hat“, sagte Lauterbach. „Da läuft uns die Zeit davon. Impfdurchbrüche in Pflegeheimen sind sehr gefährlich, oft tödlich. Wir sollten so schnell es geht mit mobilen Impfteams in die Pflegeheime gehen, um möglichst viele der älteren Bewohnerinnen und Bewohner zu schützen.“ Dafür könne man die aus den Impfzentren hervorgegangenen mobilen Impfteams nutzen. „Das sollten Leute machen, die das schon gemacht haben.“

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Als andere Möglichkeit nannte Lauterbach bei Twitter, „konsequent 2G anzuwenden“ – also nur Geimpfte oder Genesene zu Veranstaltungen oder in Restaurants im Innenbereich einzulassen. „Das senkt die Fallzahlen stark.“ Schon zuvor hatte Lauterbach erklärt, dass vermutlich auf längere alle Impfwilligen den Booster erhalten. „Darauf wird es wahrscheinlich hinauslaufen“, sagte Lauterbach, denn offensichtlich reichten zwei Impfungen nicht aus, um Infektionen dauerhaft zu vermeiden.

Zwar gebe es nach vollständigen Impfung in der Regel keine schweren Erkrankungen, es werde aber viele Menschen geben, die auch eine Infektion vermeiden wollten. „Denen kann man die Booster-Impfung auch nicht vorenthalten“, sagte der SPD-Politiker. Allerdings sei derzeit der Impfstoff dafür noch zu knapp, vor allem in ärmeren Ländern, gab er zu bedenken.

„Da kann es nicht sein, dass jedes industrialisierte Land die gesamte Bevölkerung zum dritten Mal impft, derweil in den ärmeren Ländern selbst Pflegekräfte und Ärztinnen und Ärzte erkranken und zum Teil auch sterben, weil da kein Impfstoff ist“, mahnte er zur Geduld bei flächendeckenden Drittimpfungen.

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) sprach sich wie Spahn für Auffrischungsimpfungen für alle Altersgruppen aus. „Die Booster-Impfungen brauchen wir nicht nur für die über 70-Jährigen, sondern für alle“, sagte er der BamS. „Eine Drittimpfung nach sechs Monaten ist für jeden sinnvoll.“

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Der Virologe Hendrick Streeck hält es dagegen nicht für notwendig, das Angebot auf die breite Bevölkerung auszuweiten. „Booster sind sinnvoll für die Gruppen, denen dies bereits empfohlen wird“, also etwa Immungeschwächten und Menschen ab 70. „Alle anderen sind nach der Zweitimpfung in der Regel sehr gut vor einem schweren Verlauf geschützt. Wichtiger als Auffrischungen bei ihnen ist das Schließen der Impflücken bei den über 60-Jährigen.

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Auch aus der Ärzteschaft gibt es Kritik an den Forderungen nach Booster-Impfungen für alle. „Für die Notwendigkeit von Auffrischimpfungen für Menschen jeglichen Alters gibt es bisher keine ausreichende wissenschaftliche Evidenz“, sagte Ärztepräsident Klaus Reinhardt den Zeitungen des Redaktionsnetzwerks Deutschland (RND). Bei älteren Menschen könne die Auffrischungsimpfung das Infektionsrisiko aber tatsächlich erheblich reduzieren.

Er warf der Politik eine mangelnde Aufklärungs- und Informationspolitik vor. „Es wäre jetzt eigentlich Aufgabe der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung über die Booster-Impfung für ältere Menschen zu informieren und auch mit den Falschinformationen in den sozialen Netzwerken aufzuräumen.“

[Alle aktuellen Entwicklungen in der Coronavirus-Pandemie finden Sie hier in unserem Newsblog. Über die Entwicklungen speziell in Berlin halten wir Sie an dieser Stelle auf dem Laufenden.]

Der Vorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, Andreas Gassen, sagte dem Portal „Business Insider“, nicht für Jeden mache das Boostern Sinn. „Wir brauchen nicht in blinden Aktionismus zu fallen. Jetzt wäre es mindestens genauso wichtig, wenn sich möglichst viele Nichtgeimpfte noch vollständig impfen ließen.“

Armin Beck, Vorstandsmitglied des Hausärzteverbands, sagte den RND-Zeitungen: „Wir sind verärgert, dass Bundesgesundheitsminister Jens Spahn Erwartungen schürt, Booster-Impfungen seien für alle möglich.“ Und der Vorsitzende des Bayerischen Hausärzteverbands, Markus Beier, sprach im Deutschlandfunk mit Blick auf Spahn von einer „nicht gerade günstigen Kommunikation“. Der Impfkampagne sei nicht geholfen, wenn vor jeder Praxis nun täglich hundert junge Menschen ohne Risikofaktoren stünden. Der Fokus müsse bei den Älteren liegen. (mit ir)

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